Erster Wirkstoff lässt Neurofibrome schrumpfen |
Kerstin A. Gräfe |
01.09.2021 16:00 Uhr |
Die Patienten sollten keine zusätzlichen Vitamin-E-Präparate einnehmen. Koselugo enthält das Vitamin in Form des sonstigen Bestandteils Tocofersolan (TPGS). Hohe Vitamin-E-Dosierungen können das Risiko von Blutungen bei Patienten erhöhen, die gleichzeitig Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmer nehmen. Bei Betroffenen sollte der Gerinnungsstatus häufiger untersucht werden.
Die gleichzeitige Anwendung von starken oder moderaten CYP3A4- oder CYP2C19-Inhibitoren sollte vermieden werden. Ist dies nicht möglich, sollten die Patienten sorgfältig auf unerwünschte Ereignisse überwacht und die Selumetinib-Dosis reduziert werden. Ebenfalls vermieden werden sollte eine gleichzeitige Gabe starker oder moderater CYP3A4-Induktoren.
Koselugo wird während der Schwangerschaft und bei nicht verhütenden Frauen im gebärfähigen Alter nicht empfohlen. Bei Frauen im gebärfähigen Alter sollte vor Behandlungsbeginn ein Schwangerschaftstest durchgeführt werden. Sowohl männliche als auch weibliche Patienten (mit Fortpflanzungspotenzial) sollten darauf hingewiesen werden, während und noch mindestens eine Woche nach der letzten Einnahme eine wirksame Verhütungsmethode anzuwenden; bei Frauen ist eine zusätzliche Barriere-Methode zu empfehlen. Da ein Risiko für das gestillte Kind nicht ausgeschlossen werden kann, sollte während der Behandlung abgestillt werden.
Die Zulassung basiert auf der Phase-II-Studie SPRINT mit 50 Kindern im Alter von 3 bis 17 Jahren, bei denen eine Neurofibromatose Typ 1 mit inoperablen plexiformen Neurofibromen diagnostiziert worden war. Die Probanden wurden zweimal täglich mit Selumetinib 25 mg/m2 behandelt. Der primäre Wirksamkeitsendpunkt war die objektive Ansprechrate, definiert als Prozentsatz der Patienten mit vollständigem Ansprechen oder bestätigtem partiellen Ansprechen. Des Weiteren wurde die Dauer des Ansprechens bewertet.
66 Prozent der Patienten hatten eine partielle Response mit mindestens 20-prozentiger Reduktion des Tumorvolumens. 82 Prozent der Responder zeigten ein anhaltendes Ansprechen von mehr als zwölf Monaten. Zudem besserten sich die körperliche Funktion und die Symptome der Patienten. Nach einem Jahr Behandlung beurteilten die Kinder die Schmerzen auf einer 11-Punkte-Skala um 2 Punkte schwächer als zu Beginn. Darüber hinaus führte die Behandlung zu Verbesserungen bei schmerzbedingten Störungen des Alltagslebens, die 38 Prozent der Kinder und 50 Prozent der Eltern als geringer einstuften. Die allgemeine gesundheitsbezogene Lebensqualität besserte sich nach Einschätzung der Kinder um 48 Prozent und der Eltern um 58 Prozent.
Die Behandlung ist mit vielen Nebenwirkungen behaftet. Die häufigsten sind Erbrechen, Hautausschlag, erhöhte Kreatinphosphokinase im Blut, Durchfall, Übelkeit, trockene Haut, asthenische Ereignisse, Pyrexie, akneiformer Hautausschlag, Hypoalbuminämie, Stomatitis, erhöhte Aspartat-Aminotransferase und Paronychie (Entzündung des Nagelwalls).
Für die Behandlung plexiformer Neurofibrome bei Kindern mit Neurofibromatose Typ 1 gab es als einzige Therapieoption bislang die Empfehlung zu einer Operation. Größe und Lokalisation der Neurofibrome können diese aber erschweren oder sogar unmöglich machen.
Die MEK-Hemmung durch Selumetinib ist von anderen bereits zugelassenen Wirkstoffen bekannt und nicht sonderlich innovativ. Es handelt es sich aber um den ersten in der EU zugelassenen Wirkstoff für die Behandlung der Neurofibromatose Typ 1. Der Kinasehemmer erweitert die Behandlungsmöglichkeiten bei dieser tückischen Erkrankung und kann daher als relevanter Fortschritt gewertet werden. Auch die Daten aus der Zulassungsstudie rechtfertigen die vorläufige Einstufung als Sprunginnovation. Sie zeigen, dass Selumetinib bei zwei Dritteln der Kinder nicht nur Tumoren schrumpfen ließ, sondern auch die Schmerzen reduzierte und ihre Lebensqualität verbesserte.
Sven Siebenand, Chefredakteur