Erster Orexin-Rezeptorantagonist verfügbar |
Sven Siebenand |
01.12.2022 10:30 Uhr |
Chronische Schlafstörungen mit Ein- und Durchschlafproblemen erzeugen bei den Betroffenen nicht nur nachts einen hohen Leidensdruck, sondern beeinträchtigen deren Lebensqualität auch tagsüber. / Foto: Adobe Stock/Photographee.eu
Die chronische insomnische Störung ist definiert als Schwierigkeit beim Einschlafen oder Durchschlafen, die zu klinisch bedeutsamen Problemen oder Beeinträchtigungen in wichtigen Bereichen der Tagesaktivität führt. Diese Beeinträchtigung der Schlafquantität oder -qualität sollte in mindestens drei Nächten pro Woche auftreten, mindestens drei Monate andauern und trotz ausreichender Schlafgelegenheiten gegeben sein.
Als neue pharmakotherapeutische Option wurde Mitte November der Wirkstoff Daridorexant auf dem deutschen Markt eingeführt. Er greift in das wachheitsfördernde Orexin-System ein. Dieses besteht aus den Neuropeptiden Orexin A und B sowie den Rezeptoren OX1R und OX2R. Über diese Rezeptoren stimulieren die Orexine wachheitsfördernde Signalwege. Zudem aktivieren sie weitere bekannte Wachhormone, etwa Serotonin, Histamin und Norepinephrin.
Unter normalen Umständen steigt der Orexinspiegel im Laufe des Tages an, um die Wachheit zu fördern, und fällt dann zur Nacht wieder ab. Eine Überaktivität des Wachheitssystems gilt als wichtiger Antriebsfaktor von Insomnie.
Daridorexant ist ein dualer Orexin-Rezeptorantagonist (DORA), der auf beide Orexin-Rezeptoren mit gleicher Potenz wirkt. Der Wirkstoff antagonisiert so die Wirkung der Orexine, verringert die Wachheit und erleichtert das Einschlafen. Zugelassen ist das verschreibungspflichtige Medikament für Erwachsene mit Insomnie, deren Symptome seit mindestens drei Monaten anhalten und sich beträchtlich auf die Tagesaktivität auswirken.
Das Phase-III-Studienprogramm mit insgesamt rund 1850 Patienten umfasste zwei Studien über drei Monate sowie eine Langzeitverlängerungsstudie. Etwa 40 Prozent der Probanden waren mindestens 65 Jahre alt. An dieser Stelle soll auf die Studie 301 eingegangen werden, da sie auch die letztlich zugelassene empfohlene Tagesdosis von 50 mg untersuchte. In dieser Studie erhielten insgesamt 930 Erwachsene mit Schlafstörungen über zwölf Wochen randomisiert täglich entweder 25 mg Daridorexant, 50 mg Daridorexant oder Placebo.
Primäre Endpunkte waren die Änderung der Wachzeit nach dem ersten Einschlafen (WASO) als Parameter für das Durchschlafen und die Dauer bis zum Einsetzen eines anhaltenden Schlafs (LPS) als Parameter für das Einschlafen gegenüber dem Ausgangswert. Die Ergebnisse: Daridorexant verbesserte in beiden getesteten Dosierungen signifikant die WASO im Vergleich zu Placebo. Unter Placebo war die WASO nach drei Monaten um durchschnittlich 11 Minuten reduziert, unter Daridorexant 25 beziehungsweise 50 mg um 23 beziehungsweise 29 Minuten. Auch die LPS verbesserte sich in den Verumgruppen signifikant. Nach drei Monaten war unter Placebo eine Verkürzung um 23 Minuten feststellbar, unter Daridorexant 25 und 50 mg um 31 beziehungsweise 35 Minuten.
Sekundäre Endpunkte waren die Änderungen der selbstberichteten Gesamtschlafzeit (subjective Total Sleep Time, sTST) als Parameter für die empfundene Gesamtschlafdauer und die Änderung auf einer Symptomskala zur Beurteilung der Tagesschläfrigkeit. Beide Verumgruppen verzeichneten eine signifikante Verbesserung der sTST. Unter 25 mg Daridorexant ergab sich nach drei Monaten ein Plus von 48 Minuten, unter 50 mg Daridorexant ein Plus von 58 Minuten und unter Placebo ein Plus von 38 Minuten. Daridorexant 50 mg verbesserte nach drei Monaten zudem signifikant den Wert auf der Skala für die Tagesschläfrigkeit. Dieser ging um 5,7 Punkte zurück, unter Placebo lag ein Rückgang um 3,8 Punkte und unter Daridorexant 25 mg um 4,8 Punkte vor.
Mehr als 800 Patienten setzten die Behandlung in einer Verlängerungsstudie über 40 Wochen fort. Hierbei konnte gezeigt werden, dass die Wirksamkeit über mindestens ein Jahr bestehen bleibt und es auch nach einer Einnahme über zwölf Monate keine Hinweise für Rebound-Insomnie oder körperliche Abhängigkeit nach dem Absetzen gibt.
Die empfohlene Dosis beträgt eine 50-mg-Filmtablette einmal pro Nacht. Sie soll abends in den 30 Minuten vor dem Zubettgehen eingenommen werden. Die Wirkung von Quviviq kann sich bei Einnahme mit oder kurz nach einer Mahlzeit verzögern. Grundsätzlich sollte die Behandlungsdauer so kurz wie möglich sein und die Weiterbehandlung in regelmäßigen Abständen vom Arzt geprüft werden.
Quvivig gibt es in den Dosierungen 50 mg und 25 mg. / Foto: Idorsia
Kontraindiziert ist Daridorexant bei Narkolepsie. Dies ist gut nachvollziehbar, denn bei den davon Betroffenen besteht ohnehin ein Mangel an Orexin-Wirkung. Eine weitere Kontraindikation ist die gleichzeitige Einnahme starker CYP3A4-Inhibitoren. Denn Daridorexant wird fast ausschließlich über dieses Enzym metabolisiert. Starke CYP3A4-Hemmer könnten den Wirkspiegel des Schlafmittels deutlich ansteigen lassen.
Die gleichzeitige Gabe mäßig starker CYP3A4-Hemmer ist möglich, jedoch sollte die Dosis in diesem Fall abends nur 25 mg Daridorexant betragen. Aufgrund der möglichen CYP-Blockade sollten Patienten den Verzehr von Grapefruit am Abend vermeiden. Eine Anpassung der Dosierung bei Nierenfunktionsstörung wird nicht empfohlen. Bei leicht beeinträchtigter Leberfunktion ist dies auch nicht notwendig. Bei mäßiger Leberfunktionsstörung wird zu 25 mg Daridorexant zur Nacht geraten. Nicht empfohlen, weil nicht untersucht, ist die Anwendung von Daridorexant bei schwerer Funktionsstörung des Organs.
Bei gleichzeitiger Verordnung von Quviviq und Arzneimitteln mit dämpfender Wirkung auf das ZNS ist aufgrund von potenziell additiven Wirkungen Vorsicht geboten und es sollte eine Dosisanpassung von Daridorexant oder den gleichzeitig angewendeten Arzneimitteln in Betracht gezogen werden. Patienten sollte hinsichtlich des Konsums von Alkohol während der Behandlung mit dem neuen Schlafmittel zur Vorsicht geraten werden. Bei psychiatrischen Begleiterkrankungen sollte Quviviq mit Vorsicht angewendet werden.
Ein weiterer Warnhinweis ist in der Fachinformation zu Schlafparalysen unter Daridorexant zu finden. Dabei kann sich der Patient bis zu mehrere Minuten während des Schlaf-Wach-Übergangs nicht bewegen oder sprechen. Hauptsächlich in den ersten Wochen der Behandlung sind ebenso Halluzinationen und Kataplexien möglich. Verordnende Ärzte und das Apothekenpersonal sollten Patienten über das mögliche Auftreten dieser Ereignisse aufklären. Je nach Art und Schweregrad der Ereignisse ist ein Abbruch der Behandlung in Betracht zu ziehen.
Positiv ist, dass es in Studien keine Anzeichen für einen Missbrauch oder Entzugserscheinungen gab, die auf eine körperliche Abhängigkeit nach dem Absetzen der Behandlung hinweisen. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen und Somnolenz.
Während der Schwangerschaft sollte Daridorexant nur zum Einsatz kommen, wenn das aufgrund des klinischen Zustands der Frau erforderlich ist. In der Stillzeit ist zu entscheiden, ob das Stillen unterbrochen wird oder auf Quviviq verzichtet wird.
Daridorexant ist der erste duale Orexin-Rezeptorantagonist (DORA), der auf dem deutschen Markt verfügbar ist. Damit gibt es nun auch hierzulande ein neues Wirkprinzip zur Behandlung von Schlafstörungen. Allein das rechtfertigt die Einstufung als Sprunginnovation.
Untermauert wird dies durch die bisherigen Studienergebnisse. Sowohl die Abnahme der Wachzeit in der Nacht um etwa eine halbe Stunde als auch das deutlich schnellere Einschlafen sind als klinisch relevant und für den Patienten bedeutsam zu betrachten. Besonders interessant ist, dass auch die Befindlichkeit der Patienten am Tag untersucht wurde und der neue Wirkstoff sich positiv auf die Tagesaktivität der Betroffenen auswirkte. Bisher gibt es Daten über ein Jahr. Diese zeigen, dass der Effekt bestehen bleibt und die Patienten nicht in Versuchung kommen, die Dosis zu erhöhen. Rebound-Insomnie und körperliche Abhängigkeit nach dem Absetzen sind bisher nicht beobachtet. Ein weiterer Vorteil ist, dass Daridorexant die Schlafarchitektur – im Gegensatz zu anderen Wirkstoffen – nicht verändert. Zusammen mit dem günstigen Sicherheitsprofil ist also alles in allem davon auszugehen, dass Daridorexant für die Benzodiazepine und Z-Substanzen in Zukunft eine deutliche Konkurrenz darstellen kann. Direkte Vergleichsstudien wären interessant. Dass die Klasse der DORA wachsen wird, ist gut möglich. In den USA sind seit Jahren auch Suvorexant und Lemborexant zugelassen.
Sven Siebenand, Chefredakteur