Erleichterungen für Substitutionsversorgung beschlossen |
Cornelia Dölger |
21.12.2022 16:30 Uhr |
Die pandemiebedingt gelockerten Abgaberegeln fließen in die Neuregelungen bei der Substitutionstherapie mit ein. / Foto: imago/Science Photo Library
Es ist die nunmehr vierte Änderung der BtMVV, die das Bundeskabinett heute beschlossen hat. Diese wie auch die letzte Änderungsverordnung im Jahr 2017 dienen dem Ziel, die Substitutionsversorgung der rund 80.000 Opioidabhängigen in Deutschland grundlegend zu verbessern. So sollen die betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften für die medizinische Behandlung mit Betäubungsmitteln »an den aktuellen Stand der Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis« angepasst werden, wie es vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) heißt.
Mit »Praxis« sind hier die pandemiebedingten Ausnahmeregelungen gemeint, die mit der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung (SARS-CoV-2-AMVV) eingeführt wurden. Sie betreffen zum Beispiel die Verschreibung zur eigenverantwortlichen Einnahme des Substitutionsmittels bis zu sieben Tage, die mit der aktuellen Änderungsverordnung in eine dauerhafte Regelung überführt werden soll. Dazu betonte der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert (SPD) in der Mitteilung: »Es ist erfreulich, dass wir diese guten Erfahrungen nun dauerhaft umsetzen und eine moderne, flexiblere und patientenorientiertere Substitutionstherapie schaffen.« Dadurch könnten die Bedarfslagen Opioidabhängiger stärker berücksichtigt und positive Auswirkungen auf ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erreicht werden.
Zur weiteren Erleichterung sieht die Neuregelung darüber hinaus Möglichkeiten einer telemedizinischen Konsultation bei der Verschreibung vor. Auch soll der Personenkreis, der das Substitutionsmittel zum unmittelbaren Gebrauch überlassen kann, erweitert werden. Die Verordnung bestimmt zudem, die Regelungen zu den Höchstverschreibungsmengen für Betäubungsmittel nach der Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes zu streichen, »weil sie nicht zu einer zusätzlichen Sicherheit des Betäubungsmittelverkehrs beitragen«.
Angesichts der Versorgungslücken in der Fläche, die die etwa 80.000 Substitutionspatienten in Deutschland treffen, ist das Thema drängender denn je. Es ist gleichzeitig altbekannt und hat erst im vergangenen Oktober zum nunmehr vierten Runden Tisch in der Sache geführt, den das BMG einberufen hatte. Klare Meinung des BMG damals wie heute: Apotheken sollen stärker in die Substitutionsversorgung eingebunden und motiviert werden. Blienert (SPD) erklärte nach dem Runden Tisch gegenüber der PZ: »Wir müssen noch mehr tun, um diese Behandlung direkt bei den Patientinnen und Patienten ankommen zu lassen. Dabei möchte ich die Rolle der Apotheken vor Ort stärken, noch mehr Apothekerinnen und Apotheker für die Substitution zu gewinnen.«
Schon seit Inkrafttreten der dritten Änderungsverordnung im Jahr 2017 ist geregelt, dass die Substitutionsbehandlung zwar nach wie vor eine ärztliche Aufgabe ist, doch dürfen seitdem nicht nur Ärztinnen und Ärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker, sondern auch medizinisches, pflegerisches oder pharmazeutisches Personal in stationären Reha-Einrichtungen, Alten- und Pflegeheimen, Gesundheitsämtern sowie in Hospizen, ambulanten Pflegediensten und Palliativteams den Patienten Substitutionsmittel zum unmittelbaren Verbrauch überlassen.
Mit der Neuregelung ging für Apotheken ein Mehraufwand in Form von »Mischrezepten« einher: Substitutionsmedikamente können seitdem sowohl zur Sichtvergabe, also zur Einnahme unter den Augen des Apothekers, als auch für den Take-Home-Bedarf auf dem gleichen Rezept verordnet werden. Einer Evaluation aus dem Jahr 2018 zufolge sahen viele befragte Apothekerinnen und Apotheker die neue Möglichkeit kritisch, da sie nicht zur Sichtvergabe gezwungen werden wollten, die für sie eine freiwillige und nicht vergütete Leistung darstellt. Grundsätzlich zeigten sich demnach aber die meisten Befragten dazu bereit, sich an Substitutionstherapien zu beteiligen. Wie viele es de facto sind, ist gleichwohl schwer zu ermitteln, da Apotheken keine Fort- oder Weiterbildung für eine Beteiligung an der Substitution brauchen.
Die Verordnung bedarf der Zustimmung des Bundesrates und soll am 8. April 2023 in Kraft treten.
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