Erhöhtes Risiko für Medikationsfehler bei Paxlovid |
Daniela Hüttemann |
10.01.2023 17:30 Uhr |
Ein Blister enthält die Morgendosis (gelbe Folie) mit drei Tabletten sowie die Abenddosis (blaue Folie), ebenfalls mit drei Tabletten. / Foto: Imago/ZUMA Wire
Das Covid-19-Medikament Paxlovid™ steht derzeit in ausreichenden Mengen zur Verfügung und darf auch von Ärzten direkt dispensiert werden. In mehreren Beiträgen verweist die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) in der aktuellen Ausgabe ihrer Zeitschrift »Arzneiverordnung in der Praxis« auf diverse Probleme im praktischen Einsatz hin, unter anderem auf den evidenzbasierten Einsatz, Kontraindikation und Wechselwirkungen sowie zum möglichen Rebound-Phänomen. Ein eigener Beitrag befasst sich mit möglichen Medikationsfehlern.
So beschreibt die AkdÄ zwei Fallbeispiele mit Medikationsfehlern aus Deutschland. Zudem sind in der europäischen Datenbank EudraVigilance bis Mitte November rund 200 Verdachtsfälle möglicher verschiedener Medikationsfehler gemeldet worden. In den USA hatten Medikationsfehler bereits im August 2022 zu einem Rote-Hand-Brief ( »Dear Health Care Provider Letter«) und einer Änderung der Fachinformation geführt. Vor allem das Einnahmeschema sowie die Beschriftung der Packung scheint für Verwirrung zu sorgen.
Paxlovid ist ein sogenanntes Zweikomponentenmittel. Es besteht pro Dosis aus zwei rosafarbenen Tabletten mit je 150 mg Nirmatrelvir und einer weißen Tablette Ritonavir 100 mg. Diese drei Tabletten zusammen müssen zweimal am Tag (morgens drei Tabletten und abends drei Tabletten) über fünf Tage eingenommen werden. Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion reduziert sich die Nirmatrelvir-Dosis von zwei auf eine Tablette pro Einnahmezeitpunkt, die zusätzliche Einnahme der weißen Ritonavir-Tablette bleibt gleich. Auch dies erhöht das Risiko für Fehldosierungen.
Eine Packung beinhaltet fünf Blister. Jeder Blister ist farblich unterteilt in morgendliche Einnahme (golden, mit einem Sonnensymbol, gegebenenfalls Aufschrift »Morning Dose«) und abendlicher Einnahme (blau, mit Halbmondsymbol, gegebenenfalls Aufschrift »Evening Dose«). Die ungewöhnliche Verblisterung könne Patienten und auch Pflegepersonal irritieren.
»Die Beschriftung mit ›Morning Dose‹ und ›Evening Dose‹ (USA-Blister) beziehungsweise die Piktogramme ›Sonne‹ und ›Halbmond‹ könnte Fehldosierungen (Unter- bzw. Überdosierung) begünstigen, wenn eine Einnahme vergessen wurde und nachgeholt werden soll wie in der Produktinformation empfohlen (zum Beispiel keine Einnahme der vergessenen abendlichen Dosis am Morgen danach)«, mutmaßt die AkdÄ. Sie erinnert an die Acht-Stunden-Frist, um eine vergessene Dosis nachzuholen.
Im stationären Bereich könne es verwirrend sein, wie die Dosis angegeben wird, zum Beispiel 1-0-1 (eine Dosis pro Einnahmezeitpunkt) oder 3-0-3 (drei Tabletten pro Einnahmezeitpunkt). Das ist gerade dann ein Problem, wenn die Tabletten ausgeblistert werden. Das Pflegepersonal soll hier durch Schulungen, schriftliche Kurzinformationen und gegebenenfalls Rücksprache mit der versorgenden Apotheke sensibilisiert werden. Die Eintragung in die Patientenkurve muss eindeutig sein, zum Beispiel:
»Auch im bundeseinheitlichen Medikationsplan muss die richtige Dosierungsangabe eingetragen werden, gegebenenfalls unter Angabe von Freitext«, mahnt die AkdÄ. Dies ist natürlich besonders wichtig für Patienten, die die Tabletten zu Hause in Eigenregie einnehmen. So mahnt die Kommission: »Ärzte und Apotheker sollten bei der Abgabe von Paxlovid an Patienten explizit auf die Modalitäten der Einnahme im Rahmen der Beratung eingehen.« Es bestehe ein beträchtliches Risiko für Fehldosierungen, sowohl für Unter- als auch für Überdosierungen.
Die AkdÄ rät, dem Patienten die Dosierung zu erklären und ihn dann selbst die Anweisungen noch einmal wiederholen zu lassen, um das Verständnis zu überprüfen.
Erschwerend kommt hinzu, dass das Präparat derzeit noch vorwiegend in englischer Aufmachung verfügbar ist – ohne Gebrauchsinformation. Die AkdÄ weist darauf hin, dass Ärzte und Apotheken, die Paxlovid direkt an Patienten aushändigen, eine aktuelle Gebrauchsinformation in deutscher Sprache aushändigen sollen. Sie ist in der aktuellen Version unter den Produktinformationen auf der EMA-Website in 24 verschiedenen Sprachen downloadbar (relativ weit unten unter »Product Information« – Available Languages). Nach Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte habe es mittlerweile erste Lieferungen von Paxlovid in deutscher Aufmachung inklusive deutschsprachiger Produktinformation gegeben.
Darüber hinaus kritisiert die AkdÄ, dass der Name des antiviralen Wirkstoffs, also Nirmatrelvir, derzeit in Fach- und Gebrauchsinformationen kein einziges Mal erwähnt wird, sondern noch unter dem Entwicklungskürzel PF-07321332 firmiert. Gleiches gilt für Blister und Umkarton.
»Patienten und Pflegepersonal, die kein Englisch sprechen/verstehen, könnten Schwierigkeiten mit der richtigen Einnahme haben«, schreibt die AkdÄ. Sie erinnert zudem daran, dass das Präparat vor allem bei Risikopatienten zum Einsatz kommt, die in der Regel multimorbide, ältere Patienten mit Multimedikation sind, die möglicherweise das komplexe Einnahmeschema nicht befolgen können. Alle Verdachtsfälle von Medikationsfehler sollten Ärzte, Apotheker und Patienten melden.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.