Energiepreise bereiten Generika-Herstellern Probleme |
Melanie Höhn |
18.10.2022 13:30 Uhr |
Die Strompreise für einige Generika-Fabriken in Europa sind teilweise um das Zehnfache angestiegen. / Foto: Adobe Stock/gopixa
Die steigenden Energiepreise bereiten auch den Generikaherstellern Probleme. Deshalb hat die Lobbygruppe »Medicines for Europe« den Energie- und Gesundheitsministern der EU-Mitgliedstaaten einen offenen Brief geschrieben und davor gewarnt, dass sie die Herstellung einiger billiger Generika wegen steigender Stromkosten einstellen könnten. »Die Gas- und Strompreise haben im Jahr 2022 nach der russischen Invasion in der Ukraine ein Rekordniveau erreicht, und einige unserer Produzenten laufen Gefahr, dass die Gaslieferungen rationiert werden oder die Produktionstätigkeit aufgrund der hohen Preise nicht fortgesetzt werden kann«, kritisieren die Lobbyisten in dem Brief. »Das führt dazu, dass die Strompreise für einige unserer Fabriken in Europa um das Zehnfache steigen. Dies wird die Arzneimittelversorgung und die Bemühungen unserer Industrie, in die Herstellung in Europa zu investieren, untergraben«, heißt es weiter.
Es sei zwingend erforderlich, dass die Europäische Union Maßnahmen zur Senkung der Energiekosten für den Generika-Sektor einführe – dieser könne die Preise aufgrund von Referenzpreisen nirgendwo in Europa legal erhöhen. Weiterhin erklärte die Lobbygruppe, dass patentfreie Arzneimittel, die 70 Prozent der in der Europäischen Union abgegebenen Arzneimittel ausmachen, in den vergangenen zehn Jahren strengen Preisregulierungen, Sparmaßnahmen und Niedrigstpreis-Ausschreibungsregeln unterworfen gewesen seien. Das habe zu einem »erheblichen Preisverfall« und einer »unhaltbaren Situation für Hersteller geführt«. Diese Situation sei durch die Covid-19-Krise und den Krieg in der Ukraine verschärft worden. Die allgemeine Inflation habe sich auf über 9 Prozent erhöht, außerdem seien die Rohstoffkosten auf 50 bis 160 Prozent angestiegen, die Transportkosten sogar auf bis zu 500 Prozent. Nun seien die steigenden Energiekosten hinzugekommen.
Auch eine Sprecherin des Branchenverbandes Pro Generika spricht auf Nachfrage der PZ von »massiv angestiegenen« Energiekosten in den vergangenen Monaten. Darüber hinaus seien auch andere Kosten, die in der Produktion von Arzneimitteln anfallen, explodiert. Aber sind die Generika-Hersteller eigentlich nicht so extrem von der Energiekrise betroffen, weil die Herstellung meistens in Asien stattfindet? »Das lässt sich so nicht pauschalieren. Wir haben ja auch noch einen nennenswerten Anteil von europäischer Produktion«, erklärte die Verbandssprecherin. Zudem seien es nicht nur die Energiepreise, die die Herstellung vieler Arzneimittel derzeit unwirtschaftlich mache. Konkret seien etwa die Preise für Seefracht immens angestiegen: Ein Container von Shanghai nach Rotterdam sei im Januar 2022 um 500 Prozent teurer als vor der Pandemie gewesen. Auch die Preise für Verpackungsmaterial hätten sich enorm erhöht: Papier, Aluminium oder Kunststoff seien um bis zu 135 Prozent teurer als im Vorjahr. Zudem würden einige Wirkstoffe jetzt 180 Prozent mehr kosten, erklärte die Sprecherin.
Sie warnte davor, dass diese explodierenden Kostenstellen »eine Gefährdung der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit generischen Arzneimitteln« darstellen. Negative Folgen für die Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln seien nicht mehr auszuschließen. »Es ist gut möglich, dass sich Hersteller in den kommenden Monaten aus der Produktion einzelner Arzneimittel zurückziehen müssen, da deren Produktion für sie zum Verlustgeschäft geworden ist.« Sie betonte dabei die Tatsache, dass Hersteller generischer Arzneimittel trotz massiver Kostensteigerungen ihre Preise nicht erhöhen könnten und daher auf den Mehrausgaben sitzenbleiben.
Auch Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika, meldete sich auf Nachfrage der PZ zu Wort. »Wenn wir die Versorgung mit Generika sichern wollen, müssen wir angesichts der explodierenden Kosten den Preisdruck lockern. Anderenfalls ziehen sich immer mehr Hersteller zurück. Wenn die Kosten die Preise übersteigen, droht ein Verlustgeschäft – und das kann sich kein Unternehmen leisten«, sagte er. Aus welchen Bereichen sich die Hersteller zurückziehen werden, lasse sich derzeit nicht absehen. Jedes Unternehmen habe mit Blick auf Herstellprozesse, Produktionsstandorte und Lieferketten eine eigene Situation, prüfe sein Portfolio individuell und ziehe dann – je nach individueller Situation – betriebswirtschaftliche Konsequenzen, erklärte Bretthauer. Zudem gebe es Arzneimittelproduktionen, die besonders viel Energie benötigen, beispielsweise Infusionslösungen oder Produkte, die über Fermentationsprozesse hergestellt werden wie etwa Penicilline oder Hormone. Grundsätzlich gelte: Je energieabhängiger eine Herstellung ist, desto stärker sei auch die Abhängigkeit vom Gas.
Ein Sprecher des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) erklärte auf Nachfrage der PZ: »Die Arzneimittel-Hersteller versuchen auf allen Wegen, einen Produktionsstopp zu verhindern. Die Lage ist aber in der Tat sehr herausfordernd. Höchst problematisch ist, dass beispielweise die Produktionskosten massiv steigen, während die Erstattungsmöglichkeiten, zum Beispiel durch Rabattverträge und Festbeträge, weitestgehend gedeckelt sind – im Falle von Paracetamol-haltigen Fiebersäften liegt der Festbetrag beispielsweise auf dem Preisstand von 2006«, kritisierte der Verband. Zur Sicherstellung der Versorgung sei es daher wichtig, dass der Gesetzgeber sowohl bei Rabattverträgen als auch bei Festbeträgen zeitnah einen Inflationsausgleich einführe. Zudem müsse der Gesetzgeber dafür sorgen, dass der GKV-Spitzenverband vorerst keine weiteren Absenkungen von Festbeträgen vornehme.
Im Hinblick auf mögliche Energieengpässe sei es laut BAH-Sprecher unerlässlich, dass die Hersteller weiterhin und zuverlässig mit Energie, insbesondere Gas und Strom, versorgt werden. »Selbstverständlich wollen die Hersteller auch Energie einsparen und tun dies auch schon. Wichtig wären darüber hinaus auch regulatorische Anpassungen«, erklärte er weiter.
Gemeinsam mit dem pharmazeutischen Großhandel habe der BAH daher dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) konkrete Vorschläge unterbreitet, wie durch eine Anpassung der Lagerbedingungen Energie eingespart werden könne. »Dazu gehören die Absenkung der Lagertemperaturen in Form von konkret ausformulierten Passagen für die Arzneimittel- und Wirkstoff-Herstellungsverordnung und die Arzneimittel-Handelsverordnung. Die eingereichten Vorschläge werden nun weiter ausgearbeitet und dann an die für die Überwachung des Arzneimittelverkehrs zuständigen Gremien auf Ebene der Bundesländer vorgelegt«, so der Sprecher weiter.
Die forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) sind nach eigenen Angaben nur in geringem Maße von der Gasversorgung abhängig und konnten diese Abhängigkeit zum Teil schon durch Umrüstungen kompensieren, erklärte ein Sprecher. »Es verbleibt ein kritischer Rest, etwa bei der Klimatisierung von Lagern oder bei der Reinraumerstellung in Laboren, wo eine Versorgung mit Gas weiter notwendig bleibt. Der Bundesnetzagentur ist bei der Priorisierung innerhalb der Industrie die besondere Bedeutung der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln bewusst. Produktionseinschränkungen erwarten wir im Bereich unserer Mitgliedsunternehmen nicht«, so der Sprecher.
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