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Cannabis-Anbau

Eine Wissenschaft für sich

Cannabisblüten made in Germany: Rund 25 Apothekerinnen und Apotheker aus Schleswig-Holstein hatten vergangene Woche die einmalige Gelegenheit, im wahrsten Sinne des Wortes in den Anbau von Medizinalcannabis zu schnuppern. Ein Plantagenbesuch.
Daniela Hüttemann
14.02.2025  18:00 Uhr

Grau in Grau liegt an diesem Februarmorgen die Plantage im Industriegebiet am Südrand von Neumünster. Von außen lässt sich nicht erkennen, dass hier Cannabis angebaut wird – kein Grün, kein Glas, kein klassisches Gewächshaus. Auf den ersten Blick sieht das Gebäude der Firma Aphria nicht viel anders aus als seine Nachbarn – wären da nicht der hohe Zaun, das Metalldrehkreuz, um auf das Gelände zu kommen, und die vielen Kameras. Betritt man das Gebäude, schlägt einem gleich der harzige Geruch in die Nase. Die Wachfrau bei der Personalausweis-Kontrolle lacht. Das falle jedem sofort auf, doch daran gewöhne man sich.

Aphria und die Apothekerkammer Schleswig-Holstein hatten am vergangenen Freitag zum ersten Mal gemeinsam zum »Cannabistag« eingeladen. Die Resonanz sei groß, berichtet Fortbildungsleiterin Jutta Clement. Der zweite Termin Anfang März sei schon ausgebucht; ein dritter Termin in Planung. Nach der Plantagenbesichtigung warten eine praktische Cannabis-Identitätsprüfung und mehrere Fachvorträge.

Zunächst begrüßen Clement und Kammerpräsident Dr. Kai Christiansen die Teilnehmenden. Cannabis sei eines der spannendsten pharmazeutischen Themen derzeit, mit einer hohen Dynamik beim Erkenntnisgewinn. Die Kammer freue sich sehr über die Gelegenheit, diese »Festung der Cannabis-Produktion« einmal von innen zu sehen.

Zwischen Gewächshaus und Tresor

Denn letztlich handelt es sich bei dem Bau um einen riesigen Tresor, in dem auf 2600 Quadratmetern Cannabisblüten zur medizinischen Anwendung gezüchtet werden. Weitere 1300 Quadratmeter GMP-Bereich sind dem Trimmen, Sortieren, Trocknen und Abfüllen gewidmet, erklären die Apotheker Dr. Markus Daniel, Werksleiter, und Dr. Karsten Steffens, zuständig für die Qualitätssicherung. Insgesamt umfasst der Bau 16.800 Quadratmeter.

25 Zentimeter Stahlbeton zu allen Seiten – das gehörte zu den Auflagen, als Aphria einen der ersten Zuschläge für den Anbau von Cannabisblüten von der Bundescannabisagentur erhielt. »Pflanzenanbau sieht das BtM-Gesetz eigentlich nicht vor«, erklärt Daniel. Daher gab es keine Ausnahme für den Bau der Anlage, der 2018 startete. Ende 2020 gingen die ersten Pflanzen importiert vom Mutterkonzern Tilray aus Kanada in die Kultivierung.

Damals waren die Mengen und Spezifikationen genauestens vorgegeben. Doch Pflanzen wachsen nun einmal bei bester Pflege und präzisem Anbau nicht immer so wie gewünscht. »Einige Ernten mussten vernichtet werden, weil sie nicht den Spezifikationen mit einem THC-Gehalt von 18,0 Prozent genau entsprachen«, so Daniel. »Man musste sich vorher genau überlegen, mit welcher Blüte unter welchen Bedingung man das erreicht, denn ein Mischen von Blütenchargen ist verboten.«

Legalisierung bringt mehr Blütenvielfalt

Mit der Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken sind die Regeln nun theoretisch etwas lockerer, wobei der hohe Anspruch an Qualität für Medizinalcannabis und alle arzneimittelrechtlichen Vorschriften bleiben. Seit einigen Monaten kann die Firma jedoch selbst entscheiden, welche Sorten sie anbaut und in welchen Mengen. »Nur so können wir wirtschaftlich arbeiten.«

Laut Daniel gibt es mehr als 1600 Cannabis-Kultivare und damit auch Sorten. Die Züchtungen stammen so gut wie alle aus dem Konsumbereich und tragen dementsprechend für Apotheker befremdliche Namen wie White Widow, Ghost Train Haze oder Afghan Kush. Ob Farbe und Geruch, THC- und Cannabidiol-Gehalt oder Terpen-Spektrum – den Züchtern sind kaum Grenzen gesetzt. »Das ist wie bei Tomaten – für jeden Geschmack und das Auge ist etwas dabei«, so Daniel augenzwinkernd. »Wir müssen dabei natürlich auch die Anbauzeit und den Ertrag berücksichtigen, damit es sich rechnet.«

Heute bekommen die Apothekerinnen und Apotheker mehr als zehn verschiedene Sorten zum Schnuppern, Ansehen und Anfassen, mit völlig unterschiedlichen Blütenständen, Gerüchen und Farben – von grau-braun über grün-gelb bis orange- rötlich ist alles dabei.

70.000 Euro Stromkosten pro Monat

In Neumünster selbst züchtet man keine neuen Sorten, sondern greift größtenteils auf die Erfahrung aus Kanada und Portugal zurück. »Derzeit bauen wir 13 Sorten an, wollen uns aber bei um die sechs einpendeln«, so Daniel. Dabei hat jede Sorte etwas unterschiedliche Anforderungen. Alle Anbauparameter werden ständig kontrolliert oder weiter optimiert – die Zusammensetzung der Nährstofflösung, Luftfeuchtigkeit und Temperatur, CO2- und Ozongehalt der Luft, Dauer und Intensität der Beleuchtung sind Betriebsgeheimnis.

Daran arbeitet hier ein interprofessionelles Team aus Pharmazie, Agrarwissenschaften, Gartenbau und Quereinsteigern. »Es ist wirklich ein wahnsinniger Aufwand«, so Werksleiter Daniel. »Wir haben mitunter schon bei minimalen pH-Abweichungen auch Änderungen im Wirkstoffgehalt . Es braucht viel Fingerspitzengefühl für gleichbleibende Spezifikationen.«

Die Pflanzen werden nicht aus Samen, sondern aus Stecklingen gezüchtet. Sie wachsen in einem Würfel aus Steinwolle. Rechts und links stecken sogenannte Dropper, wie man sie aus dem Gartenhandel kennt, über die die Pflanzen mit Nährstofflösung versorgt werden. An den Pflanzen hängen kleine Beutel mit biologischer Schädlingsbekämpfung wie die Raubmilbe Amblyseius swirskii gegen Weiße Fliegen und Thripse. Ventilatoren und Klimaanlage sorgen für eine gute Durchlüftung; eine Vielzahl von Sensoren überwacht durchgehend die Parameter. Das Sonnenlicht wird durch besonders intensive, individuell steuerbare LED ersetzt. Auf rund 70.000 Euro belaufen sich aktuell die monatlichen Stromkosten.

Knapp drei Monate bis zur Ernte

Tag und Nacht sowie der Wechsel der Jahreszeiten werden imitiert. Während die Mutterpflanzen etwa 18 Stunden Licht am Tag bekommen, wird die Zeit zum Ende hin auf 12 Stunden reduziert, um den Herbst zu simulieren. Entsprechend werden auch Luftfeuchtigkeit und Temperatur angepasst. Je nach Sorte dauert es etwa neun bis zwölf Wochen vom Setzen der Stecklinge bis zur Blüte. Mit der nächsten Ernte rechnet Aphria in rund sechs Wochen. Aktuell wird die Produktion mit häufigeren Ansätzen hochgefahren, um noch dieses Jahr eine volle Auslastung zu erreichen.

In einer der acht Blühkammern wird immer nur eine Sorte mit jeweils bis zu 1000 Pflanzen gleichzeitig kultiviert. Jede Sorte hat ihr eigenes Anbauprotokoll. Auch die Mutterpflanzen der einzelnen Sorten sind separat untergebracht. Sie sehen aus wie etwas zu groß geratene Bonsais. Die ganze Anlage erinnert an eine Raumstation. Der Anbau- und GMP-Bereich ist nur über mehrere Schleusen erreichbar; Schutzkleidung ist vorgeschrieben, um Kontaminationen zu verhindern. Es dauert eine knappe halbe Stunde, bis die erste Hälfte der Besucher den Prozess mit Händewaschen, Luftschleuse und Umziehen hinter sich hat.

Trimmen, trocknen, verpacken

Gerade ist es ruhig auf den Fluren. Die letzte Ernte ist gut eine Woche her, die Säuberungsarbeiten laufen noch. Die Blüten sind bereits getrocknet und verpackt. Der Geruch hängt noch in der Luft, auch wenn die Räume klinisch steril wie in jeder anderen Arzneimittelproduktion wirken.

Wer schon einmal mit Cannabisblüten gearbeitet hat, weiß, wie klebrig und adhäsiv sie durch Härchen und Harz sind. Vier Tage dauert es mitunter, bis die Trimmmaschinen, die die Stängel relativ präzise von den Blättern trennen, und alle Räume wieder komplett gesäubert sind. Die Apparate ähneln ein wenig Spargelschälmaschinen, wie man sie auf Märkten sieht, sind jedoch speziell für Cannabispflanzen konzipiert. »Für jede Charge müssen wir das Trimmen neu einstellen«, erläutert Werksleiter Daniel die Prozedur. Am Ende sitzen weiterhin zwei bis drei Personen, die mit kleinen Scheren Finetuning betreiben. Dies komplett manuell zu machen, würde zwar eine noch höhere Qualität gewährleisten, doch den Preis zu sehr in die Höhe treiben.

Anschließend werden die Blüten auf großen Blechen ausgebreitet und in vier speziell belüfteten Räumen mit feinen Löchern in den Wänden bei unter 20 Grad für mehrere Tage getrocknet. »Die Trocknung ist der zweitwichtigste Prozess«, erklärt Daniel. Auch hier ist Fingerspitzengefühl gefragt: Wird zu schnell bei zu hohen Temperaturen getrocknet, verflüchtigen sich vor allem die Terpene; wenn es zu lange dauert, begünstigt dies Schimmelwachstum. Bei erhöhter Keimzahl werden die Blüten optional noch bestrahlt.

Sorgfältige Analyse der Inhaltsstoffe

Kurz vor der Ernte nehmen die Mitarbeiter immer wieder Proben und analysieren die Wirkstoffgehalte, um den optimalen Zeitpunkt zu bestimmen. Dann muss es schnell gehen. Auch die Ernte wird nach Arzneibuch analysiert, wobei einige Parameter mit aufwendigeren Methoden extern geprüft werden, etwa das Terpen-Spektrum per Gaschromatografie oder die Kontrolle auf Schwermetalle per Massenspektrometrie. Die Cannabinoid-Gehalte werden auch in house geprüft.

Aus einer Charge von 900 bis 1000 Pflanzen ergeben sich in etwa 50 Kilo getrocknete Blüten. Abschließend werden diese in Dosen abgefüllt, die schließlich an die Apotheken nebst Analysenzertifikat ausgeliefert werden.

Zurück aus dem GMP-Bereich geht es für die Besucherinnen und Besucher zurück in den Besprechungsraum. Pharmazierätin Grit Spading aus Kappeln erklärt, worauf sie bei der Apothekenrevision in puncto Cannabis achtet und insbesondere, wie die Identitätsprüfung durchzuführen ist. Zum praktischen Üben liegen heute Schnelltests bereit. Mit mehr oder weniger violett-bräunlichem Farbausschlag endet damit der praktische Teil. Auf die Apothekerinnen und Apotheker warten noch drei Fachvorträge rund ums Cannabis, bevor ein langer, aber äußerst spannender und außergewöhnlicher Fortbildungstag zu Ende geht.

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