Eine Krankheit, die auch gendert |
Annette Rößler |
23.02.2024 12:26 Uhr |
Wie gut eine Krebstherapie vertragen wird und wie wirksam sie ist, hängt auch vom Geschlecht des Patienten ab. / Foto: Getty Images/Isaac Lane Koval/Corbis/VCG
Während für Frauen also beim Krebsrisiko generell ein Vorteil gegenüber Männern besteht, sind sie dafür bei der Krebstherapie häufig im Nachteil, weil sie diese weniger gut vertragen. »Mittlerweile gibt es etliche Arbeiten, die zeigen, dass Frauen meistens häufiger und/oder stärker von Nebenwirkungen der Therapie betroffen sind als Männer«, sagte Letsch. Dadurch könnten Frauen teilweise weniger Behandlungszyklen erhalten als Männer, was aber in Studien oft nur unzureichend dokumentiert werde.
Die Frage, ob weibliche Patienten tendenziell überdosiert seien und für eine optimale Wirkung eigentlich weniger Wirkstoff bräuchten oder ob anders herum männliche Patienten tendenziell unterdosiert seien, kann daher anhand der verfügbaren Daten nicht beantwortet werden. Hier bestehe dringender Forschungsbedarf, so Letsch. Zurzeit gebe es nur für einen einzigen onkologischen Wirkstoff geschlechtsabhängig unterschiedliche Dosisempfehlungen, nämlich für Rituximab. Die Empfehlung, älteren Männern 500 mg/m2 statt 375 mg/m2 als Einzeldosis zu verabreichen, weil sie signifikant niedrigere Serumspiegel und ein schlechteres Outcome hatten als Frauen, basiert auf mehreren Studien, steht aber nicht in der Fachinformation.
»Sowohl in der Bioverfügbarkeit und Verteilung als auch beim Stoffwechsel und bei der Ausscheidung von Tumortherapeutika kann es Unterschiede zwischen Männern und Frauen geben«, sagte Letsch. Beispiele für Chemotherapeutika mit signifikanten Geschlechtsunterschieden in der Pharmakokinetik seien 5-Fluorouracil und Paclitaxel. Hinzu komme, dass die Empfindlichkeit des normalen Gewebes, aber auch des Tumorgewebes bei Männern und Frauen unterschiedlich sein könne, sodass die Dosis-Wirkungs- beziehungsweise Dosis-Toxizitäts-Beziehungen der einzelnen Wirkstoffe nicht zwangsläufig bei beiden Geschlechtern gleich seien.
Zu hinterfragen wäre möglicherweise auch, ob die Körperoberfläche, nach der die meisten onkologischen Wirkstoffe dosiert werden, als Maßzahl bei beiden Geschlechtern gleich gut geeignet ist. Darauf wies Privatdozentin Dr. Ute Seeland von der Berliner Charité hin. Diese Lehre könne man aus der Diskussion um den Body-Mass-Index (BMI) ziehen, über dessen Unzulänglichkeit als gesundheitlicher Risikofaktor mittlerweile Einigkeit in der Fachwelt herrscht. Deutlich aussagekräftiger als der BMI sei die metabolisch aktive fettfreie Körpermasse. Diese betrage beim Mann circa 80 Prozent des BMI, bei der Frau aber nur 65 Prozent.