Eine Krankheit, die auch gendert |
Annette Rößler |
23.02.2024 12:26 Uhr |
Und die Geschlechtshormone? Auch diese scheinen an den Unterschieden bei der Krebsinzidenz und -therapie einen Anteil zu haben, und zwar weil sie das Immunsystem beeinflussen. »Mit Ausnahme der CD8-positiven Zellen sind alle Immunzellen bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern«, berichtete Dr. Kathrin Heinrich vom LMU Klinikum München unter Verweis auf eine Publikation im Fachjournal »iScience« aus dem Jahr 2022. »Das zeigt sich etwa bei Impfungen: Frauen reagieren stärker.« Zuletzt wurde das in der Impfkampagne während der Coronapandemie deutlich. Die Covid-19-bedingte Sterblichkeit sei dagegen bei Männern höher gewesen, erinnerte Heinrich.
Durch die onkologische Brille gesehen sind die immunologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau außer für das Krebsrisiko vor allem für die Immuntherapie interessant. Diese ist bei weiblichen Patienten schlechter wirksam als bei männlichen, wie aus einer 2018 im Fachjournal »The Lancet Oncology« erschienenen Metaanalyse hervorgeht. Berücksichtigt wurden 20 Studien mit insgesamt 11.351 Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasiertem Melanom oder nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC), die mit einem Checkpoint-Inhibitor (Ipilimumab, Tremelimumab, Nivolumab oder Pembrolizumab) behandelt wurden. Die Sterblichkeit war bei den männlichen Patienten signifikant niedriger als bei den weiblichen (Hazard Ratio 0,72 versus 0,86).
Bezeichnend war dabei, dass an den eingeschlosssenen Studien 67 Prozent Männer teilgenommen hatten und nur 33 Prozent Frauen. Es sei daher dringend geboten, den Frauenanteil in klinischen Studien zu erhöhen, so die Autoren. Denn aus überwiegend mit Männern erzielten Studienergebnissen dürfe man nicht automatisch die gleiche Wirksamkeit bei Frauen ableiten.
Auch ob die Immuntherapie allein oder in Kombination mit einer Chemotherapie gegeben wird, ist dabei relevant. Letztere Vorgehensweise wird laut Heinrich in der klinischen Praxis immer gebräuchlicher. Interessanterweise sei dabei zu beobachten, dass auf eine kombinierte Immuncheckpoint-/Chemotherapie wiederum Frauen besser ansprechen als Männer. Das müsse in Studien überprüft werden.
Als weiteren potenziellen Einflussfaktor, der »momentan überhaupt nicht berücksichtigt« werde, nannte die Referentin die Menopause. Ob eine Patientin sich vor oder nach der Menopause befinde, müsse in Studien erfasst werden, um gegebenenfalls Unterschiede in der Wirksamkeit und Verträglichkeit von Wirkstoffen aufdecken zu können. Wichtig für das Ansprechen auf die Immuntherapie könnte auch sein, ob beziehungsweise wie oft eine Frau in ihrem Leben schwanger war, denn während der Schwangerschaft ist das Immunsystem neun Monate lang funktionell supprimiert, damit das Kind nicht abgestoßen wird.