Pharmazeutische Zeitung online Avoxa
whatsApp instagram facebook bluesky linkedin xign
Gregor Mendel

Ein Held unter den Genetikern

Genetik ist ein komplexes Fach, in dem es gleichwohl klare Regeln gibt. Einige davon hat der Augustinermönch Gregor Mendel aufgestellt, der in diesem Jahr 200 Jahre alt geworden wäre. Die Art und Weise, wie er zu seinen Erkenntnissen gelangte, war seiner Zeit weit voraus.
AutorKontaktTheo Dingermann
Datum 21.10.2022  07:00 Uhr

In diesem Jahr wäre einer der bedeutendsten Genetiker der Geschichte, der Augustinermönch Gregor Johann Mendel (1822 bis 1884), 200 Jahre alt geworden. Seine Kreuzungsexperimente mit Erbsen, über die er in den Sitzungen der Naturhistorischen Gesellschaft in Brünn am 8. Februar und 8. März 1865 referierte und die in den »Verhandlungen« dieses Vereins (IV. Bd. 1865, erschienen 1866) veröffentlicht wurden, sind ein Beispiel sorgfältig geplanter und durchgeführter Forschung, wie sie heute nicht mehr vorstellbar ist. Fachkollegen, die Mendel durchaus wohlgesonnen und hochrespektiert waren, konnten ihm damals intellektuell nicht folgen. So dauerte es fast 35 Jahre, bis die Bedeutung von Mendels Werk verstanden wurde.

Mendel hatte, wie alle seine Zeitgenossen, keine blasse Ahnung von Genen, Chromosomen oder Genomen, also den Molekülen und Strukturen, die für Vererbungsprozesse verantwortlich sind. Und dennoch gehen einige Historiker davon aus, dass er im Zuge seiner Arbeiten zunächst die Anfangshypothese einer nicht vermischenden Vererbung testete, die er dann empirisch induktiv weiterentwickelte. Das ist eine sehr moderne wissenschaftliche Herangehensweise.

Nichts überließ Mendel dem Zufall. In seiner Publikation schreibt er über die Vorversuche zu den eigentlichen Arbeiten: »Die Auswahl der Pflanzengruppe, welche für Versuche dieser Art dienen soll, muss mit möglichster Vorsicht geschehen, wenn man nicht in Vorhinein allen Erfolg in Frage stellen will. Die Versuchspflanzen müssen nothwendig

  1. constant differirende Merkmale besitzen;
  2. die Hybriden derselben müssen während der Blüthezeit vor der Einwirkung jedes fremdartigen Pollens geschützt sein oder leicht geschützt werden können;
  3. dürfen die Hybriden und ihre Nachkommen in den aufeinander folgenden Generationen keine merkliche Störung in der Fruchtbarkeit erleiden.«

Und weiter heißt es: »Aus mehreren Samenhandlungen wurden im Ganzen 34 mehr oder weniger verschiedene Erbsensorten bezogen und einer zweijährigen Probe unterworfen [...]. Für die Befruchtung wurden 22 davon ausgewählt und jährlich während der ganzen Versuchsdauer angebaut. Sie bewährten sich ohne alle Ausnahme.«

Eine heute kaum mehr denkbare Arbeitsweise

Würde man heutige Molekularbiologen beispielsweise nach identitätsgebenden Charakteristika der Zelllinien fragen, mit denen sie arbeiten, würde man in staunende Augen schauen. Nicht zuletzt beruht ein immer wieder auftretendes Problem in den Naturwissenschaften – das Problem einer unabhängigen Nicht-Reproduzierbarkeit – darauf, dass mit schlecht charakterisiertem Zellmaterial gearbeitet wird. So würde etwa eine kritische Überprüfung der in vielen Laboratorien eingesetzten HeLa-Zellen ein katastrophales Bild zeigen.

Letztlich beschreibt Mendel die Vererbung von sieben Paaren konstanter Charaktere. Fünf Merkmale betrafen die Pflanze selbst: die Blütenfarbe, die Form der reifen Schoten, die Farbe der unreifen Schoten, die Stellung der Blüten und unterschiedliche Stiellängen. Die verbleibenden zwei bezogen sich auf Farbe (gelb versus grün) und Form (rund versus runzelig) der Samen. Mendel verfolgte diese Pflanzenmerkmale über vier oder fünf Generationen und die Samenmerkmale über sechs Generationen.

Durch Kreuzung nach manueller Bestäubung produzierte und charakterisierte Mendel über acht Jahre mehr als 10.000 Pflanzen. Diese gewaltige, systematisch geordnete Datenbasis erlaubte es ihm, nicht nur zu erkennen, dass die von ihm ausgewählten Merkmale nach ganz bestimmten Regeln von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Durch detaillierte quantitative Auswertungen der Nachkommen aus seinen Kreuzungsexperimenten konnte er zudem Regeln ableiten, wie häufig ein Merkmal im Vergleich zu dem konkurrierenden Merkmal auftreten wird.

Mendel zählte, um dann zu abstrahieren

Natürlich hatten zur damaligen Zeit auch andere Wissenschaftler die für den Laien verwirrende Segregation beispielsweise von Samenfarbe und -form bei Erbsen beobachtet. Aber keiner außer Mendel erkannte die Regeln, auf deren Basis diese Merkmale nach unterschiedlichen Kreuzungsarten auftraten. Und selbst auf der Basis der quantitativen Auswertungen der Ergebnisse der Mendelschen Kreuzungsexperimente die statistischen Regeln abzuleiten, war alles andere als trivial.

Mendel war jedoch vertraut mit Phänomenen wie Variation und Stochastik. Und ganz offensichtlich hatte er ein großes Interesse an Zahlen. Daher war es nur konsequent, dass er die quantitativen Verhältnisse der von ihm ausgewählten Merkmale nicht nur einzeln, sondern auch in Kombination analysierte, um dann seine Ausgangshypothese einer »nicht vermischenden«, das heißt einer unabhängigen, Vererbung der Merkmale unter den Nachkommen bestätigt zu sehen. Diese Gesetzmäßigkeit gilt als die dritte Meldelsche Regel, die auch als »Unabhängigkeitsregel oder Neukombinationsregel« bekannt ist. Die anderen beiden heißen »Uniformitätsregel« und »Spaltungs- oder Segregationsregel«.

Dass Mendel zweifelsohne auch Daten verworfen hat, weil sie nicht zu seinen Hypothesen »passten«, wird ihm von Kritikern zum Vorwurf gemacht. Das ist aber überzogen. Denn man muss berücksichtigen, dass Mendel unter extrem fehleranfälligen Bedingungen forschte. Sein Experimentierraum war ein Wind und Wetter ausgesetzter Klostergarten und kein hochtechnisiertes Gewächshaus. Obwohl er intelligente Verfahren entwickelte, um beispielsweise Windbestäubungen auszuschließen, ist es plausibel, dass das nicht immer gelang. So klappten nicht alle Experimente und in solchen Fällen ist es wissenschaftlich korrekt, die entsprechenden Ergebnisse zu verwerfen, da sie das Gesamtergebnis des Versuchsansatzes extrem verfälscht hätten. 

In der Publikation Mendels von 1866 findet man eine Auskunft zu potenziellen Limitationen der beschriebenen Forschungsarbeit, wie sie heute von guten Zeitschriften gefordert wird. Dort ist zu lesen: »Die Gültigkeit des für Pisum vorgeschlagenen Gesetzeswerks bedarf einer weiteren Bestätigung, und daher wäre eine Wiederholung zumindest der wichtigeren Experimente wünschenswert.«

Das Vermächtnis Mendels

Leider wurden die Erkenntnisse Mendels auch in unverantwortlicher Weise zur Stützung der Eugenik missbraucht, worauf auch in einem Editorial des Fachjournals »Nature« vom 19. Juli 2022 hingewiesen wird. Dies ist jedoch nicht Mendels Vermächtnis. Vielmehr ist Mendel als ein Wissenschaftler in die Geschichte eingegangen, der seine Experimente akribisch plante, geduldig auf die Daten wartete, diese qualitativ und quantitativ ordnete, um schließlich Regeln abzuleiten, die heute noch genauso gelten wie vor gut 150 Jahren, als sie formuliert wurden.

So kann man dem Nature-Editorialisten nur zustimmen, dass es sich im gegenwärtigen Zeitalter der extremen Konkurrenz in der Wissenschaft lohnt, einen Moment innezuhalten, und Mendel anlässlich seines 200. Geburtstags für sein scharfes Beobachten, seine rigorose Datenanalyse und seine Demut bei der Interpretation der Ergebnisse zu gratulieren.

Frag die KI
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
BETA
Menü
Zeit
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
Zeit
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
Senden
SENDEN
KI
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
KI
KI
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa