Ein gar nicht so neues Antidepressivum |
Brigitte M. Gensthaler |
12.09.2022 07:00 Uhr |
Venlafaxin und Desvenlafaxin dürfen nicht miteinander kombiniert werden.
Die gleichzeitige Gabe von Monoaminoxidase-Inhibitoren (MAO-I) ist kontraindiziert. Die Behandlung mit Desvenlafaxin darf frühestens 14 Tage nach Absetzen des MAO-I beginnen; umgekehrt muss mindestens sieben Tage gewartet werden, bis nach Absetzen von Desvenlafaxin ein MAO-I gegeben werden darf. Zudem ist Desvenlafaxin aufgrund des erhöhten Risikos eines Serotoninsyndroms kontraindiziert bei Patienten, die mit einem reversiblen MAO-I wie Linezolid oder Methylenblau (intravenös) behandelt werden.
Wie bei anderen serotonerg wirksamen Arzneistoffen können unter Desvenlafaxin ein Serotoninsyndrom oder Reaktionen wie bei einem malignen neuroleptischen Syndrom (ein potenziell lebensbedrohlicher Zustand) auftreten. Vorsicht und eine engmaschige Überwachung sind daher geboten, wenn Desveneurax gleichzeitig mit anderen serotonergen Arzneimittel gegeben wird. Dazu gehören zum Beispiel Triptane, sS(N)RI, Lithium, Fentanyl und andere Opioide sowie Johanniskraut. Gleiches gilt für die Kombination mit Wirkstoffen, die den Stoffwechsel von Serotonin hemmen. Die Einnahme von Serotonin-Präkursoren wie Tryptophan wird nicht empfohlen.
Die gleichzeitige Anwendung von potenten CYP3A4-Inhibitoren kann zu höheren Desvenlafaxin-Konzentrationen führen.
Aufgrund mangelnder Erfahrung darf Desvenlafaxin bei schwangeren Frauen nur angewendet werden, wenn der zu erwartende Nutzen größer ist als die möglichen Risiken. Bei Einnahme bis kurz vor der Geburt kann das Neugeborene Absetzsymptome entwickeln. Desvenlafaxin wird in die Muttermilch ausgeschieden. Aufgrund möglicher schwerer Nebenwirkungen für das gestillte Kind sollte die Medikation sorgfältig abgewogen werden.
Bei Desvenlafaxin handelt es sich um den aktiven Metaboliten von Venlafaxin. Hinsichtlich Wirkmechanismus und Einsatzgebiet liegt kein Fortschritt gegenüber Venlafaxin vor. Einzig pharmakokinetisch könnte Desvenlafaxin gewisse Vorteile bieten. Denn es wird nicht wie Venlafaxin über CYP2D6 metabolisiert. Je nach Metabolisierungsstatus und Co-Medikation könnte der Einsatz von Desvenlafaxin dann günstig sein. Dennoch ist der Wirkstoff vorläufig als Analogpräparat einzustufen.
Das liegt auch an den in der Fachinformation von Desveneurax genannten Studien. Gegenüber Placebo hatte der aktive Metabolit von Venlafaxin wenig überraschend eine Wirkung. Die genannten Vergleiche zwischen Desvenlafaxin, Venlafaxin und Placebo belegen allerdings keine bessere Wirksamkeit des Neulings. Tendenziell schnitt Venlafaxin besser ab.
Zum Hintergrund: In den USA ist Desvenlafaxin schon seit einigen Jahren im Handel. Einen Antrag auf Genehmigung des Inverkehrbringens eines Desvenlafaxin-haltigen Medikaments in der EU hat der damalige Antragsteller, die Firma Wyeth, im Jahr 2008 zurückgezogen. Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) war damals der Ansicht, dass das Medikament nicht hätte zugelassen werden können. Der CHMP hatte Bedenken, dass die Wirksamkeit insgesamt nicht überzeugend dargelegt worden war. Im Vergleich zur Muttersubstanz Venlafaxin schien Desvenlafaxin weniger wirksam zu sein, aber keinen Vorteil im Hinblick auf die Sicherheit und Verträglichkeit zu bieten, heißt es auf der EMA-Website. Mehr als zehn Jahre später ist Desvenlafaxin – allerdings ohne EMA-Zulassung – nun doch noch auf den deutschen Markt gekommen.
Sven Siebenand, Chefredakteur