Ein Bakterium als Tumor-Diagnostikum |
Theo Dingermann |
16.08.2023 14:00 Uhr |
Das Bakterium Acinetobacter baylyi kann DNA aus lysierten Zellen aufnehmen. Diese Eigenschaft nutzten Forschende, um es in einen lebenden Biosensor für Krebs-DNA umzufunktionieren. / Foto: Adobe Stock/vladimircaribb
Acinetobacter baylyi ist ein gut erforschtes Bakterium, das beim gesunden Menschen weitgehend apathogen ist. Es kann sehr effizient DNA aus lysierten Zellen aufnehmen, was als horizontaler Gentransfer bezeichnet wird. Diese Fähigkeit nutzten Forschende um Dr. Robert M. Cooper vom Synthetic Biology Institute der University of California San Diego (UCSD) in La Jolla, um A. baylyi als eine neuartiges Tumordiagnostikum umzufunktionieren. Ihre Arbeit wurde kürzlich in »Science« publiziert.
Ihrem Test verliehen die Forschenden den griffigen Namen CATCH: cellular assay for targeted, CRISPR-discriminated horizontal gene transfer (zellulärer Assay für den gezielten, CRISPR-diskriminierten horizontalen Gentransfer). Sie entwickelten ihn zunächst nur zum Nachweis eines aktivierten KRAS-Onkogens, doch das Prinzip ist sicherlich viel weiter anwendbar. Zum Einsatz kommen dabei A.-baylyi-Bakterien, die nur genau dann gegen ein bestimmtes Antibiotikum resistent werden, wenn sie KRAS-mutierte DNA aus lysierten Krebszellen aufgenommen haben.
Bei knapp einem Drittel aller Darmkarzinome, aber teilweise auch bei vielen anderen soliden Tumoren, liegt eine aktivierende Mutation am Codon 12 im Proto-Onkogen KRAS vor. Durch eine Punktmutation ist dabei ein Glycin-Codon in ein Asparaginsäure-Codon umgewandelt (KRAS-G12D). Auf den Nachweis dieser Mutation zielt der Test ab. Er nutzt das endogene CRISPR-Cas-System, das A. baylyi wie alle Bakterien besitzt.
Bekanntlich schneidet die Endonuklease Cas eine Ziel-DNA-Sequenz, wenn das Enzym an eine Stelle im Genom dirigiert wird, an der der CRISPR-Komplex eine sogenannte Protospacer/PAM-Sequenz erkennt. Die Forschenden entwickelten eine solche Sequenz rund um das mutierte Codon 12 und integrierten diesen Spacer in einen neutralen Locus des A.-baylyi-Genoms. Dies führte dazu, dass die Bakterien Wildtyp-KRAS CRISPR-vermittelt abbauten, wohingegen die Integration der KRAS-G12D-Sequenz erhalten blieb, da bei deren Vorliegen die PAM-Sequenz durch die Mutation an Codon 12 zerstört war.
Dann testeten die Forschenden ihr CATCH-System in einem geeigneten Mausmodell. Den Mäusen wurden tumortragende Organoide in den Dickdarm injiziert, wo sie dann zu Kolontumoren auswuchsen. Dabei kamen zwei verschiedene Zelllinien zum Einsatz, eine mit dem Wildtyp-KRAS und die andere mit dem an Codon 12 mutierten KRAS (KRAS-G12D). Beide KRAS-Gene waren flankiert von einem Kanamycin-Resistenzgen (kanR) und einem Gen, das für das grün fluoreszierende Protein kodiert. Danach wurden die Sensor-A.-baylyi-Bakterien zweimal durch einen Einlauf rektal verabreicht. Die Mäuse wurden anschließend euthanasiert und das Kolorektum für die Analyse ausplattiert. Der spezifische Gentransfer wurde durch die Kanamycin-Resitenz, durch Expression des grün fluoreszierenden Proteins und durch 16S-Sequenzierung bestätigt.