Dritter Multizytokin-Hemmer bei RA |
Sven Siebenand |
05.03.2020 08:00 Uhr |
Die rheumatoide Arthritis ist die häufigste rheumatisch-entzündliche Gelenkerkrankung. Oft sind die Fingergrund- und -mittelgelenke, die Handgelenke sowie die Zehengrundgelenke auf beiden Körperseiten betroffen. / Foto: Adobe Stock/Anut21ng Photo
Zugelassen ist Upadacitinib bei erwachsenen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer aktiver Erkrankung, wenn diese auf die Behandlung mit einem oder mehreren krankheitsmodifizierenden Antirheumatika (DMARD) unzureichend angesprochen oder diese nicht vertragen haben. Upadacitinib kann als Monotherapie oder in Kombination mit Methotrexat (MTX) angewendet werden.
Januskinasen (JAK) sind intrazelluläre Enzyme, die Signale von Zytokinen und Wachstumsfaktoren weiterleiten, die an einer Vielzahl von zellulären Prozessen, etwa Entzündungsreaktionen und Immunüberwachung, beteiligt sind. Die JAK-Enzymfamilie umfasst vier Mitglieder – JAK1, JAK2, JAK3 und TYK2 –, die paarweise Signaltransduktoren und Aktivatoren der Transkription (signal transducers and activators of transcription, STAT) phosphorylieren und dadurch aktivieren (siehe Grafik). Diese Phosphorylierung moduliert wiederum die Genexpression und Zellfunktion. Im Gegensatz zu den meisten Biologika, die ein einziges Zytokin binden, unterbrechen die JAK-Inhibitoren die Signalwirkung gleich mehrerer Interleukine, die für die Pathophysiologie der rheumatoiden Arthritis von Bedeutung sind. Daher werden sie auch als Multizytokin-Hemmer bezeichnet.
Januskinasen bilden in menschlichen Zellen Homo- oder Heterodimere und sind mit Rezeptoren assoziiert, die von diversen Zytokinen aktiviert werden können. Eine Aktivierung des JAK-Dimers führt über die nachgeschalteten STAT-Proteine (Signaltransduzierer und Aktivator der Transkription) zu einer Modulation der DNA-Ablesung im Zellkern. Upadacitinib hemmt bevorzugt heterodimere Rezeptoren, an denen JAK1 und/oder JAK3 beteiligt sind. / Foto: Stephan Spitzer
Tofacitinib, Baricitinib und Upadacitinib unterscheiden sich in ihrer Wirkung auf die unterschiedlichen JAK-Enzyme. Während Baricitinib seinen Schwerpunkt auf der Hemmung von JAK1 und JAK2 hat, liegt dieser im Fall von Tofacitinib und Upadacitinib auf JAK 1 und JAK3. Dass alle drei die hemmende Eigenschaft auf JAK1 in ihrem Profil haben, ist kein Zufall. Denn JAK1 ist für Signalwege von inflammatorischen Zytokinen von Bedeutung.
Die Zulassung von Rinvoq stützt sich auf die Daten des Select-Studienprogrammes, das knapp 4400 Teilnehmer mit RA in fünf Phase-III-Studien umfasst. In allen fünf Studien erreichte Upadacitinib die primären und gewichteten sekundären Endpunkte. Eine dieser Studien heißt Select-Compare. An dieser nahmen 1629 Patienten teil, deren Erkrankung mit MTX nicht zufriedenstellend kontrolliert wurde. Sie erhielten in der Studie zusätzlich zu MTX entweder täglich 15 mg Upadacitinib, wöchentlich 40 mg Adalimumab oder Placebo. Upadacitinib plus MTX zeigte signifikant höhere Remissionsraten, definiert als DAS 28 (CRP) ≤ 2,6 (siehe Kasten). In dieser Gruppe wurde dieser Endpunkt bei 29 Prozent der Patienten erreicht. Im Vergleich dazu wurde der DAS 28 (CRP) ≤ 2,6 unter Adalimumab plus MTX beziehungsweise Placebo plus MTX bei 18 sowie 6 Prozent der Patienten erreicht. Niedrige Krankheitsaktivität, definiert als DAS 28 (CRP) ≤ 3,2, wurde in den drei Gruppen bei 45, 29 und 14 Prozent der Patienten erzielt.
Der DAS 28 (Disease Activity Score 28) ist ein Wert zur Beurteilung des Krankheitszustands und -fortschritts bei rheumatoider Arthritis. Die Zahl 28 bezieht sich auf die Anzahl der untersuchten Gelenke. Je höher der DAS 28, desto höher die Krankheitsaktivität. Ein DAS 28 unter 2,6 wird als Remission gewertet. Eine geringe Krankheitsaktivität weisen Werte unter 3,2 auf. Anzahl der druckschmerzhaften Gelenke, Anzahl der geschwollenen Gelenke, Blutkörperchen-Senkungsgeschwindigkeit und die Einschätzungen des Krankheitszustandes durch den Patienten gehen in den DAS 28 ein. Wird statt der Blutkörperchen-Senkungsgeschwindigkeit der Wert des Entzündungsparameters C-reaktives Protein (CRP) herangezogen, spricht man von DAS 28 (CRP).
Auch die Studie Select-Monotherapy (n = 648) richtete ihr Augenmerk auf Patienten, deren Erkrankung mit MTX nicht zufriedenstellend kontrolliert wurde. Die Studienteilnehmer erhielten entweder MTX oder Upadacitinib als Monotherapie. Unter dem Kinasehemmer wurde nach 14 Wochen ein DAS 28 (CRP) ≤ 2,6 bei 28 Prozent der Patienten erzielt, unter MTX bei 8 Prozent der Patienten. DAS 28 (CRP) ≤ 3,2 wurde bei 45 Prozent der Patienten im Upadacitinib-Arm erreicht, unter MTX bei 19 Prozent.
Die Studie Select-Next schloss 661 Patienten ein, deren Erkrankung mit DMARD nicht zufriedenstellend kontrolliert wurde. Die Studie ergab, dass die Hinzunahme von 15 mg Upadacitinib im Vergleich zur Hinzunahme eines Placebos nach zwölf Wochen wesentlich häufiger zu DAS 28 (CRP) ≤ 2,6 führte (31 versus 10 Prozent). Auch das Ziel DAS 28 (CRP) ≤ 3,2 wurde in der Verumgruppe häufiger erreicht (48 versus 17 Prozent).
Die Studie Select-Early umfasste 947 Patienten, die zuvor noch kein MTX bekommen hatten. Nach 24 Wochen wurden die Monotherapien mit MTX oder Upadacitinib beurteilt. DAS 28 (CRP) ≤ 2,6 trat bei 48 Prozent der Patienten ein, die den JAK-Hemmer erhalten hatten und bei 19 Prozent der Patienten in der MTX-Gruppe. DAS 28 (CRP) ≤ 3,2 erreichten 60 versus 32 Prozent in diesem Zeitraum.
An der Studie Select-Beyond nahmen 499 Patienten teil, bei denen ein Biologikum entweder nicht geeignet oder nicht ausreichend wirksam war. Die Patienten erhielten in der Studie neben DMARD entweder Upadacitinib oder ein Placebo. DAS 28 (CRP) ≤ 2,6 erreichte ein Anteil von 29 beziehungsweise 9 Prozent, DAS 28 (CRP) ≤ 3,2 konnte bei 43 beziehungsweise 14 Prozent nach zwölf Wochen beobachtet werden.
Die empfohlene Dosis von Upadacitinib beträgt einmal täglich 15 mg. Patienten können die Tabletten mit oder unabhängig von einer Mahlzeit zu einer beliebigen Uhrzeit einnehmen. Die Tabletten sind im Ganzen zu schlucken und dürfen nicht geteilt, zerdrückt oder zerkaut werden.
Die Behandlung sollte bei Patienten mit einer absoluten Lymphozytenzahl von weniger als 500 Zellen/mm3, einer absoluten Neutrophilenzahl von weniger als 1000 Zellen/mm3 oder einem Hämoglobinspiegel von weniger als 8 g/dl nicht begonnen werden. Patienten sollten während und nach Behandlung mit Upadacitinib immer engmaschig auf Anzeichen und Symptome einer Infektion überwacht werden. Wenn eine schwere Infektion auftritt, sollte die Behandlung unterbrochen werden, bis die Infektion unter Kontrolle ist. Vor Beginn und während einer Therapie mit dem neuen Wirkstoff sollte ein Screening auf eine virale Hepatitis und die Überwachung einer möglichen Reaktivierung durchgeführt werden. Vor Therapiebeginn mit Upadacitinib ist zudem ein Tuberkulose-Screening durchzuführen.
Kontraindiziert ist Upadacitinib bei aktiver Tuberkulose beziehungsweise einer anderen aktiven schwerwiegenden Erkrankung, bei schwerer Leberinsuffizienz und in der Schwangerschaft. Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Anwendung von Upadacitinib und nach Beendigung der Behandlung für vier Wochen zuverlässig verhüten. Stillende sollten das neue Medikament nicht erhalten. Bei schwerer Niereninsuffizienz sollte die Anwendung des Wirkstoffs nur unter Vorsicht erfolgen.
Upadacitinib sollte nicht mit anderen potenten Immunsuppressiva, etwa Ciclosporin, Azathioprin, Tacrolimus, Biologika oder andere Januskinase-Hemmer, kombiniert werden, da das Risiko einer zusätzlichen immunsuppressiven Wirkung nicht ausgeschlossen werden kann. Zudem wird die Anwendung von attenuierten Lebendimpfstoffen während oder unmittelbar vor einer Behandlung mit dem Kinasehemmer nicht empfohlen. Stattdessen wird empfohlen, den Impfstatus vor Therapiebeginn mit Upadacitinib zu überprüfen und alle erforderlichen Impfungen nachzuholen. Auch die prophylaktische Impfung gegen Herpes zoster sollte an dieser Stelle bedacht werden.
Upadacitinib wird hauptsächlich durch das Enzym CYP3A4 metabolisiert. Daher kann die gleichzeitige Anwendung von starken CYP3A4-Hemmer und -Induktoren ein Problem darstellen: Upadacitinib ist bei Patienten unter Langzeitbehandlung mit starken CYP3A4-Inhibitoren mit Vorsicht anzuwenden. Die Upadacitinib-Exposition ist bei gleichzeitiger Anwendung mit starken CYP3A4-Induktoren verringert, was zu einer abgeschwächten Wirkung des neuen Arzneimittels führen kann. Veränderungen der Krankheitsaktivität von Patienten sollten überwacht werden, wenn Upadacitinib gleichzeitig mit starken CYP3A4-Induktoren angewendet wird.
Sehr häufige Nebenwirkungen von Rinvoq sind Infektionen der oberen Atemwege. In Studien traten zum Beispiel Übelkeit, Fieber, Husten, Neutropenie und Hypercholesterolämie häufig auf.
Hinsichtlich seines Wirkmechanismus bietet Upadacitinib keinen grundlegenden Vorteil gegenüber den anderen bekannten Januskinase-Hemmern. Seine Wirksamkeit bei rheumatoider Arthritis hat er zweifelsohne in einem umfangreichen Studienprogramm nachgewiesen. Jedoch wären direkte Vergleichsstudien mit den anderen JAK-Hemmern wünschenswert. So ist der therapeutische Fortschritt nicht erkennbar.
Auch das zugelassene Anwendungsgebiet erschließt bislang keine neue Patientengruppe. Im Vergleich zu Tofacitinib, das zum Beispiel auch bei Colitis ulcerosa zum Einsatz kommen darf, ist es sogar schmaler. Das kann sich demnächst jedoch ändern. Denn aktuell laufen Phase-III-Studien mit Upadacitinib, zum Beispiel bei Morbus Crohn und atopischer Dermatitis. Vorläufig ist der neue Wirkstoff aber bei den Analogpräparaten einzustufen.
Sven Siebenand, Chefredakteur