Die Tücken der Arzneitherapie |
»Das größte Problem einer Therapie mit Glucocorticoiden besteht dagegen darin, dass der Knochen vehement an Substanz verliert – und das relativ schnell innerhalb von drei bis sechs Monaten«, so die Referentin. Im ersten Jahr einer Therapie nehme die Knochenmineraldichte um 12 Prozent ab. Das Frakturrisiko sei bereits im Niedrigdosisbereich vorhanden. Selbst 2,5 bis 7,5 mg Prednisolon-Äquivalent für drei Monate bedeuteten bereits deutlich erhöhte Raten an Wirbelkörperfrakturen und mäßig erhöhte Zahlen von Oberschenkelhals- und Hüftfrakturen.
Stahl betonte die Bedeutung einer rechtzeitigen Basisdiagnostik, um das individuelle Osteoporose- beziehungsweise Frakturrisiko abschätzen zu können. »Heutzutage wird immer noch oft zu spät gehandelt, erst dann, wenn der Bruch da ist und eine manifeste Osteoporose vorliegt.«
Zur Verhinderung von Brüchen muss auch die tägliche Zufuhr von mindestens 1000 mg Calcium und von 800 bis 1000 I.E. Vitamin D3 gesichert sein. Mithilfe des Calciumrechners unter lasse sich in der Apotheke klären, wie viel Calcium bereits mit der Nahrung aufgenommen wird. In jedem Fall müssten die meisten Patienten nach den Worten der Referentin »in ihre Knochengesundheit investieren«. Denn die Verordnungsfähigkeit von Calciumverbindungen und von Vitamin-D-Supplementen sei erst bei 7, 5 mg Prednisolon-Äquivalent und sechs Monaten Glucocorticoid-Therapie gegeben.
Weil eine längerfristige Glucocorticoid-Therapie auch das kardiovaskuläre Risiko erhöht, sind individuelle Risiken engmaschig zu überwachen, empfahl Stahl. »Zusätzliche Risikofaktoren wie Rauchen oder Übergewicht müssen abgebaut werden. Die Gewichtsabnahme ist jedoch immens schwierig, weil unter der Steroid-Gabe quasi eine diabetische Stoffwechsellage erzeugt wird. Bitte keine Crash-Diäten: Wenn die Energiezufuhr während einer Steroid-Therapie gedrosselt wird, holt sich der Körper die Energie aus den Knochen. Und das erhöht zwangsläufig das Frakturrisiko.«
Bisphosphonate gehören zu den beratungsintensivsten Arzneistoffklassen überhaupt. Allein die nötige aufrechte Körperhaltung für 30 Minuten bei der peroralen Verabreichung von Aledron- oder Risedronsäure beziehungsweise für 60 Minuten bei der Einnahme von Ibandronsäure fällt vielen Senioren schwer. »Das Unvermögen, für mindestens 60 Minuten stehen oder aufrecht sitzen zu können, ist eine Kontraindikation für die perorale Gabe. Wenn Sie mit ambulanten Pflegediensten zusammenarbeiten oder Altenheime beliefern, könnten Sie auf die i.v.-Gabe hinwirken«, riet die Referentin.
Um ösophageale Ulzera zu vermeiden, sei außerdem eine ausreichende Trinkmenge von 200 bis 250 Millilitern essenziell. »Das sagt sich so leicht, ist aber in der Praxis oft ein Problem. Was hilft: Die Patienten müssen diese Menge nicht auf ex trinken, sondern sie können sie über 4 bis 5 Minuten verteilen. Es hilft auch, vor der Einnahme eine kleine Menge und den größeren Rest danach zu trinken«, riet Stahl. Selbstredend dürften die Tabletten weder gelutscht noch zerkaut werden.
Ein weiteres Anwendungs-Muss: »Da Bisphosphonate ohnehin eine miserable Bioverfügbarkeit besitzen, müssen sämtliche pharmazeutische Interventionen vermieden werden, die sie noch weiter verschlechtern würden. So ist die nüchterne Einnahme mit dem richtigen Wasser essenziell.« Bisphosphonate bilden mit mehrwertigen Kationen etwa aus Antacida, Milch und Milchprodukten sowie aus calciumreichem Mineralwasser schwer resorbierbare Komplexe. Auch Leitungswasser mit einer hohen Wasserhärte ist laut Stahl nicht geeignet. Hier lohne ein Anruf bei den Wasserwerken. Die Calcium-Supplemente sind an diesem Tag auszulassen oder mit mehr als zwei Stunden Abstand einzunehmen.
Und: Es braucht auch genügend zeitlichen Abstand zu Kaffee und Orangensaft, sie mindern die Bioverfügbarkeit von Alendronsäure um 60 Prozent. Als einzige Ausnahme von der nüchternen Einnahme stellte Stahl Actonel® 35 mg vor. Dabei handelt es sich um eine magensaftresistente Tablette, deren Einnahme unmittelbar nach dem Frühstück erfolgen sollte.
Um Anwendungsfehler zu vermeiden, empfahl Stahl, mit den Patienten in der Offizin ins Reden zu kommen: »Lassen Sie den Patienten erzählen, wie er seine Tabletten einnimmt und stülpen Sie die vielen Informationen nicht dem Patienten über. Wenn der Patient selbst berichtet, lassen sich Anwendungsfehler schneller herausfinden.« Das sei Kern der pharmazeutischen Betreuung.