| Theo Dingermann |
| 30.08.2023 09:00 Uhr |
Mutiert das Virus, sind Durchbruchinfektionen möglich. Ganz wehrlos ist das geimpfte oder bereits genesende Immunsystem dann jedoch nicht. / Foto: Getty Images/loops7
Die Metropole New York gehörte bereits Anfang 2020 zu den Zentren, wo das Ausmaß der sich anbahnenden Coronapandemie lokal deutlich wurde. Als Reaktion auf das starke Infektionsgeschehen entwickelte eine Gruppe um den renommierten Immunologen Professor Dr. Florian Krammer vom Department of Microbiology der Icahn School of Medicine am Mount Sinai in New York zunächst einen spezifischen und empfindlichen Enzym-linked-Immunosorbent-Assay (ELISA), mit dem sich die humoralen Immunreaktionen gegen das Spike-Protein von SARS-CoV-2 bestimmen ließen.
Gleichzeitig etablierten die Forschenden eine longitudinale Beobachtungskohorte von Mitarbeitern am Mount Sinai Hospital, um im Rahmen dieser »Protection Associated with Rapid Immunity to SARS-CoV-2«-Studie (PARIS) die Kinetik der humoralen Immunreaktionen zu verfolgen. Die in drei Jahren gesammelten Daten veröffentlichten die Forschenden nun als Preprint auf »Medrxiv«.
In die Studie eingeschlossen waren 501 Personen. Von diesen wurden im Zeitraum von April 2020 bis März 2023 regelmäßig Antispike-Bindungs-Antikörper gemessen. Impfungen mit einem mRNA-Impfstoff standen den Studienteilnehmenden ab Mitte Dezember 2020 zur Verfügung.
Es zeigte sich, dass der bekannte und viel diskutierte Abfall des Antikörpertiters nach einer Impfung mit einem der mRNA-Impfstoffe biphasisch verläuft: Auf einen initialen steilen Abfall folgt dann in der Stabilisierungsphase ein flacherer Titerabfall. Bei Personen, die bereits infiziert waren und folglich durch die Impfung eine Hybridimmunität entwickelt hatten, erreichen die Serumtiter nach einer ersten Impfung höhere Werte als bei denjenigen, die zum Zeitpunkt der Erstimpfung noch immunnaiv waren. Zudem fielen die Antikörperkonzentrationen in der Gruppe mit einer Hybridimmunität über die Zeit langsamer ab. Nach der Auffrischimpfung glichen sich jedoch die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen aus. Auch der Titerabfall verlangsamte sich.
Der biphasische Abfall der Antikörpertiter kommt dadurch zustande, dass zunächst Plasmablasten gebildet werden, die für die Spitzentiter nach der Impfung verantwortlich sind. Diese sterben dann aber schnell ab. Die Antikörper persistieren hingegen länger im Körper, denn IgG-Moleküle besitzen eine ungewöhnlich lange Halbwertszeit von etwa vier Wochen. Während der Stabilisierungsphase werden dann Antikörper von langlebigen Plasmazellen gebildet, die inzwischen in das Knochenmark eingewandert sind und von hier aus weiter Antikörper ins Plasma sezernieren.
Die Autoren weisen darauf hin, dass eine langanhaltende Immunreaktion nicht unbedingt langanhaltend vor einer symptomatischen Erkrankung schützt. Denn wenn sich das Virus verändert und so einer neutralisierenden Antikörperreaktion entkommt, erkrankten die Menschen wieder.
Dies wurde mit dem Auftauchen der Omikron-Variante, die sich mit mehr als 30 Mutationen im Spike-Protein deutlich von allen anderen Virusvarianten unterschied, offensichtlich. In der Zeit vor Omikron hatte es nur sehr wenige Durchbrüche in der Studienkohorte gegeben und diese vor allem bei Personen, die immunnaiv geimpft worden waren. Mit dem Auftauchen von Omikron änderte sich das: Jetzt wurden Durchbruchinfektionen auch bei Personen gesehen, die eine Hybridimmunität entwickelt hatten, obwohl diese nach wie vor besser geschützt waren als die immunnaiv Geimpften. Daraus lässt sich ableiten, dass ein relativ stabiler Antikörpertiter gut ist, selbst wenn diese Antikörper nicht in der Lage sind, die neueren Varianten zu neutralisieren.
Die Frage, wie Durchbruchinfektionen einzuschätzen sind, wird durch die Studie dahingehend beantwortet, dass ein erster Durchbruch bei Menschen, die noch nie infiziert waren, wie eine Auffrischungsdosis wirkt. Eine Durchbruchinfektion bei einer hybridimmunen Person führt hingegen nicht zu einer starken Erhöhung der Antikörpertiter im Serum. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass die Virusreplikation und damit die Antigenexposition bei diesen Personen deutlich geringer ist.
Zusammenfassend kommen die Forschenden auf Basis dieser einzigartigen Longitudinalstudie zu dem Schluss, dass mRNA-Impfstoffe keinesfalls nur eine kurzlebige Immunität hervorrufen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.