Die Galenik entscheidet |
Schizophrene Psychosen sind hoch belastend für die Patienten und verkürzen das Leben erheblich. / © Adobe Stock/Tunatura
Schizophrene Psychosen gehören zu den selteneren psychischen Erkrankungen. Die Punktprävalenz beträgt in allen Ländern weltweit etwa 1 Prozent der Bevölkerung, völlig unabhängig von demografischen und wirtschaftlichen Faktoren (1). Es handelt sich um ein Spektrum psychischer Erkrankungen, die mit einem hohen Verlust an Lebensqualität und schwerer Krankheitslast einhergehen (1).
Antipsychotika sind in der Behandlung dieser Erkrankungen unverzichtbar, seit sie 1950 – zunächst in Tablettenform – auf den Markt kamen. Auch die Depotformen haben sich seit der Einführung 1972 als wertvolle Option zur Behandlung von Schizophrenien etabliert. Sie setzen den Wirkstoff über lange Zeit frei und können damit die Therapieergebnisse der Patienten verbessern. Denn rund 90 Prozent der schizophren erkrankten Menschen sind unter oraler Medikation nicht oder nur partiell adhärent (2).
Die Gründe für Non-Adhärenz sind vielfältig und reichen von kognitiver Leistungsbeeinträchtigung, zum Beispiel Vergessen der Einnahme bei komplexen Dosierungsschemata, über Beeinträchtigung durch Nebenwirkungen bis hin zu Wahnsymptomen wie dem Vergiftungswahn. Durch Serumspiegelkontrollen kann die Dosis individualisiert und damit die Wirkung optimiert werden. Die Leitlinie der AGNP (Arbeitsgemeinschaft für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie) führt die therapeutischen Bereiche für alle Antipsychotika auf (3).
Eine (partielle) Non-Adhärenz kann durch Serumspiegelkontrollen nicht sicher erkannt werden, da diese angekündigt werden müssen (»Nehmen Sie morgen die Tabletten bitte nicht vor der Blutentnahme ein«). Ein Patient wird daher vermutlich in den Tagen vor der Blutentnahme zuverlässiger die Medikation einnehmen; dieses Verhalten wird »Weißkittel-Adhärenz« genannt.
Auch durch Befragung des Patienten kann die Adhärenz nicht sicher ermittelt werden. Die vom Patienten berichtete, von Ärzten vermutete und durch unangekündigtes Zählen des -Tablettenvorrats (pill count) in der Wohnung des Patienten ermittelte Adhärenz (definiert als Einnahme von mehr als 80 Prozent der verordneten Dosen) liegen weit auseinander. Bei der Patientenbefragung wird Non-Adhärenz nur zu 16 Prozent erkannt, bei Einschätzung durch den Psychiater zu 42 und durch Tablettenzählen zu 58 Prozent (4).
Bei einer unregelmäßigen Einnahme sinken die Serumspiegel, sodass Konzentrationen unterhalb des wirksamen Bereichs auftreten können (5). Die Serumspiegel korrelieren direkt mit der mesolimbischen Dopamin-Rezeptorblockade. Bei einer Rezeptorbesetzung unter 65 Prozent ist keine antipsychotische Wirkung zu erwarten (6). Dies spiegelt sich in einem erhöhten Rückfallrisiko unter oralen Antipsychotika gegenüber Depotmedikation wider (7). Bereits für die erste Episode sind diese Effekte nachweisbar: Bei schlechter Adhärenz kommt es bei 77 Prozent im ersten Jahr zu einem Rückfall, bei guter Adhärenz bei 30 Prozent (8).
Um eine Pseudoresistenz durch Non-Adhärenz sicher auszuschließen, empfehlen Experten oft den Einsatz von Depotpräparaten, bevor auf das Reserve-Antipsychotikum Clozapin umgestellt wird (10).
Depot-Antipsychotika können die Rehospitalisierungsrate um 45 Prozent reduzieren (9). Die deutlich höhere Adhärenz wirkt sich aber nicht nur positiv auf die psychische Erkrankung, sondern insbesondere auf die somatischen Komorbiditäten aus (11–13). Dies erklärt, warum die Depotgabe die Mortalität gegenüber einer oralen Medikation um 33 Prozent reduziert (14).
▶ Es ist der Vorteil von Depotarzneimitteln generell, dass der behandelnde Arzt genau weiß, wann Non-Adhärenz auftritt: wenn der Patient nicht zum Spritztermin in der Praxis oder Ambulanz erscheint.
Schizophrenien sind die psychischen Erkrankungen mit dem höchsten Verlust an Lebensjahren – für Deutschland errechnet mit 12,3 Lebensjahren – und Lebensqualität (15). Nach jeder psychotischen Episode sprechen die Patienten schlechter auf ihre Medikation an: Positivsymptome bleiben länger bestehen und die Symptome bessern sich weniger (16).
Autoren einer großen Metaanalyse mit mehr als 14.000 Patienten folgern aus ihren Daten, dass die Situation von schizophren erkrankten Menschen deutlich verbessert werden könnte, wenn häufiger Depot-Antipsychotika verordnet würden (17). In Deutschland werden diese mit 8 Prozent der mit Antipsychotika behandelten Patienten im europäischen Vergleich besonders selten eingesetzt (im Vergleich: 21 Prozent in Frankreich), was an der Budgetierung und Sektorierung (Kosten ambulant/Krankenhaus) in Deutschland liegen könnte (17). Obwohl die Depots teurer als die oralen Pendants sind, könnten die Gesamtbehandlungskosten durch Vermeidung von Rehospitalisierungen deutlich reduziert werden (18). Vor- und Nachteile sind patientenindividuell abzuwägen (Kasten, Seite 33).
▶ Diese Erkenntnisse haben einen Paradigmenwechsel eingeläutet: Anstatt Depot-Antipsychotika als »Strafe« bei Non-Adhärenz zu verordnen, werden sie heute angeboten, um die Lebensqualität und die Lebenserwartung zu verbessern (19).
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Im klinischen Alltag haben Depot-Antipsychotika diverse Vor- und Nachteile, die bei jedem Patienten individuell abzuwägen sind. Vorteile sind:
Nachteile sind:
Depot-Antipsychotika sind speziell formulierte Arzneimittel, die den Wirkstoff langsam über einen längeren Zeitraum relativ kontinuierlich freisetzen. Diese Formulierungen nutzen Trägersubstanzen wie Ölsuspensionen, Polymere oder Mikrosphärulen.
Geeignet sind nur Wirkstoffe, die in niedrigen Dosierungen (um 1 bis 20 mg/Tag) eingesetzt werden, da das intramuskuläre Injektionsvolumen zwischen etwa 0,1 bis 4 ml liegt. Nur Wirkstoffmengen, die in diesem Volumen gelöst oder suspendiert werden können, eignen sich für die Depotgabe.
Die Galenik spielt eine entscheidende Rolle bei der Wirkstofffreisetzung und der Wirkdauer. Durch stete Weiterentwicklungen wurden in den letzten Jahren Injektionsintervalle von bis zu 26 Wochen ermöglicht (Invega Hafyera®, nur in den USA zugelassen). Man unterscheidet grundsätzlich vier Retardierungsprinzipien (Grafik).
Retardierungsprinzipien für langsam freisetzende Injektionen (von oben): ölige Lösung, Suspensionen, Polymer-Mikrosphärulen sowie ISM-(In-situ-Mikropartikel-)Polymerimplantat. Gezeigt ist das Arzneimittel in der Spritze vor der Injektion sowie sein Verhalten in vivo. Bezeichnet wird der hauptsächliche Freisetzungsmechanismus. / © PZ/Stephan Spitzer
Die unterschiedlichen Retardierungsprinzipien haben zur Folge, dass das Vorgehen bei Beginn und bei Vergessen oder Auslassen eines Depots sehr unterschiedlich ist. Auch gibt es Unterschiede hinsichtlich Lagerung und Transport, Applikationsort, Zeit bis zum Erreichen des Steady States und Injektionsvolumen (Tabellen 1 und 2).
Wirkstoff, Handelsname (Beispiele) | Flupentixol, Fluanxol® | Haloperidol, Haldol® | Zuclopenthixol, Ciatyl-Z® |
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Darreichungsform | Ampulle | Ampulle | Ampulle |
Kühlung | keine Kühlung bei Lagerung/Transport | keine Kühlung bei Lagerung/Transport | keine Kühlung bei Lagerung/Transport |
Injektionsintervall (Tage) | 14 bis 28 | 14 bis 28 | 14 bis 28 |
Retardierungsprinzip | Ester in öliger Lösung | Ester in öliger Lösung | Ester in öliger Lösung |
Nachbeobachtung nach Injektion | nein | nein | nein |
Injektionsort | gluteal | gluteal | gluteal |
Kinetische Besonderheiten | keine Anpassung bei Nierenfunktionsstörungen, TDM bei Leberfunktionsstörungen empfohlen | vorsichtige Dosistitration oder Alternativmedikament bei CYP2D6-poor-metabolizern erforderlich | Dosisreduktion bei CYP2D6-intermediär- und -poor-metabolizern erforderlichVorsicht bei Leber- und Nierenfunktionsstörungen |
Wirkstoff (alphabetisch), Handelsnamen | Aripiprazol, Abilify Maintena® | Olanzapin, Zypadhera® | Paliperidon, Xeplion®, Trevicta® | Risperidon 14 Tage, Risperdal consta® | Risperidon ISM, Okedi® |
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Darreichungsform | Fertigspritze, Durchstechflasche | Durchstechflasche | Fertigspritze | Durchstechflasche | Fertigspritze |
Kühlung bei Lagerung und Transport | keine | keine | keine | Kühlkette bei Lagerung/Transport, bei RT/ Unterbrechung Kühlkette nur 7 Tage haltbar | keine |
Injektionsintervall (Tage), verfügbare Dosierungen | 28 (200 bis 400 mg)56 (720 und 960 mg) | 14 bis 28(205, 300 und 410 mg) | 28 (25,50, 75,100 und 150 mg)84 (175,263, 375 und 525 mg) | 14 (25, 37,5 und 50 mg) | 28 (75 und 100mg) |
Retardierungsprinzip | schwerlösliches Lyophilisat in Suspension auf Wasserbasis | schwerlösliches Salz in Suspension auf Wasserbasis | schwerlöslicher Ester in Suspension auf Wasserbasis | Mikrosphärulen in Suspension auf Wasserbasis | In-situ-Mikropartikel, biphasische Freisetzung |
Nachbeobachtung nach Injektion | nein | ja, 3 Stunden | nein | nein | nein |
Injektionsort | 1-Monatsdepot: gluteal oder deltoidal2-Monatsdepot gluteal | gluteal | deltoidal oder gluteal | deltoidal oder gluteal | deltoidal oder gluteal |
Kinetische Besonderheiten | Dosisreduktion bei CYP2D6-poor-metabolizern erforderlich, keine Anpassung bei Nieren- und leichten bis mittelschweren Leberfunktionsstörungen | niedrigere Spiegel bei Rauchern, Dosisanpassung bei Patienten mit mittelschweren Leberfunktionsstörungen, Frauen haben höhere Spiegel | soll nicht bei Nierenfunktionsstörungen mit GFR <50 ml/min eingesetzt werden, keine Dosisanpassung bei Leberfunktionsstörungen | vorsichtige Dosistitration oder anderes Medikament bei CYP2D6-poor-metabolizern erforderlich | vorsichtige Dosistitration oder anderes Medikament bei CYP2D6-poor-metabolizern erforderlich |
Grundsätzlich ist es möglich, ein Depotarzneimittel flexibel mit einem oralen Medikament zu kombinieren. Viele Patienten erhalten ohnehin zwei Antipsychotika (29). Eine in der klinischen Praxis häufige Kombination ist zum Beispiel Depot plus Quetiapin retard (das aufgrund der hohen Dosis nicht als Depot verfügbar ist). Das heißt: Der Patient erhält ein »Basis-Depot« sowie ein zweites, schnell und leicht zu steuerndes Antipsychotikum, das häufig bei Schlafstörungen oder als Bedarfsmedikation eingesetzt wird. Bei klinischer Verschlechterung kann das orale Medikament schnell höher dosiert werden. Auch Doppel-Depotgaben sind grundsätzlich möglich (30).
▶ Bei der Antipsychotika-Kombination ist immer darauf zu achten, dass sich die Rezeptorprofile möglichst voneinander unterscheiden, zum Beispiel Aripiprazol plus Quetiapin oder Risperidon plus Quetiapin oder Risperidon plus Olanzapin.
Innovationen umfassen die Entwicklung neuer Darreichungsformen wie subkutane Injektionen, die eine einfachere Anwendung ermöglichen. Aktuell schon in den USA verfügbar ist Risperidon-RBP-7000 (Uzedy®). Auch hier handelt es sich um Mikrosphärulen aus Poly-D,L-Lactid-co-Glycolid (PLGA) wie bei Risperdal consta® (34). Die Formulierung basiert auf einem biologisch abbaubaren In-situ-PLGA-Implantat, das im Gegensatz zu allen bisherigen Depot-Antipsychotika subkutan verabreicht wird (35).
Das subkutan applizierbare Depot ist in den USA als Ein- und Zweimonatsdepot zugelassen. Es wird in der Arztpraxis oder Ambulanz in die Rückseite des Oberarms injiziert (keine Selbstapplikation durch Patienten). Die Spiegel schwanken mehr als bei intramuskulären Depots (36). Der Vorteil einer subkutanen gegenüber der intramuskulären Injektion ist also nicht eindeutig. Es kann aber eine Therapieoption für Patienten mit Antikoagulation eröffnen, bei denen intramuskuläre Gaben generell nicht möglich sind.
Interessant ist, dass der subkutane Verabreichungsweg aktuell für Olanzapin geprüft wird. Bei der intramuskulären Gabe sind in den Zulassungsstudien bei 0,07 Prozent der Injektionen Postinjektionssyndrome aufgetreten, also Zustände durch hohe Serumkonzentrationen von Olanzapin, die durch Verletzung größerer Blutgefäße erreicht werden können. Dabei entwickelt der Patient innerhalb von drei Stunden starke Müdigkeit und eine delirante Symptomatik mit Desorientiertheit. Bei subkutaner Gabe würde kein Postinjektionssyndrom auftreten und somit die dreistündige Nachbeobachtungszeit entfallen. Dies wäre ein großer Vorteil für die Patienten.
Therapeutisches Drug Monitoring (TDM) ist bei der Anwendung von Depot-Antipsychotika nicht routinemäßig erforderlich, kann aber in bestimmten Fällen hilfreich sein. Es dient zur Optimierung der Dosierung, insbesondere bei Patienten mit Niereninsuffizienz oder bei Interaktionen oder genetischen Polymorphismen.
Therapeutisches Drug Monitoring kann hilfreich sein bei einer Umstellung von oraler Medikation auf ein Depot. Wichtig ist, dass die Blutabnahme vor der Medikation erfolgt. / © Adobe Stock/Ronald Rampsch
Bei einer Umstellung von oraler Medikation auf ein Depot kann TDM manchmal nützlich sein, um den individuellen Wirkspiegel, unter dem der Patient mit oraler Medikation stabil war, zu ermitteln. Diesen gilt es, nach erfolgter Umstellung wieder zu erreichen. Dabei muss die Blutabnahme zu Talspiegelbedingungen und im Steady State erfolgen. Dabei ist zu beachten, dass der Steady State zum Teil erst Monate nach der ersten Depotgabe erreicht wird, sodass die Wirkstoffkonzentration im Serum bis dahin noch ansteigen wird (Tabellen 3 und 4).
Die Blutentnahme erfolgt am Depottag, unmittelbar vor der Injektion. Spezifische therapeutische Bereiche für Depot-Antipsychotika sind (noch) nicht definiert; es gelten grundsätzlich die gleichen therapeutischen Bereiche wie unter oraler Applikation. In der klinischen Beobachtung und aus einigen Studien ist bekannt, dass Depotformen insgesamt etwas niedrigere, meist am unteren therapeutischen Bereich liegende, jedoch gleichmäßigere Spiegel erzeugen (31–33). Bei unerwartet niedrigem Spiegel bei sehr adipösen Patienten ist die ausreichende Kanülenlänge zu überprüfen.
Wirkstoffe, Handelsnamen | Flupentixol, Fluanxol® | Haloperidol, Haldol® und andere | Zuclopenthixol, Ciatyl-Z® |
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Eliminationshalbwertszeit (t1/2) (Tage) | 7 bis 10 | 21 | 19 |
Zeit bis zu Plasma-Spitzenspiegeln (tmax) (Tage) | 4 bis 8 | 3 bis 9 | 4 bis 7 |
Zeit bis zum Steady State (Monate) | 3 | 2 bis 4 | 2 |
Besonderheiten bei Beginn | Weitergabe der oralen Medikation für eine Woche in absteigender Dosis | Absetzen der oralen Medikation sofort möglich, orale Gabe kann nötig sein | Absetzen der oralen Medikation sofort möglich, orale Gabe kann nötig sein |
Besonderheiten bei Vergessen oder Auslassen | kein Vorgehen in Fachinfo beschrieben | kein Vorgehen in Fachinfo beschrieben | kein Vorgehen in Fachinfo beschrieben |
Wirkstoffe (alphabetisch), Handelsnamen | Aripiprazol, Abilify Maintena® | Olanzapin, Zypadhera® | Paliperidon, Xeplion®, Trevicta® | Risperidon 14 Tage, Risperdal consta® | Risperidon ISM, Okedi® |
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Eliminationshalbwertszeit (t1/2) (Tage) | 29,9 bis 46,5 | 30 | 25 bis 49 (1-Monatsdepot)84 bis 139 (3-Monatsdepot) | 3 bis 6 | 9 bis 11 |
Zeit bis zu Plasma-Spitzenspiegeln (tmax) (Tage) | 5 bis 7 (1-Monatsdepot)42 (2-Monatsdepot) | 4 | 13 (1-Monatsdepot)33 (3-Monatsdepot) | 28 | 2 |
Zeit bis zum Steady State (Monate) | 4 (1-Monatsdepot)8 (2-Monatsdepot) | 7 | 8 bis 9 (1-Monatsdepot)15 (3-Monatsdepot) | 2 | 1 |
Besonderheiten bei Beginn | Weitergabe der oralen Medikation für 2 Wochen nötig, alternativ Gabe von 2 Spritzen an Tag 1 möglich (2×400 mg bei 1-Monatsdepot oder 960 plus 400 mg bei 2-Monatsdepot) | Absetzen der oralen Medikation sofort möglich, Loading dose nach 14 Tagen (bei Dosierungen >10 mg oral) | Boosterung an Tag 8 erforderlich (100 mg), Einstellung auf 3-Monatsdepot nur nach Einstellung auf 1-Monatsdepot möglich | Weitergabe der oralen Medikation für 3 Wochen nötig | Absetzen der oralen Medikation sofort möglich |
Besonderheiten bei Vergessen oder Auslassen | sehr differenziertes Vorgehen je nach Anzahl bereits erhaltener Spritzenorale Medikation und/oder Boosterung erforderlich | kein Vorgehen in Fachinfo beschrieben | unterschiedliches Vorgehen für Boosterung und 2. Injektion versus Erhaltungstherapie sowie je nach Tagen, die überschritten wurdenGabe von mehreren Injektionen erforderlich, um wieder wirksame Spiegel zu erreichen | kein Vorgehen in Fachinfo beschrieben | Gabe unmittelbar möglich, keine orale Supplementation oder Boosterung nötigneues Injektionsintervall: 28 Tage |
Die Injektionsintervalle liegen je nach Präparat zwischen zwei und zwölf Wochen (Tabellen 1 und 2). Viele Patienten bevorzugen ein langes Injektionsintervall, da dies mit weniger Spritzen verbunden ist. Viele Erstgenerations-Depots müssen zwei- bis vierwöchentlich verabreicht werden.
Bei Olanzapin (Zypadhera®) hängt es von der oralen Dosis ab, ob eine zwei- oder vierwöchentliche Gabe erfolgen kann. Zudem muss aspiriert werden, um zu prüfen, dass kein größeres Blutgefäß durch die Kanüle verletzt wurde. Ansonsten kann innerhalb von drei Stunden ein Postinjektionssyndrom auftreten. Patienten müssen daher nach jeder Injektion drei Stunden beobachtet werden. Darüber sind sie vor der Gabe des ersten Depots und bei jeder weiteren Applikation aufzuklären.
Zu achten ist auch auf die Kanülen. Bei den Depots mit Zweitgenerations-Antipsychotika sind die entsprechenden Spritzen und Kanülen in der Umverpackung enthalten. Vorsicht: Bei sehr adipösen Patienten muss eine längere Kanüle (70 mm) benutzt werden. Bei subkutaner Gabe (mit zu kurzer Kanüle) reicht die Retardierung nicht aus, um langfristig stabile Konzentrationen zu erreichen: Ein Rückfall droht.
Erstgenerations-Antipsychotika enthalten keine Verbrauchsmaterialien, sondern nur die Glasampullen. Entsprechend sind 1-, 2- oder 5-ml-Spritzen sowie 51-mm-Kanülen für die gluteale Applikation (Tabelle 1) gesondert nötig.
Bei Atypika kann die Injektion je nach Depotpräparat deltoidal (in den Deltamuskel über dem Schultergelenk) oder/und gluteal (in den Gesäßmuskel) erfolgen (Tabelle 2). Für die gluteale Injektion ist eine längere Kanüle (51 mm) erforderlich als für die deltoidale Gabe (25 mm). Nach Möglichkeit sollte die Stelle gewählt werden, die für den Patienten angenehmer ist.
Grundsätzlich scheint es so, dass bei deltoidaler Gabe höhere Spitzenspiegel erreicht werden, die jedoch schneller abfallen (verkürzte Eliminationshalbwertszeit [37]). Eine gluteale Gabe erzielt niedrigere Spitzenspiegel und eine gleichmäßigere Wirkung. Alle Depots zeigen eine sogenannte Flip-Flop-Kinetik, das heißt, dass die Elimination größer ist als die Absorption.
Fast alle Depot-Antipsychotika können bei Raumtemperatur gelagert werden (Tabelle 2). Es handelt sich um Lyophilisate oder Wirkstoffkristalle, die erst nach Zugabe von Wasser (bei Rekonstitution) nicht mehr lange stabil sind. Einzige Ausnahme: Mikrosphärulen (Risperdal consta®) sind nur bei kalten Temperaturen stabil. Hier ist die Einhaltung der Kühlkette zwingend erforderlich.
Paliperidon-Depot und eine Aripiprazol-Formulierung liegen in einer Fertigspritze vor. Alle anderen Depotpräparate müssen vor der Anwendung rekonstituiert werden und sind dann nur begrenzte Zeit haltbar. Teilweise erfolgt die Rekonstitution in Durchstechflaschen, teilweise in Fertigspritzen. Depots mit Erstgenerations-Antipsychotika sind direkt gebrauchsfertig in der Ampulle.
Die Rekonstitution muss exakt nach den Anweisungen des Herstellers erfolgen. Hier können auch Medikationsfehler auftreten, was zu einer Über- oder Unterdosierung führen kann. Eine In-House-Schulung, die die meisten Hersteller kostenlos anbieten, ist sinnvoll, um Medikationsfehler zu vermeiden.
Bei jeder Änderung der antipsychotischen Therapie muss der Patient genau informiert und überwacht werden. / © Adobe Stock/Christian Schulz
Zu Beginn der Behandlung mit Depot-Antipsychotika kann eine initiale Booster-Dosis oder eine überlappende Gabe mit oralen Antipsychotika notwendig sein, um Serumspiegel im therapeu-tischen Bereich zu erreichen. Diese Strategien helfen, die Wirkung innerhalb der ersten Wochen zu erreichen, und minimieren so das Risiko von Rückfällen.
Ob dieses Boostern erforderlich ist, hängt von der Zeit bis zu Plasma-Spitzenspiegeln (tmax) ab, die zwischen den Präparaten stark variiert (Tabellen 3 und 4). Ebenso differiert die Zeit bis zum Erreichen des Steady State erheblich.
Bei Erstgenerations-Antipsychotika ist der Patient in der ersten Woche nach der Injektion engmaschig zu beobachten, ob die weitere orale Gabe noch erforderlich ist oder ob bei Fortsetzung der oralen Medikation bereits EPS auftreten.
Bei einer vergessenen oder ausgelassenen Dosis sollte der Patient so bald wie möglich ärztlichen Rat einholen. Das Vorgehen ist je nach Präparat und vor allem auch Anzahl der bisher erhaltenen Injektionen und dem Zeitraum der Überschreitung des Injektionsintervalls sehr unterschiedlich (Tabelle 4). Detaillierte Informationen findet man in den Fachinformationen.
Nur bei Risperidon ISM wird die Injektion einfach schnellstmöglich nachgeholt und die nächste Injektion wieder in einem 28-Tage-Intervall appliziert. Eine orale Ergänzung oder Boosterung ist nicht erforderlich. Bei den anderen Depots muss man das alte Injektionsschema beibehalten. Als Beispiel: Kommt ein Patient fünf Tage verspätet zur Injektion, so muss die nächste Gabe schon nach 23 Tagen erfolgen (bei 28-Tage-Injektionsintervall).
Völlig unklar ist das Vorgehen bei Erstgenerations-Antipsychotika und einigen anderen Präparaten, da in den Fachinformationen keine Angaben zum Vorgehen bei Auslassen einer Injektion zu finden sind. Hier muss der klinisch erfahrene Psychiater individuell entscheiden, wie er vorgeht.
Depot-Antipsychotika sind nach dem Absetzen noch wochen- bis monatelang (je nach Anzahl erhaltener Injektionen und Halbwertszeit) im Körper nachweisbar (Tabellen 3 und 4). Eine direkte Umstellung auf ein anderes Depot ist daher erst nach einer längeren Zeit möglich.
Praktisch geht man meist so vor, dass man ein neues Antipsychotikum in oraler Darreichungsform am Tag des eigentlich fälligen Depots startet und dies über den Verlauf der nächsten Wochen schrittweise aufdosiert. In dieser Überlappungsphase sind engmaschige Arztkontakte auf Nebenwirkungen wie EPS und eine ausreichende Wirkung ratsam. Bei stabilem psychischen Befinden kann dann erneut auf ein Depot mit dem neuen Wirkstoff (sofern verfügbar) umgestellt werden, wenn dies vom Patienten gewünscht wird.
Es kann zu einer Verwechslung von Akut- mit Depotinjektionen (für Haloperidol, Zuclopenthixol, Aripiprazol und Olanzapin) und vice versa kommen.
Durch unzureichende Rekonstitution kann es zu einer Unterdosierung kommen (Rest in der Durchstechflasche). Zudem können nicht aufgelöste Partikel die Kanüle verstopfen, sodass die Injektion abgebrochen und erst eine neue Kanüle aufgesetzt werden muss, um den Rest zu injizieren. Eine korrekte Rekonstitution ist daher sehr wichtig.
Es können Denkfehler bei der Rekonstitution auftreten. Als Beispiel: Statt eines veränderten Injektionsvolumens zur Dosisreduktion wird das Rekonstitutionsvolumen geändert. Dies ist vor allem bei Aripiprazol Pulver 300/400 mg in der Durchstechflasche zu beachten, denn so sind Überdosierungen möglich.
Zu Behandlungsbeginn oder bei Auslassen einer Dosis kann die Boosterung vergessen werden.
Beim Applikationsschema kann es zu Fehlern kommen. Sind zum Beispiel Injektionen an Tag 1, Tag 8 und dann alle 28 Tage vorgeschrieben, so kann eine Injektion an den Tagen 1, 8 und 28 erfolgen anstatt richtigerweise 1, 8 und 36.
Empathisch und fachlich solide beraten: Das ist die Stärke der Apothekerinnen und Apotheker, gerade in schwierigen Situationen. / © LAK BW
Eine Doppelgabe ist möglich bei Dokumentations- oder Ansetzfehlern (falsches Injektionsintervall, Gabe nicht dokumentiert, Boosterung nicht angesetzt) in der Patientenakte, dem Krankenhausinformationssystem oder der Praxissoftware und durch Schichtwechsel.
Wird aus Versehen deltoidal statt gluteal gespritzt, erleidet der Patient vermehrte Schmerzen und höhere Konzentrationen sind zu erwarten. Das EPS-Risiko ist erhöht.
Flupentixol-Depot gibt es in zwei Stärken: 2 Prozent und 10 Prozent. Verwechslungen sind möglich, da historisch bedingt oft nur in »ml« verordnet wird (nicht in mg).
Bei Antikoagulation ist eine intramuskuläre Gabe gemäß Herstellerangaben der Antikoagulanzien (inklusive DOAK und Thrombozytenaggregationshemmer) nicht möglich, da massive Blutungen auftreten können. Eine subkutane Verabreichung, wie bei Impfungen, ist mit den in Deutschland zugelassenen Depot-Antipsychotika (Stand 08/2024) nicht möglich.
Ist ein schizophren erkrankter Patient unzufrieden mit seiner oralen Medikation, können Offizinapotheker ihn im Beratungsgespräch informieren, ob dieser Wirkstoff auch als Depot verfügbar wäre und welche Vor- und Nachteile eine Depotmedikation mit sich bringt. Wenn der Patient zunächst ablehnend reagiert, lohnt es sich, das Gespräch nicht abzubrechen. Man sollte vielmehr nach den Gründen fragen und aktiv zuhören.
In Krankenhäusern beraten klinische Pharmazeuten oft »pro Depot«, da diese Applikationsweise für die meisten Patienten vorteilhaft ist. Folgende Strategien und Inhalte können in der Gesprächsführung hilfreich sein:
Fazit: Für Patienten bieten Depots die Chance auf höhere Lebensqualität, weniger Rückfälle und verringerte Mortalität. Wichtig ist, dass sie die für sich beste Behandlung auswählen können.
Martina Hahn ist Fachapothekerin für Klinische Pharmazie. Derzeit arbeitet sie in der psychiatrischen Klinik des Universitätsklinikums Frankfurt und der Klinik für psychische Gesundheit am varisano Klinikum Frankfurt Höchst als Klinische Pharmazeutin. Sie ist seit 2021 Professorin in Klinischer Pharmazie an der Philipps-Universität Marburg.
Sibylle C. Roll ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Zusatzbezeichnung Suchtmedizin und als Dozentin an mehreren Ausbildungsinstituten und Universitäten tätig. Sie ist Professorin für Klinische Pharmazie am College of Pharmacy der Universität Florida. Professor Roll ist seit November 2020 Chefärztin der Klinik für psychische Gesundheit am varisano Klinikum Frankfurt Höchst.