Die Frau hinter der Entdeckung |
Christina Hohmann-Jeddi |
25.04.2023 18:00 Uhr |
Dass die DNA eine Doppelhelix -Struktur hat, ist seit genau 70 Jahren bekannt. Aufgeklärt wurde der Aufbau von zwei britischen Forscherteams. / Foto: Getty Images/Science Photo Library
1953 erschien in der Fachzeitschrift »Nature« ein einseitiger Artikel, in dem die Struktur der Desoxyribonukleinsäure (DNA) beschrieben wurde. Das Molekül ist eine Doppelhelix mit außenliegenden Phosphat-Zucker-Strängen und nach innen liegenden Basen, die Paare bilden, ähnlich einer verdrehten Strickleiter. Die Publikation des Briten Francis Crick und des Amerikaners James Watson legte damals offen, wie die Erbinformation in Zellen gespeichert und bei der Zellteilung weitergegeben werden kann. Dies führte zu bahnbrechenden Entwicklungen in der Medizin, die letztlich in der Entzifferung des menschlichen Genoms, der Entwicklung von Gentherapien und der mRNA-Technologie gipfelte. Dabei bleibt häufig unberücksichtigt, dass zeitglich noch zwei weitere Artikel in derselben Nature-Ausgabe erschienen sind, in denen die experimentellen Daten veröffentlicht wurden, die das Modell bestätigten.
Zum Hintergrund: Anfang der 1950er-Jahre war die DNA bereits bekannt und wurde auch als Träger der Erbinformation vermutet, aber die genaue Struktur war noch nicht entschlüsselt. In Großbritannien arbeiteten zwei Teams an dieser Aufgabe: Watson und Crick forschten an der Universität Cambridge und Maurice Wilkins und Rosalind Franklin am King’s College London. Während das Cambridge-Team Modelle entwickelte, hatten die Forschenden vom Kings College eine empirische Herangehensweise und setzten vor allem auf die Röntgenstrukturanalyse, bei der die Struktur von Molekülen durch Beugen von Strahlung an dem Molekül sichtbar gemacht wird. Franklin, eine in London geborene Biochemikerin, war eine ausgesprochene Expertin auf dem Gebiet der Röntgenstrukturanalyse.
Sie war 1951 von Paris an das King’s College gewechselt und wurde dort auf die Aufklärung der DNA-Struktur angesetzt, an der bereits Wilkins arbeitete. Das Verhältnis zwischen den beiden war schlecht, vor allem auch weil Franklin – anders als erwartet – Wilkins nicht als Assistentin unterstellt war, sondern gleichberechtigt arbeitete. Die Teams aus London und Cambridge waren im Prinzip Konkurrenten in diesem Wettlauf um die Aufklärung der DNA-Struktur, sie kooperierten aber in gewissem Umfang. Vor allem die drei Männer pflegten einen wissenschaftlichen Austausch.
Inzwischen ist anerkannt, dass Watson und Crick ihr Modell der DNA ohne Franklins Daten nicht hätten erstellen können. Vor allem eine Röntgenstrukturaufnahme der B-Form der DNA, das berühmte »Foto 51«, das Franklin und ihr Doktorand Raymond Gosling 1952 machten, spielt hierbei eine Rolle. Es ist eine besonders klare Aufnahme des Makromoleküls, aus der die helikale Struktur abgeleitet werden kann. Dieses Foto übergab Franklin ihrem Kollegen Wilkins, als sie sich 1953 darauf vorbereitete, das King’s College aufgrund der unangenehmen, von Frauenfeindlichkeit geprägten Arbeitsatmosphäre zu verlassen.
Rosalind Franklin trug mit ihrer Forschung maßgeblich zur Aufklärung der DNA-Struktur bei. / Foto: picture alliance/World History Archive
Wilkins zeigte die Aufnahme schließlich ohne explizite Erlaubnis Watson, als dieser das Labor in London besuchte. Dies beschreibt Watson in seinem 1968 erschienen autobiografischen Bestseller »Die Doppelhelix« als einen Schlüsselmoment: »In dem Augenblick, als ich das Bild sah, klappte mir der Unterkiefer herunter, und mein Puls flatterte. Das Schema war unvergleichlich viel einfacher als alle, die man bis dahin erhalten hatte.« Dieses Foto gilt als »Stein der Weisen« der Molekularbiologie und als ausschlaggebender Hinweis, der schließlich zur Aufklärung der DNA-Struktur führte. Es gilt als Sinnbild für die wissenschaftliche Leistung Franklins und gleichzeitig für ihre unfaire Behandlung.
Dies entspreche aber nicht exakt der Wahrheit, schreiben jetzt der Historiker Professor Dr. Nathaniel Comfort (Biograf von Watson) und der Zoologe Professor Dr. Matthew Cobb (Biograf von Crick) in einem Meinungsbeitrag in der April-Ausgabe von »Nature« – genau 70 Jahre nach der Veröffentlichung der Erstbeschreibung der Doppelhelix-Struktur. Diese Darstellung unterschätze das Können Franklins, da angenommen würde, dass sie die Bedeutung der eigenen Aufnahme, die acht Monate in ihren Unterlagen gelegen hatte, nicht erfasst hätte, während Watson sie auf einen Blick erkannte.
Vielmehr hätte Franklin ihre Daten sehr wohl interpretieren können. Aber sowohl ihr als auch Watson sei bewusst gewesen, dass eine einzelne Aufnahme in der Wissenschaft kaum Aussagekraft hat und auch ein Artefakt sein könnte. Zudem deute das Foto lediglich darauf hin, dass es sich bei der B-Form der DNA um eine Art von Helix handelt, was ohnehin bereits angenommen wurde. Comfort und Cobb argumentieren, dass andere Daten aus Franklins Labor für die Arbeit von Watson und Crick bedeutsamer waren.
Franklin hatte ihre wichtigsten Ergebnisse in einem kurzen Bericht an einen Geldgeber des King’s College, das Medical Research Council (MRC), zusammengefasst. Der Vorgesetzte von Watson und Crick, Max Perutz, der ebenfalls dem MRC angehörte, gab diesen nicht vertraulichen Bericht an seine beiden Mitarbeiter weiter. Das geschah zwar ohne Erlaubnis der King’s-Gruppe, bewusst war den Londoner Forschern aber schon, dass ihre Daten in Cambridge bekannt waren. Diese Daten hatte Franklin zudem schon in einem Vortrag vorgestellt, zu dem Watson eingeladen gewesen war, dem er aber inhaltlich nicht folgen konnte, wie er selbst in seinem Buch beschreibt.
In dem Bericht beschrieb Franklin die DNA als Helix mit C2-Symmetrie, was bedeutet, dass die Phosphat-Zuckerstränge in entgegengesetzte Richtung verlaufen. Dies habe bei der Entschlüsselung der Struktur geholfen, entwickelt hätten Watson und Crick das Modell aber durch ein mehrwöchiges systematisches Ausprobieren mit Pappkärtchen, schreiben Comfort und Cobb in ihrem Kommentar. Sie verwendeten dann Franklins Daten, um ihr Modell zu prüfen. Hierzu hätten sie die Genehmigung der Forschenden vom King’s College einholen und dieses Vorgehen mit einer Würdigung in ihrer Publikation klar benennen sollen, kommentieren die beiden Biografen. In einem Nature-Artikel von 1954 nannten Watson und Crick Franklins Bericht schließlich als Quelle, ohne die es »höchst unwahrscheinlich bis unmöglich« gewesen wäre, das Modell zu entwickeln.
Insgesamt müsse Franklin nicht als Opfer von wissenschaftlichem Fehlverhalten, sondern als gleichwertiger Teil eines vierköpfigen Teams gesehen werden, dem es gelang, die Struktur der DNA aufzuklären, schreiben Comfort und Cobb. Ein Artikel einer Journalistin des »Time Magazine«, dessen Entwurf die beiden Biografen nun entdeckten, hätte dieses Bild geradegerückt – er war aber wegen wissenschaftlicher Schwächen im Text nie gedruckt worden. So erhielt Franklin zu Lebzeiten nicht den ihr gebührenden Ruhm für ihre Leistungen. Als Watson und Crick zusammen mit Wilkins 1962 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden, war Franklin bereits vier Jahre tot. Sie starb 1958 an einer Krebserkrankung, die vermutlich durch die bei der Röntgenstrukturanalyse verwendete Strahlung verursacht wurde.
Franklins Geschichte korrekt zu erzählen, sei wichtig, schreiben Comfort und Cobb. »Sie war nicht nur mit dem Alltagssexismus dieser Zeit, sondern auch mit subtileren Formen in der Wissenschaft konfrontiert, von denen einige noch heute bestehen.«