»Die Belastungsgrenze ist erreicht!« |
08.06.2022 16:30 Uhr |
Lars-Alexander Mohrenweiser, Vizepräsident der Kammer Sachsen-Anhalt, warnt vor Personal-Engpässen in den Apotheken. / Foto: Rohrer/PZ
Die Delegiertenversammlung der Landesapothekerkammer Sachsen-Anhalt hat am heutigen Mittwoch unter besonderen Rahmenbedingungen stattgefunden. Der langjährige Kammerpräsident Jens-Andreas Münch konnte krankheitsbedingt nicht an der Sitzung teilnehmen. Also musste kurzerhand Lars-Alexander Mohrenweiser, zweiter Vizepräsident der Kammer, einspringen, die Sitzung leiten und auch die Rede zur politischen Lage halten. Ebenfalls besonders war der Termin der Kammerversammlung. Denn die Standesvertretung der Apotheker rechnet in diesen Tagen mit dem Schiedsspruch zu den pharmazeutischen Dienstleistungen.
Ganz unabhängig davon, ob eine der beteiligten Verhandlungsparteien (Deutscher Apothekerverband und GKV-Spitzenverband) gegen den Schiedsspruch möglicherweise klagt, wäre das Urteil der Schiedsstelle sofort gültig. Heißt konkret: Die Apotheken könnten die in der Vereinbarung vorgesehenen Dienstleistungen sofort vergütet anbieten. Mohrenweiser wies darauf hin, dass auch die Kammer noch keine konkreten Inhalte des Schiedsspruches kenne, er sei sich aber »ziemlich sicher«, dass auch die Medikationsanalyse dabei sei. Positiv an den neuen Dienstleistungen sei, dass mit ihnen die pharmazeutische Tätigkeit in der Offizin aufgewertet werde, was wichtig sei, um Nachwuchsapotheker von der Arbeit in der Apotheke vor Ort zu überzeugen.
Allerdings ist die Personaldebatte aus Mohrenweisers Sicht auch gleichzeitig die »Kehrseite« der Dienstleistungen. »Eine Medikationsanalyse macht man nicht so eben mal nebenbei – wir werden einen höheren Personalbedarf haben.« Schon in der Coronavirus-Pandemie habe sich aber gezeigt, dass die Personaldecke in den meisten Betriebsstätten viel zu dünn sei. Aus Mohrenweisers Sicht wäre es aber fatal, das Dienstleistungsprojekt wegen Personal-Bedenken nicht weiter zu verfolgen.
Grundsätzlich zeigte sich der Vize-Präsident aber alarmiert: Er verwies auf eine ABDA-Studie zur Personallage in den Apotheken, nach der in den kommenden zehn Jahren eine Personallücke von bis zu 13.000 Fachkräften entstehen könnte. »Durch Zusatzaufgaben könnte sich diese Situation immer weiter verschärfen.« Gerade in Sachsen-Anhalt könnte dies der Fall sein. Denn im Vergleich zu einigen westdeutschen Bundesländern sei das Durchschnittsalter der Apothekeninhaber im Land laut Kammerzahlen zwar noch recht niedrig, auch die Apothekenzahl im Land sei zuletzt nicht so stark gesunken wie in anderen Bundesländern. Die Kammer rechnet aber laut einer Analyse damit, dass man die Entwicklungen auf Bundesebene noch vor sich habe.
Mohrenweiser wies zudem darauf hin, dass sich auch beim Thema Vergütung Missstände in den Apotheken ergeben könnten. »Wir erbringen mehr Leistungen, brauchen mehr Personal und wollen die Fachkräfte halten – dazu benötigen wir eine angemessene Honorierung.« Die beiden Pandemiejahre hätten den Apotheken zwar »deutliche Steigerungen« eingebracht – allerdings seien dies fast vollständig Sondereffekte gewesen. Auch aus dem Delegiertenkreis gab es zu diesem Punkt einige Nachfragen. Einige wiesen auf die zusätzlichen Dokumentationspflichten hin, wie etwa bei der Präqualifizierung. Auch Anträge von barrierefreien Apotheken-Eingängen wurden besprochen. Mohrenweiser versicherte, dass es in den Gesprächen mit der Politik nicht nur um Honorarthemen gehe, sondern auch um den Bürokratieabbau. Er gab seinen Kollegen aber Recht: »Die Belastungsgrenze ist erreicht!«
Besorgt zeigte sich Mohrenweiser auch mit Blick auf die Situation beim Pharmazie-Studiengang an der Universität Halle. Eigentlich sei man dort immer gut aufgestellt gewesen, erklärte der Vize-Präsident der Kammer. In den vergangenen Jahren sei die Uni Halle aber in eine schwierige finanzielle Situation geraten, sodass auch im Personalbereich gespart werden musste – laut Mohrenweiser ist auch die Pharmazie betroffen. Insbesondere die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter verringere sich derzeit schnell. Im März dieses Jahres habe sich die Kammer deswegen mit Briefen an die zuständigen Ministerien und das Rektorat der Uni gewandt, in denen die Apotheker vor den Folgen einer Unterbesetzung des Instituts warnten. Laut Mohrenweiser hat das Rektorat bis heute nicht geantwortet. Das Gesundheitsministerium des Landes habe allerdings versichert, dass man keinen Strukturveränderungen zustimmen werde, die die Leistungsfähigkeit des Instituts herabsetzen. Der Vize-Präsident versprach, dass die Kammer die Entwicklung an der Uni Halle weiter beobachten werde.
Laut einer aktuellen Kammeranalyse gibt es derzeit 572 Apotheken in Sachsen-Anhalt. Knapp 60 Prozent der berufstätigen Apotheker im Land sind 45 oder jünger. Auf Bundesebene liegt dieser Wert bei 47 Prozent. Rund 21 Prozent der berufstätigen Approbierten in Sachsen-Anhalt sind älter als 65, im Bund liegt dieser Wert bei rund 27 Prozent. Ähnlich verhält es sich beim Durchschnittsalter der Inhaber. In Sachsen-Anhalt sind 39 Prozent aller Inhaber älter als 56, auf Bundesebene liegt dieser Wert bei über 44 Prozent.