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Der Methylenblau-Hype im Check

Methlyenblau erfreut sich insbesondere in Biohacker-Kreisen und auf Plattformen wie Tiktok oder Instagram zunehmender Beliebtheit. Der Hype um die Chemikalie ergibt sich in erster Linie aus den angeblichen Boostereigenschaften rund um die Gehirnleistung, über die junge Anwender berichten. Die ABDA warnt vor einer Abgabe der Chemikalie in Apotheken.
Theo Dingermann
18.09.2024  16:20 Uhr

Ursprünglich wurde Methylenblau als Färbemittel eingesetzt. Aber schon vor mehr als 130 Jahren erkannte Paul Ehrlich in Methylenblau ein pharmakologisches Potenzial und entwickelte die Substanz als Malariamittel, das Symptome lindern und den Malaria-auslösenden Parasiten abtöten sollte. Danach hatte das Molekül noch eine kurze und wenig erfolgreiche Karriere als Psychopharmakon. Als Hemmstoff der Monoaminooxidase (MAO) A wurde es unter anderem bei Depressionen eingesetzt. Und zu Beginn der Covid-19-Pandemie gehörte Methylenblau zu den Hunderten von Wirkstoffen, die in umfangreichen Repurposing-Versuchsreihen auf eine Aktivität gegen SARS-CoV-2 getestet wurden.

Seriöser ist sein Potenzial als Antidot. So wird Methylenblau auch heute noch als zugelassenes, verschreibungspflichtiges Arzneimittel zur akuten symptomatischen Behandlung einer durch Arzneimittel und Chemikalien induzierten Methämoglobinämie bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen eingesetzt. Seine Wirkung entfaltet die Substanz über die NADPH-abhängige Methämoglobin-Dehydrogenase. Zudem ist Methylenblau nach wie vor unverzichtbar als Färbemittel in der klassischen Zytologie.

In vielerlei Hinsicht pharmakologisch aktiv

Als potentes Reduktionsmittel mit physikochemischen Eigenschaften, die eine gute Zellgängigkeit und das Überschreiten der Blut-Hirn-Schranke ermöglichen, kann Methylenblau direkt mit dem zellulären Metabolismus interagieren. So greift es effizient in die mitochondriale Atmungskette ein. Diese Aktivität, durch die im Rahmen der regulären Translokation der Elektronen unter Umgehung der Komplexe I/III der Atmungskette eine Art Abkürzung genommen wird, führt zu einer kurzzeitigen Verbesserung der Sauerstoffnutzung und der Energieproduktion.

Zudem schützt Methylenblau durch sein antioxidatives Potenzial die Zellen vor Schäden durch freie Radikale. Diese Schutzmechanismen sollen insbesondere für die Gehirnfunktionen relevant sein, da das Gehirn besonders anfällig für oxidative Schäden ist.

Vor allem auf diesen beiden molekularen Eigenschaften fußt das Narrativ in der Influencer-Szene, die über die blaue Substanz als Mittel zur Steigerung der mentalen Klarheit und Konzentrationsfähigkeit schwärmt.  Diese sind molekular betrachtet zwar unstrittig, jedoch fehlt für einen klinischen Nutzen jegliche Evidenz.

Unübersichtlich wird die Situation, wenn die Methylenblau-Lösung, die in einer Vielzahl von nicht regulierten Produkten – meist konfektioniert in Pipettenflaschen – im Internet zu erhalten ist, in Kombination mit anderen Nahrungsergänzungsmitteln eingesetzt wird, um dadurch ein synergistisches Effektprofil zu erzielen. Als MAO-Hemmer wird der Einsatz von Methylenblau vor allem dann kritisch, wenn es in Kombination mit serotonergen Substanzen, entweder Arznei- oder Nahrungsergänzungsmitteln, eingesetzt wird. Dann wird ein potenzielles Serotonin-Syndrom zu einer realistischen Gefahr.

Synergistische Effekte ergeben sich auch bei der gleichzeitigen Einnahme von Methylenblau zusammen mit anderen Antioxidanzien (Vitamin C oder Vitamin E), mit Mitochondrien-aktiven Substanzen (Acetyl-L-Carnitin oder α-Liponsäure) oder zusammen mit sogenannten NAD+-Boostern, darunter Nicotinamid-Ribosid (NR) oder Nicotinamid-Mononukleotid (NMN).

Toxikologische Bedenken

Wie immer gilt es, bei einem unsachgemäßen Gebrauch pharmakologisch aktiver Substanzen besonders auf unerwünschte Wirkungen zu schauen. Als zugelassene Substanz ist Methylenblau toxikologisch umfangreich getestet. Ein sachgemäßer Gebrauch ist daher als akzeptabel verträglich einzustufen.

Ab einer Konzentration von etwa 2 mg/kg Körpergewicht können aber unerwünschte Wirkungen auftreten. Dazu gehören Übelkeit, Erbrechen, Bauch- und Brustschmerzen. Zudem können Schwindel und Kopfschmerzen auftreten und für bestimmte Personen ist ein Risiko für eine hämolytische Anämie nicht auszuschließen.

Bei längerfristigem Gebrauch oder auch bei Überdosierung kann es zur Blaufärbung der Haut und Schleimhäute kommen, ein charakteristisches Zeichen einer Methylenblau-Vergiftung. Auch über Störungen des Nervensystems, darunter Krampfanfälle, wurde berichtet. Schließlich bleiben auch die Nieren und die Leber bei längerem Einsatz sehr hoher Methylenblau-Dosen nicht verschont.

Hinzu kommt bei Substanzen, die im Zuge eines Modetrends konsumiert und über unsichere Kanäle erworben werden, dass es vielfach an chemischer Reinheit mangelt. Dann gesellen sich zu den pharmakologischen Risiken der aktiven Substanz unkalkulierbare Risiken durch Verunreinigungen in den Präparaten. In solchen Fällen kann es auch beim Einsatz noch verträglicher Dosierungen, beispielsweise von 100 mg Methylenblau pro Tag, über die in den einschlägigen sozialen Medien und Foren oft berichtet wird, zu teils schweren unerwünschten Ereignissen kommen.

Kein Kontrahierungszwang

Die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände warnt in einem der PZ vorliegenden Statement aus dem gleichen Grund vor einer Einnahme solcher Methylenblau-Lösungen. Anders als Arzneimittel unterlägen die Produkte nicht strengen Anforderungen an Reinheit, Qualität und Sicherheit, da sie nicht zur Einnahme vorgesehen sind. Sie rät »grundsätzlich dringend davon ab, Chemikalien einzunehmen«. Die Risiken seien unkalkulierbar.

Die meisten Methylenblau-Hersteller kennzeichneten die Substanz mit dem Hinweis »H302 Gesundheitsschädlich bei Verschlucken«. Die ABDA rät daher Apothekenteams dringend davon ab, Die Substanz in der Apotheke abzugeben. »Bei jeder Nachfrage nach einer Chemikalie hat der Apotheker oder die Apothekerin den Verwendungszweck zu erfragen«, heißt es weiter. Sei eine Verbesserung der kognitiven Leistung gewünscht, sollte auf ein zugelassenes Arzneimittel oder zumindest ein Nahrungsergänzungsmittel zurückgegriffen werden.

Die ABDA stellt klar: »Bei der Abgabe von Chemikalien besteht kein Kontrahierungszwang. Es gibt also keine Pflicht für Apothekenteams, bei Nachfrage von Verbraucherinnen und Verbrauchern diese Chemikalie abzugeben.«

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