Den Rhythmus der Leber verstehen |
Annette Rößler |
29.04.2024 18:00 Uhr |
Leberenzyme, die auch am Metabolismus von Arzneistoffen beteiligt sind, weisen eine tageszeitabhängige Aktivität auf. Dies zu berücksichtigen, könnte die Wirksamkeit und Verträglichkeit optimieren. / Foto: Adobe Stock/makistock
Viele Körperfunktionen werden im Verlauf des Tages hoch- und runtergefahren, unterliegen also einem circadianen Rhythmus. Taktgeber dieser Prozesse sind sogenannte Uhrengene, zu denen etwa Bmal1 (Brain and muscle ARNT-like 1) zählt. Forschende des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA, haben jetzt untersucht, welche Gene in der Leber einem circadianen Rhythmus unterworfen sind und welche potenziellen Auswirkungen das hat.
Wie die Gruppe um Sandra March im Fachjournal »Science Advances« berichtet, tat sie das mithilfe eines selbst entwickelten In-vitro-Modells menschlicher Leberzellen. Von diesen erstellten die Forschenden über 48 Stunden alle drei Stunden Genexpressionsprofile, um so ihre Aktivität im Zeitverlauf zu verfolgen. Dabei folgten mehr als 300 Gene einem circadianen Rhythmus mit regelmäßiger Zu- und wieder Abnahme ihrer Aktivität. Etwa 70 Prozent dieser Gene erreichten dabei den Höhepunkt ungefähr gleichzeitig, während die anderen 30 Prozent genau antizyklisch aktiv waren.
Unter den Genen mit circadianem Aktivitätsprofil waren auch etliche, die am Metabolismus von Arzneistoffen beteiligt sind, etwa jene, die für die Cytochrom-P-450 (CYP)-Enzyme 2C8, 2A6, 2B6, 3A4 und 3A5 codieren. Dasselbe traf auf bestimmte Gene zu, die an Immunprozessen beteiligt sind, etwa Interferon-stimulierte Gene.
Am Beispiel von Paracetamol und Atorvastatin, beides CYP3A4-Substrate, zeigten die Forschenden die Konsequenzen auf, indem sie die Leberzellen zu unterschiedlichen Zeitpunkten im circadianen Verlauf mit den Arzneistoffen behandelten. Daraufhin wurde das toxische Paracetamol-Abbauprodukt N-Acetyl-p-benzochinonimin (NAPQI) abhängig vom Zeitpunkt der Gabe unterschiedlich viel gebildet; die Konzentration variierte um bis zu 50 Prozent. Auch im Fall des Atorvastatins war die Lebertoxizität abhängig vom Verabreichungszeitpunkt unterschiedlich stark ausgeprägt.
Dass auch die tageszeitabhängige Regulation von Immunprozessen praktische Relevanz hat, wiesen die Forschenden nach, indem sie die Leberzellen mit dem Malariaerreger Plasmodium falciparum zusammenbrachten. Dabei waren die Zellen zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich empfänglich für eine Infektion mit dem Parasiten. Die Forschenden führen dies darauf zurück, dass die Reaktion der Leberzellen auf Pathogene zu bestimmten Zeiten aktiv gedrosselt wird. Dies sei notwendig, weil etwa mit der Nahrung große Mengen an Mikroorganismen aufgenommen würden, die teilweise auch die Leber erreichten. Würde die Immunantwort zu diesen Zeiten nicht herunterreguliert, könne es zu einer überzogenen Reaktion, also einer Entzündung, kommen.
Die neu gewonnenen Erkenntnisse wollen die Forschenden nun nutzen, um die Einnahmeschemata von Arzneistoffen zu optimieren. Potenzielle Anwendungsgebiete sehen sie etwa bei Krebs- und Schmerzmedikamenten, heißt es in einer Pressemitteilung des MIT. Auch für ihre weitere Arbeit mit dem Leberzell-Modell sind die Ergebnisse wichtig. Denn teilweise ist es dabei notwendig, die Zellen gezielt mit Erregern zu infizieren. Indem man dafür den richtigen Zeitpunkt wählt, lasse sich die Infektionsrate der Zellkultur um bis zu 25 Prozent steigern, erklärt March.