Bei Dranginkontinenz Anticholinergika |
09.02.2004 00:00 Uhr |
Anatomisch betrachtet ist die Blase ein glatter Muskel, sagte Privatdozent Dr. Helmut H. Knispel, Chefarzt der Urologischen Abteilung an den St. Hedwigs Kliniken in Berlin.
Für eine normale Blasenfunktion seien zwei Voraussetzungen nötig: Zum einen darf der glatte Muskel während der Füllungsphase, die immerhin etwa 24 Stunden betrage, nicht kontrahieren. Dies bedeutet, dass „Provozierungen“ wie Sport, schweres Heben oder Lachen unterdrückt werden müssen. Zum anderen muss sich in der Entleerungsphase die Beckenbodenmuskulatur entspannen, woraufhin sich der Blasenmuskel (Detrusor) reflexartig kontrahiert und somit die Blase vollständig entleert.
Die häufigste Inkontinenzform ist die Drang-(Urge)-Inkontinenz. Therapeutisches Ziel ist hier eine Dämpfung der Detrusorüberaktivität. Hier seien an erster Stelle die Anticholinergika zu nennen. Trospiumchlorid habe den Vorteil, dass es nicht liquorgängig ist und somit im Vergleich zu Oxybutynin, Propiverin und Tolterodin weniger zentralnervöse Nebenwirkungen hat. Nachteil der Substanz sei allerdings ihre schlechte enterale Resorption, weshalb man zur Dosisfindung „den Patienten titrieren müsse“.
Oxybutynin ist dagegen in der angebotenen, allerdings recht hohen Dosierung wirksam, hat aber auch dementsprechend mehr unerwünschte Wirkungen, die bei bis zu einem Viertel der Patienten zum Abbruch führen. Die Substanz wird insbesondere bei ausgeprägten Formen der Detrusorhyperaktivität eingesetzt. Sie inhibiert besonders die M2- und M1-Rezeptoren.
Tolterodin ist bei vergleichbarer Wirksamkeit besser verträglich als Oxybutynin. Allerdings habe man hier sicherheitshalber auch die Dosierung gesenkt, sagte Knispel.
Propiverin unterscheidet sich von den anderen Anticholinergika durch eine zusätzliche calciumantagonistische Wirkung und durch eine längere Halbwertszeit. In der Wirksamkeit sei es vergleichbar mit Oxybutynin und habe als einziger anticholinerger Arzneistoff auch eine Zulassung für Kinder, hob der Mediziner hervor.
Neue Ansätze zur Behandlung der Dranginkontinenz werden mit Kaliumkanalöffner und Calciumantagonisten getestet. Klinische Untersuchungen haben laut Knispel jedoch bislang keine ermutigenden Ergebnisse erbracht, so dass noch nichts marktreif sei.
„Auf dem Sektor der sensorischen Dranginkontinenz haben wir bislang leider wenig zu bieten“, sagte der Referent. Viel versprechend sei die Gabe von Botulinumtoxin A. In einer Reihe von Studien mit querschnittsgelähmten Erwachsenen und Kindern ließ sich eine sechs bis neun Monate anhaltende Detrusordämpfung erzielen. Dabei muss die Substanz intravesikal, das heißt, direkt in den Blasenmuskel injiziert werden.
Ebenso positive Ergebnisse erzielte man mit der intravesikalen Gabe von Resiniferatoxin, einem 1000fach potenterem Analogon von Capsaicin. Die Substanz scheint dabei über den Vanilloidrezeptor zu wirken, was eine Desensibilisierung der afferenten Nervenendigungen hervorruft. Sie sei allerdings noch nicht auf dem Markt, da die Frage der Kanzerogenität noch nicht geklärt sei.
Die zweithäufigste Form der Inkontinenz ist die Stressinkontinenz, die nur bei Frauen auftritt. Entsprechend der sympathischen Innervation des Blasenhalsbereiches werden a-Sympathomimetika eingesetzt. Der klinisch wenig überzeugende Effekt und die hohe Rate an kardiovaskulären Nebenwirkungen wie Tachykardien und Herzrhythmusstörungen stehen einer breiten Anwendung jedoch entgegen.
Die Datenlage zu einer Estrogensubstitution bei Stressinkontinenz sei nach wie vor widersprüchlich, sagte Knispel. Erste Erfolge liegen dagegen für den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin vor. So zeigte eine Phase-III-Studie, in der 683 Frauen entweder 80 mg Duloxetin oder Placebo erhielten, eine 50-prozentige Abnahme der Inkontinenzepisoden verglichen mit 27 Prozent unter Placebo.
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