Stellenwert der Phytopharmaka |
24.01.2005 00:00 Uhr |
Die meisten Phytopharmaka, die bei Leberkrankheiten eingesetzt werden, enthalten Mariendistelextrakte. In den pharmakologischen Untersuchungen wurden das Isomerengemisch Silymarin und seine Hauptkomponente Silybinin geprüft. Dabei konnte man, so Professor Dr. Volker Schulz aus Berlin, in erster Linie antitoxische und regenerative Eigenschaften auf das Lebergewebe nachweisen.
Die Kommission E hat daraufhin für die Mariendistel-Droge 1986 die Indikation „dyspeptische Beschwerden“ und 1987 für Silymarin-Zubereitungen die Indikationen „toxische Leberschäden“ sowie „zur unterstützenden Behandlung bei chronisch-entzündlichen Lebererkrankungen und Leberzirrhose“ verabschiedet. Als mittlere Tagesdosis werden 12 bis 15 g Droge, für Zubereitungen 200 bis 400 mg Silymarin, berechnet als Silybinin, empfohlen.
Sowohl bei chronischen alkoholischen Leberschäden als auch bei Leberzirrhose wurden in klinischen Studien positive Trends nachgewiesen. Bei Patienten mit Virushepatitis ergaben sich allerdings widersprüchliche Resultate. Als Wirkungsmechanismen werden unter anderem die Regulation der Membranpermeabilität, Leukotrien-Hemmung und Inaktivierung von Sauerstoffradikalen diskutiert.
Eine spezielle Anwendung erfährt Silymarin bei Vergiftungen mit Knollenblätterpilzen. Bei der Vergiftung blockiert Amanitin insbesondere die RNA-Polymerase der Leberzellen, was nach 12 bis 24 Stunden zum Zelltod führt. Silybinin soll das Amanitin kompetitiv vom Enzym verdrängen und dadurch die Proteinbiosynthese wieder in Gang setzen. Nach Schulz liegen etwa 150 Fallberichte mit Silybinin bei Knollenblätterpilzvergiftungen vor. Mit der Infusionsbehandlung konnte die Mortalitätsrate, die in älteren Publikationen mit 30 bis 40 Prozent angegeben wird, bei frühzeitigem Beginn mindestens halbiert werden.
Alle anderen Phytopharmaka, die bei gastrointestinalen Beschwerden eingesetzt werden, haben entweder die Indikation „Dyspepsie“ oder/und „Reizdarmsyndrom“ erhalten und stammen aus den Gruppen der Cholagoga, Karminativa und Amara. Für den Behandlungserfolg ist das Vertrauen des Patienten in das Arzneimittel ausschlaggebend, sagte Schulz. Dieses solle im Verbund mit dem therapeutischen Gespräch vor allem die Selbstheilungskräfte wecken und fördern. Eine Metaanalyse placebokontrollierter Studien habe bereits vor Jahren gezeigt, dass der Behandlungserfolg bei diesen Indikationen auf Grund der hohen Placebowerte mehr vom therapeutischen Umfeld als von den Wirkstoffen selbst abhängt.
Cholagoga wie Artischockenblätter, Javanische Gelbwurz, Schöllkraut, Boldoblätter, Erdrauchkraut und Löwenzahn, die korrekter als Antidyspeptika bezeichnet werden sollten, werden vorrangig bei Patienten mit Druckgefühl oder Schmerzen im rechten Oberbauch eingesetzt. Schöllkraut wurde 1985 von der Kommission E positiv bewertet, ist inzwischen aber durch Hepatotoxizität aufgefallen. Schulz rechnet damit, dass es nach Abschluss des laufenden Stufenplanverfahrens vom Markt verschwinden wird.
Die einzige Drogenzubereitung, deren choleretische Wirksamkeit durch placebokontrollierte Doppelblindstudien am Menschen nachgewiesen wurde, ist ein Extrakt aus Artischockenblättern. Die Kommission E verabschiedete 1988 die Monographie Cynaris folium für die Indikation dyspeptische Beschwerden. Die ursprünglich in Anspruch genommene Indikation der Lipidsenkung konnte nicht ausreichend belegt werden.
Zu den Karminativa zählen ätherische Öle sowie Zubereitungen und Extrakte von Kümmel, Fenchel und Anis, Pfefferminze, Kamille, Melisse und Angelikawurzel. Auch Kombinationen, zum Beispiel aus Pfefferminzöl und Kümmelöl (Enteroplant®, seit 2002 in magensaftresistenten Kapseln bei dyspeptischen Beschwerden zugelassen), konnten in kontrollierten Studien ihre Wirksamkeit belegen. Diese war identisch mit Cisaprid.
Im Prozess der Nachzulassung befindet sich nach Aussagen von Schulz noch ein Kombinationspräparat mit neun pflanzlichen Komponenten (Iberogast®), das bei funktionellen Dyspepsien und Reizdarmsyndrom eingesetzt wird. Daten aus acht kontrollierten Studien liegen vor: Vier ältere Studien mit insgesamt 158 Patienten mit funktionellen oder organischen gastroenterologischen Erkrankungen sowie vier weitere Studien mit insgesamt 387 Patienten mit funktioneller Dyspepsie im Vergleich mit Placebo oder Cisaprid. Zwei Studien wiesen signifikante Überlegenheit nach. Im Vergleich mit Cisapril war die Wirksamkeit identisch. Zu der Frage, ob das Präparat in der vorliegenden Form die Nachzulassung überstehen wird, wollte Schulz sich nicht abschließend äußern.
Das Fazit des Phytopharmaka-Experten: Phytopharmaka haben bei funktionellen Dyspepsien und Reizdarmsyndrom, aber auch bei Lebererkrankungen eine Indikation.
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