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Gesund oder nicht?

Das Mikrobiom von Krankenhäusern

Nicht nur Menschen haben ihr eigenes, ganz persönliches Mikrobiom, sondern auch Gebäude. Ist das Gebäude ein Krankenhaus, gewinnt das Mikrobiom mit Blick auf nosokomiale Infektionen an Interesse. Untersuchungen zeigen, dass man auch Kliniken mit Probiotika behandeln kann.
Annette Rößler
06.05.2025  16:20 Uhr

Überall dort, wo Menschen sind, sind auch Mikroorganismen, die sie besiedeln. Wenn Menschen sich in Häusern aufhalten, atmen, Dinge berühren und die Toilette benutzen, geben sie dabei von ihrer Mikrobiota etwas an die Umgebung ab – und zwar pro Stunde etwa 31 mg Biomasse, die 37 Millionen Bakterien enthält. Das schrieben Professor Dr. Jack A. Gilbert von der University of California San Diego in La Jolla, Kalifornien, und Dr. Erica M. Hartmann von der Northwestern University in Evanston, Illinois, 2024 in einem Übersichtsartikel in »Nature Reviews Microbiology«.

Nicht alle diese Mikroorganismen – außer Bakterien natürlich auch Pilze und Viren – können auf den Oberflächen von Einrichtungsgegenständen, Türklinken, Wänden und Böden überleben. Ein Teil davon aber schon, unter Umständen sogar sehr gut, wenn sich etwa Biofilme bilden, was bevorzugt in Nassräumen der Fall sein kann. Innerhalb kurzer Zeit bilden sich auf diese Weise stabile Bakteriengemeinschaften aus, die spezifisch für einen ganz bestimmten Standort sind.

Menschen, Tiere, Zimmerpflanzen

Menschen und ihre Mikrobiota haben den größten Einfluss auf das Mikrobiom von Häusern. In öffentlichen Gebäuden, in denen sich viele verschiedene Menschen aufhalten, ist die Dynamik daher größer als in Privathaushalten mit nur begrenzter Personenzahl. Dafür spielen Faktoren wie Haustiere und Zimmerpflanzen, die ebenfalls zum Mikrobiom von Gebäuden beitragen, in Bauwerken wie Schulen oder auch Krankenhäusern meist eine untergeordnete Rolle. Weitere Einflussfaktoren sind die Art der Lüftung sowie die Häufigkeit und Intensität der Reinigung.

Während bei Wohnhäusern das Mikrobiom außer bei Menschen mit bestimmten Zwangsstörungen nur selten Beachtung findet, ist es für die Krankenhaushygiene von zentraler Bedeutung. Denn in Krankenhäusern halten sich viele Menschen auf, die für die Besiedelung von Keimen aus der Umgebung besonders empfindlich sind, etwa Neugeborene oder Immungeschwächte. Das Augenmerk liegt dabei auf Antibiotika-resistenten Erregern, die in Kliniken selbstverständlich unerwünscht sind. Fatalerweise findet man aber bei Untersuchungen des Gebäudemikrobioms in Krankenhäusern in der Regel deutlich mehr bakterielle Resistenzgene als in anderen Bauwerken.

Um herauszufinden, wie man Resistenzen im Krankenhaus besser zurückdrängen könnte, muss man zunächst ermitteln, woher sie kommen. Es gab daher schon diverse Untersuchungen, in denen in neu eröffneten Klinik(stationen) anhand von zahlreichen Probenentnahmen analysiert wurde, wie sich ein Klinikmikrobiom aufbaut und im Verlauf verändert.

Dem Gebäudemikrobiom beim Wachsen zugeschaut

Eine dieser Studien hat Gilbert mit seinem Team 2013 an einem Neubau des Universitätsklinikums von Chicago gemacht und die Ergebnisse 2017 im Fachjournal »Science Translational Medicine« veröffentlicht. Die Mikrobiota der einzelnen Patientenzimmer waren demnach stark geprägt von den jeweiligen Bewohnern und abhängig von deren Wechsel ebenfalls einem steten Wandel unterworfen. Nach einer Neubelegung habe sich das Raummikrobiom innerhalb von Stunden an das des neuen Patienten angeglichen, sagte Gilbert damals in einem Zeitungsinterview.

In Deutschland machten Forschende der Universität Jena und der Berliner Charité 2017 sehr ähnliche Beobachtungen in Patientenzimmern einer neurologischen Station des nach einem Umbau wiedereröffneten Bettenhochhauses der Charité in Berlin-Mitte (»Microbiome« 2021, DOI: 10.1186/s40168-021-01109-7). »Erstaunlich war dabei, wie schnell etwa Keime des Hautmikrobioms den Boden und die Türklinke beziehungsweise Bakterien der Mundflora das Waschbecken besiedelten«, sagte Erstautor Dr. Tilman Klassert in einer Pressemitteilung.

Sowohl die Diversität des Raummikrobioms als auch die Biomasse der vorhandenen Bakterien nahmen im Studienverlauf deutlich zu – obwohl die untersuchten Räume wie alle anderen Patientenzimmer täglich gereinigt und die Oberflächen im Zuge dessen auch desinfiziert wurden. Auf dem Boden sammelten sich mit der Zeit bakterielle Resistenzgene an.

Der Fund solcher Gene in Abklatschproben ist zwar nicht gleichbedeutend mit dem Nachweis von lebensfähigen, resistenten Bakterien – laut Gilbert und Hartmann stammt nur ein Viertel der bakteriellen DNA, die in Sequenzierstudien auf Oberflächen in Innenräumen nachgewiesen wird, aus intakten Zellen. Professor Dr. Hortense Slevogt, die Leiterin der Arbeitsgruppe in Jena, sagte anlässlich der Charité-Studie aber über die auf den Fußböden nachgewiesenen Resistenzgene: »Wir müssen davon ausgehen, dass diese den Weg in Krankheitserreger finden könnten.«

Desinfektion als Teil des Problems?

Warum reichern sich Resistenzen gerade in Krankenzimmern an, obwohl diese doch so häufig desinfiziert werden? Womöglich gerade weil sie so oft desinfiziert werden, lautet die Annahme einiger Forschender. Der häufige Einsatz von Desinfektionsmitteln stresse die Mikroorganismen, sodass resistente Erreger selektioniert würden.

Eine möglicherweise Erfolg versprechendere Strategie gegen resistente Klinikkeime als das Desinfizieren ist gemäß dieser Theorie die Förderung eines gesunden Raummikrobioms, in dem resistente Bakterien zwar vielleicht auch vertreten sind, aber eben nur als einzelne unter vielen, von denen die meisten für den Menschen unschädlich sind. In Studien wurde dieser Ansatz bereits getestet; als Raumprobiotikum kamen dabei vor allem Bakterien der Gattung Bacillus zum Einsatz.

Klassert und Kollegen veröffentlichten 2022 im Fachjournal »Clinical Microbiology and Infection« die Ergebnisse eines direkten Vergleichs verschiedener Reinigungsstrategien von Patientenzimmern auf der Neurologie der Charité. Verwendet wurden dabei entweder Detergenzien, Desinfektionsmittel oder ein Bacillus-haltiges Raumprobiotikum. In wöchentlich genommenen Proben vom Fußboden, von der Türklinke und aus dem Abfluss wurden dann unter anderem per 16S-rRNA-Sequenzierung jeweils die Vielfalt des bakteriellen Keimspektrums bestimmt und Antibiotika-Resistenzgene (ARG) ermittelt.

Insgesamt weniger und diverser

Die Forschenden berichteten, dass die Probiotika-Putzstrategie das Mikrobiom der untersuchten Oberflächen veränderte: Die absolute Biomasse verringerte sich und die Diversität der Bakteriengemeinschaft stieg an, ohne dass dabei die zuvor dominanten Taxa des jeweiligen Standorts komplett verdrängt wurden. Bei den Proben aus dem Abfluss waren diese Verschiebungen gegenüber der Putzstrategie unter Verwendung von Desinfektionsmittel statistisch signifikant. Gleichzeitig waren signifikant weniger ARG nachweisbar, wenn mit Probiotika statt mit Desinfektionsmittel geputzt wurde.

Als Limitationen der Studie weisen die Autoren darauf hin, dass mit ihrer Methode keine Unterscheidung zwischen lebenden und abgestorbenen Bakterien getroffen werden könne und dass nur auf eine begrenzte Anzahl an ARG getestet wurde. Gleichwohl halten sie randomisierte klinische Studien mit dem Endpunkt nosokomiale Infektionen für gerechtfertigt, um zu überprüfen, ob sich die beobachteten Effekte tatsächlich in diesem patientenrelevanten Outcome niederschlagen.

Weitere Studien seien anzuraten und möglich, weil bisher keine negativen Auswirkungen der Probiotika-Reinigung auf die Gesundheit von Patienten beobachtet worden seien. Dies in weiteren Studien zu untermauern, dürfte darüber entscheiden, ob sich das Konzept durchsetzen wird. Denn es gibt durchaus auch Kritiker, die vor unübersehbaren Folgen für die Gesundheit von Patienten warnen, wenn das Mikrobiom von Kliniken gezielt verändert wird. Angesichts der massiven Probleme mit zunehmend multiresistenten Erregern wird aber womöglich die Bereitschaft steigen, die Probiotika-Putzstrategie zumindest einmal auszuprobieren.

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