Da geht noch was |
Isabel Weinert |
19.05.2022 09:00 Uhr |
Bunt, fröhlich, in Gemeinschaft: Sport muss Spaß machen, damit man dran bleibt. / Foto: Adobe Stock/Robert Kneschke
Während für Herz-Kreislauf-Kranke noch vor einigen Jahren eher galt, sich zu schonen statt sich mehr zu bewegen, hat mittlerweile ein Paradigmenwechsel stattgefunden, wie er sich auch in der Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) widerspiegelt. Danach ist die Frage nicht, ob Herzpatienten Sport treiben dürfen oder nicht, sondern vielmehr, welcher Sport in welcher Intensität und mit welchem Umfang betrieben werden sollte.
Die Befürchtung, Sport könne die Herzerkrankung verschlechtern, ist in den meisten Fällen nicht begründet. Im Gegenteil: Es profitieren besonders diejenigen davon, die lange Zeit inaktiv waren, schreiben auch die Autoren der Nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung: »Die vielfältigen Gesundheitswirkungen von körperlicher Aktivität für Menschen mit chronischen Erkrankungen umfassen günstige Wirkungen bezüglich Pathogenese und Pathophysiologie, die Abschwächung von Symptomen, eine gesteigerte körperliche Funktionsfähigkeit und Belastbarkeit, ein verbessertes psychosoziales Wohlbefinden sowie eine Anhebung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität.«
Laut ESC gibt es nur selten ein absolutes Sportverbot aufgrund einer Herzerkrankung. Beispiele hierfür sind akute Herzmuskelentzündungen, schwere Herzmuskelerkrankungen, eine aktuell instabile Angina pectoris, lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen, wenn kein Defibrillator implantiert wurde, oder sehr enge Aortenklappen.
Ein Beispiel für den Paradigmenwechsel in den vergangenen Jahrzehnten ist die Herzinsuffizienz. Lange galt sie als Grund, nicht mehr körperlich aktiv sein zu dürfen. Das ist nicht nur überholt, sondern regelmäßige Bewegung bessert im Gegenteil gar die Prognose. Pro Woche sollte man auf mindestens 150 Minuten moderate körperliche Aktivität kommen. Laut Leitlinie steht eine koronare Herzerkrankung (KHK) in den meisten Fällen Freizeit- oder auch Wettkampfsport nicht entgegen. Wer einen Herzschrittmacher trägt, der muss sich mit dem Arzt absprechen. Körperintensive Mannschaftssportarten sind dagegen ungeeignet. Das gilt auch für Menschen, die unter Vorhofflimmern leiden und deshalb eine Blutverdünnung bekommen.
Vor dem Einstieg in den Sport gehört ein Gesundheitscheck auf den Plan. Die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention rät explizit zur ärztlichen Untersuchung. Dabei stellt ein Kardiologe mittels EKG und einem Ultraschall von Herz und Gefäßen fest, wie es um die Herzgesundheit aktuell bestellt ist. Herzrhythmusstörungen, die eine Gefahr bergen können, lassen sich mithilfe eines 24-Stunden-EKG nachweisen. Ein Belastungstest auf dem Laufband oder dem Fahrradergometer gibt weitere wichtige Informationen. Anhand der Ergebnisse kann der Arzt einen auf den Patienten abgestimmten Trainingsplan erstellen. Eine wichtige Regel für den Anfang: Kann man während des Laufens noch gut atmen und reden, kommt also nicht aus der Puste, dann überfordert man das Herz nicht.
Um regelmäßig in Bewegung zu bleiben, bieten sich auch Herzsport- beziehungsweise Koronarsportgruppen an. Patienten, die eine akute Behandlung hinter sich haben, bekommen diese Rehabilitationsmaßnahme vom Arzt über ein bis zwei Jahre oder auch länger verordnet. Sie dient dazu, körperliche Fähigkeiten wiederherzustellen oder zu verbessern. Aber auch Menschen mit einer bereits länger bestehenden Herzerkrankung können sich jederzeit einer entsprechenden Gruppe anschließen. Viele Sportvereine, aber auch Rehabilitationszentren und andere Einrichtungen wie Volkshochschulen, Fördervereine oder Diakonien bieten Herzsport an.
Das Ziel in diesen Gruppen liegt darin, den Patienten zu zeigen, dass übermäßige Schonung in den meisten Fällen nicht notwendig, sondern eher kontraproduktiv ist. Darüber hinaus findet man gemeinsam heraus, wie groß die eigene Leistungsfähigkeit ist. Das hilft, sich im Alltag gut einschätzen zu können und nach der Krankheit wieder in den Beruf zu starten.
In den Herzsportgruppen geht es auch um die psychische Seite der Teilnehmer. Nach einer akuten Herzerkrankung, wie etwa einem Herzinfarkt als traumatischem Ereignis, entwickeln viele der Betroffenen über eine Dauer von ein bis circa vier Monaten nach Entlassung aus dem Krankenhaus depressive Symptome. Durch den Sport Selbstwirksamkeit festzustellen und auch die Bewegung an sich sowie der Kontakt mit den anderen Mitgliedern der Gruppe, können helfen, die Depression zu lindern.
Eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus kann eine Myokarditis verursachen, eine Herzmuskelentzündung. Viele Betroffene spüren sie nicht, etliche zeigen jedoch Symptome wie rasche Erschöpfung, Atemnot bei körperlicher Anstrengung und Herzstolpern. Eine Magnetresonanztomografie (MRT) des Herzens zeigt schnell an, ob das Organ entzündet ist. Denn dann kontrahiert es sich nicht mehr in gewohntem Umfang, die Wandbewegungen verlaufen nicht mehr regelhaft oder es zeigt sich Flüssigkeit im Herzbeutel. Darüber hinaus gibt das MRT Auskunft über das Ausmaß der Entzündung.
Sport nach einer Myokarditis sollte für drei bis sechs Monate tabu sein, sonst kann das Herz schwereren Schaden nehmen. Und auch, wenn das Herz unbeeinträchtigt geblieben ist, sollte man nach einer Covid-19-Erkrankung einige Zeit kürzer treten in Sachen körperlicher Anstrengung. Dieses Vorgehen kann womöglich auch vor Long Covid schützen.
Wer nach einer Covid-19-Infektion ohne bekannte Herzbeteiligung wieder mit Sport beginnen möchte, sollte auch nach einem milden Verlauf mindestens zwei Wochen abwarten und dann zunächst mit geringer Anstrengung starten. Dabei gilt es, auf seinen Körper zu hören. Fühlt man sich etwa leicht schwindelig, pocht das Herz hart oder spürt man einen Druck auf dem Brustkorb, dann ist ein Arztbesuch dringend notwendig.