Booster erhöht Impfschutz massiv – und wirkt bei Delta |
Theo Dingermann |
09.12.2021 14:30 Uhr |
In Israel haben bereits 44,6 Prozent der Bevölkerung eine dritte Dosis Comirnaty erhalten. / Foto: imago images/Xinhua
Mit der globalen Dominanz der Delta-Variante und der Erkenntnis, dass Antikörperspiegel ab etwa vier Monate nach einer zweiten Impfung deutlich abnehmen, trat die Boosterimpfung immer stärker in den Vordergrund. Empirische Evidenz der Wirksamkeit dieser dritten Impfung war bisher nicht bekannt.
Zwei Gründe sprechen für die Notwendigkeit, eine Grundimmunisierung gegen Covid-19 durch eine Booster-Impfung abzuschließen: Die mit der Zeit doch deutliche Abnahme der Antikörperspiegel gegen das Spike-Protein und der damit verbundene graduelle Verlust eines effizienten Schutzes gegen schwere Covid-19-Verläufe, und die Dominanz der Delta-Variante, die deutlich ansteckender ist als andere SARS-CoV-2-Varianten. Bisher fehlten robuste Daten zur Wirksamkeit einer Booster-Impfung mit Comirnaty®. Diese Lücke schließen nun zwei israelische Studien, die jetzt im »New England Journal of Medicine« (NEJM) publiziert wurden. Über den Schutz vor Omikron geben die Studien allerdings naturgemäß noch keine Auskunft, weil sie einen Zeitraum vor der Entdeckung der neuen Variante betrachten.
In der ersten Studie werteten Wissenschaftler um Ronen Arbel von der Community Medical Services Division, Clalit Health Services in Tel Aviv, Daten von 843.208 Versicherten aus, von denen 758.118 zwischen dem 6. August und 29. September 2021 Booster-Impfung erhalten hatten – ein Zeitraum also, in dem schon die Delta-Variante das Pandemiegeschehen dominierte. Eingeschlossen waren Personen, die zu Studienbeginn 50 Jahre oder älter waren und die vor mindestens fünf Monaten zwei Dosen Comirnaty® erhalten hatten. 60 Prozent der Studienteilnehmer waren 65 Jahre oder älter.
Als primärer Endpunkt wurde der Tod aufgrund von Covid-19 definiert. Da in Israel ursprünglich die Booster-Impfung für Personen älter als 65 Jahre zugelassen war, wurde für diese Gruppe eine separate Analyse durchgeführt. In einer sekundären Analyse zur Wirksamkeit des Boosters zur Vorbeugung von SARS-CoV-2-Infektionen wurde die Häufigkeit positiver RT-qPCR-Tests in der Booster-Gruppe mit derjenigen in der Nicht-Booster-Gruppe verglichen.
Für jeden Studienteilnehmer wurden die folgenden soziodemografischen Daten erhoben: Alter, Geschlecht, Bevölkerungsgruppe (allgemeine jüdische Bevölkerung, arabische Bevölkerung oder ultra-orthodoxe jüdische Bevölkerung) und eine ermittelte Punktzahl für den sozioökonomischen Status. Die häufigsten Begleiterkrankungen waren Bluthochdruck (46 Prozent), Fettleibigkeit (33 Prozent) und Diabetes (29 Prozent). Bei den meisten soziodemografischen und klinischen Merkmalen war der Unterschied zwischen der Booster-Gruppe und der Gruppe ohne Booster signifikant.
65 Teilnehmer aus Booster-Gruppe waren im Beobachtungszeitraum an Covid-19 verstorben (0,16 pro 100.000 Personen pro Tag), wohingegen 137 Teilnehmer in der Nicht-Booster-Gruppe der Krankheit erlagen (2,98 pro 100.000 Personen pro Tag).
Das aus diesem Verhältnis berechnete bereinigte Risiko für Tod aufgrund von Covid-19 betrug für die Booster-Gruppe im Vergleich zur Nicht-Booster-Gruppe 0,10. Das bedeutet, dass Teilnehmer, die mindestens fünf Monate nach einer zweiten Dosis Comirnaty einen Booster erhielten, eine um 90 Prozent niedrigere Covid-19-Sterblichkeit aufwiesen als Teilnehmer, die nicht geboostert worden waren.
Nur eine bestätigte SARS-CoV-2-Infektion wurde bei 2888 Teilnehmern in der Booster-Gruppe beobachtet, gegenüber elf Infektionen bei 108 Teilnehmern in der Nicht-Booster-Gruppe. Daraus errechnet sich das bereinigte Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion für die Booster-Gruppe im Vergleich zur Nicht-Booster-Gruppe von 0,17.
In einer zweiten Arbeit publizierten Yinon M. Bar-On und Kollegen verschiedener israelischer Forschungseinrichtungen in der gleichen NEJM-Ausgabe Daten, zu der Schutzwirkung einer Booster-Impfung bei Personen ab 16 Jahren. Hier erfolgte die Analyse von Daten vom 30. Juli bis 10. Oktober 2021.
Sie konnten zeigen, dass die Rate der bestätigten Infektionen bei Patienten, denen mindestens zwölf Tage vor der Analyse eine Booster-Impfung mit Comirnaty verabreicht worden war (primäre Analyse), etwa um den Faktor 10 niedriger lag als bei Patienten, die keine Booster-Impfung erhalten hatten. Auch wenn die Auffrischung erst drei bis sieben Tage zurück lag (sekundäre Analyse), profitierten die Geboosterten. In diesem Fall lag die Rate der bestätigten Infektionen in der Booster-Gruppe um einen Faktor von 4,9 bis 10,8 niedriger.
Der bereinigte Ratenunterschied reichte von 57,0 bis 89,5 Infektionen pro 100.000 Personentage in der primären Analyse und von 34,4 bis 38,3 in der sekundären Analyse. Die Raten schwerer Erkrankungen waren in der primären und sekundären Analyse in der Booster-Gruppe der Über-60-Jährigen um den Faktor 17,9 respektive 6 niedriger als bei Ungeboosterten. Bei den 40- bis 59-Jährigen lag die Rate schwerer Erkrankungen um den Faktor 21,7 beziehungsweise 3,7 niedriger als bei Ungeboosterten.
Der bereinigte Ratenunterschied in der primären und sekundären Analyse betrug 5,4 beziehungsweise 1,9 Fälle von schwerer Krankheit pro 100.000 Personentage bei den Über-60-Jährigen und 0,6 beziehungsweise 0,1 bei den 40- bis 59-Jährigen.
Bei den 60-Jährigen und Älteren war die Sterblichkeit in der primären Analyse um den Faktor 14,7 und in der sekundären Analyse um den Faktor 4,9 niedriger. Der bereinigte Ratenunterschied in der primären und sekundären Analyse betrug 2,1 beziehungsweise 0,8 Todesfälle pro 100.000 Personentage.
Sind die Biontech-Ergebnisse aus Israel auch auf andere Impfstoffe übertragbar? Das fragte die Nachrichtenagentur dpa den Professor Dr. Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Er meint: ja. Andere Studien hätten bereits zuvor gezeigt, dass man auch andere Grundimmunisierungen, etwa mit Astra-Zeneca, sehr gut mit einer dritten mRNA-Impfung boostern kann. »Daher kann man diese Erkenntnisse sicherlich übertragen«, sagte Watzl der Deutschen Presse-Agentur.
Die Studien aus Israel zeigten, »dass der Booster wieder einen extrem guten Schutz bringt, besonders vor schwerer Erkrankung«, so Watzl. »Und das über alle Altersgruppen. Also: Jeder profitiert von einem Booster.« Die Studien vergleichen nur zweifach Geimpfte mit dreifach Geimpften, wie der Immunologe betonte. Interessant fände er auch einen Vergleich mit Ungeimpften, sagt Watzl: »Da würde sich nämlich ein noch viel größerer Unterschied zeigen.« Außerdem würde man sehen, «dass auch Personen sechs Monate nach der zweiten Impfung noch einen viel bessern Schutz vor schwerer Erkrankung haben als Ungeimpfte.»
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.