BMG will Auge auf Online-Plattformen haben |
Der Mann aus Berlin erzählt, warum er vor einigen Wochen das erste Mal bei einer Online-Apotheke bestellte: »Da ich seit meinem 30. Lebensjahr keinen Alkohol mehr trinke, benutze ich Cannabis regelmäßig zum Entspannen und Runterkommen.« Außerdem sei er Richter. »In meiner Position ist es natürlich nicht optimal, Konsummittel illegal zu beziehen.« Jetzt medizinisches Cannabis für sich zu bestellen, habe sich »wie ein Rückschritt in Sachen Legalisierung angefühlt«. Er hoffe aber, dass das nur eine Notlösung sei, bis er als Mitglied des Anbauvereins Blatt & Blüte sein Cannabis beziehen könne.
Der Leiter der Bundesopiumstelle, Peter Cremer-Schaeffer, schreibt im »Ärzteblatt«: Eine Auswertung von mehr als 7000 Cannabis-Rezepten zeige, dass das Cannabis überwiegend an eher junge Männer ging. Außerdem seien mehr als zwei Drittel als Privatrezept ausgestellt worden – um die Kosten von der Krankenkasse mittels eines Kassenrezepts erstattet zu bekommen, müsse man nämlich eine schwere Erkrankung tatsächlich auch vorweisen. Diese Gründe ließen »es möglich erscheinen, dass eine Versorgung mit Cannabisblüten erfolgt, die der Gesetzgeber so nicht bezweckt hat«, schreibt Cremer-Schaeffer.
Die Online-Plattformen, über die Rezepte für Cannabis ausgestellt werden, sind oft speziell darauf ausgerichtet und werben im Internet sehr aktiv für sich. Gegen eine Gebühr stellen sie ein Privatrezept aus. Die Webseiten und die verschreibenden Ärzte haben ihren Sitz oft im Ausland. Auch der Cannabis-Preis ist attraktiv: Die Kosten für Selbstzahler liegen ähnlich wie die Preise auf dem Schwarzmarkt – bei garantierter Qualität.
Die Expertengruppe »Medizinisches Cannabis« der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) erklärte, diese Webseiten »sprießen aus dem Boden«. Den Ärzten sei es auf den Plattformen kaum möglich, ihren Sorgfaltspflichten nachzukommen. Denn: Cannabis kann unerwünschte Wirkungen haben. »Vor allem Blüten mit hohen THC-Gehalten stellen ein Risiko dar und dürften die Fallzahlen von psychotischen Ereignissen erhöhen - übrigens auch bei Cannabis-gewohnten Konsumenten.«
Tatsächlich liegt der durchschnittliche Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) heute viel höher als früher. Laut dem Europäischen Drogenbericht verdoppelte sich der THC-Gehalt allein zwischen 2012 und 2022. Der Vergleich zu den 68ern fällt noch viel krasser aus.
Die DPhG-Expertenfachgruppe sagt, es könne nicht im Sinne des Gesetzgebers sein, »wenn die Verordnung auf Privatrezepten von Konsumenten dazu genutzt wird, sich mit Cannabis zu Genusszwecken zu versorgen«. Die Plattformen wiederum hätten – dieser Eindruck entstehe – nicht das Wohl von Patientinnen und Patienten im Fokus, sondern ihren Gewinn. Die Fachleute fordern unter anderem ein persönliches Arztgespräch für so ein Rezept.