Blick in die Pipeline |
Mycobacterium tuberculosis: Das aerobe, stäbchenförmige Bakterium verursacht etwa 98 Prozent der Tuberkulosefälle. / Foto: Adobe Stock/Dr_Microbe
In vielen Ländern hat die Covid-19-Pandemie die Zahl der Tuberkulose-(TB-)Fälle wieder ansteigen lassen, da der Zugang zur Behandlung erschwert war. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erkrankten 2021 fast elf Millionen Menschen an einer Tuberkulose und etwa 1,6 Millionen Menschen starben daran. Damit gehört TB neben HIV und Malaria zu den häufigsten und tödlichsten Infektionskrankheiten (1).
In Deutschland sind die Erkrankungszahlen vergleichsweise gering: So wurden 2021 insgesamt 3896 Tuberkulosefälle registriert, was 4,7 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohnern entspricht. Jedoch ist Deutschland laut Professor Dr. Andrew Ullmann, dem gesundheitspolitischen Sprecher der FDP im Bundestag, weiterhin nicht auf dem Weg, das Ziel der Inzidenz von einem Tuberkulosefall pro 100.000 Einwohnern zu erreichen. »Um das Ziel zu erreichen, müssen wir handeln. Dazu müssen wir die ununterbrochene Versorgung von Patientinnen und Patienten sicherstellen«, so Ullmann in einer Mitteilung von März 2023.
TB manifestiert sich am häufigsten in der Lunge, kann aber auch andere Organe befallen. Die meisten Erkrankten in Deutschland sind Menschen, die im Ausland geboren wurden. Einen geringeren Anteil machen ältere oder immungeschwächte Menschen aus (2).
Der häufigste TB-Erreger ist das Bakterium Mycobacterium tuberculosis (Mtb), das überwiegend durch Tröpfcheninfektion übertragen wird. Zur Ansteckung genügt die Inhalation nur weniger Mikrotröpfchen, die einen bis drei Erreger enthalten. Etwa 5 bis 10 Prozent der mit Mtb Infizierten erkranken tatsächlich im Laufe ihres Lebens. Erwachsene mit offener TB sind hochansteckend, da sie die TB-Erreger in feinsten Tröpfchen beim Niesen und Husten ausscheiden. Kinder sind selten Überträger, da die ausgeschiedene Bakterienmenge selbst bei offener Lungen-TB zu gering ist. Andere Übertragungswege wie parenteral oder intrauterin sind selten.
Die Inkubationszeit beträgt sechs bis acht Wochen. Die Symptome sind eher unspezifisch: Husten bei Lungen-TB sowie Appetitmangel, Gewichtsabnahme, leichtes Fieber, vermehrtes Schwitzen, besonders nachts, sowie Müdigkeit und allgemeine Schwäche (3).
Wesentlich zur verbesserten Diagnostik und damit auch zu einer früheren und gezielteren Therapie haben in den letzten Jahren molekularbiologische Methoden wie PCR beigetragen. Mithilfe dieser lassen sich Tuberkulosebakterien schneller und sensitiver als mit der Mikroskopie in Untersuchungsmaterial nachweisen und sie ermöglichen je nach verwendetem Testverfahren auch den gleichzeitigen Nachweis häufiger Resistenzmutationen, zum Beispiel gegen Isoniazid und Rifampicin.
Eine junge TB-Patientin bekommt ihre Medikamente im pakistanischen Rawalpindi-Krankenhaus. Bei ihr wurde eine multiresistente Tuberkulose entdeckt, die nun behandelt wird. / Foto: Dr. Chris Schmotzer/DAHW
Die Tuberkulose wird immer mit einer Kombination von Medikamenten therapiert, die auf eine synergistische Wirksamkeit und die Vermeidung von Resistenzen hinzielt (3). Derzeitige Standardtherapie bei therapiesensiblen Erregern (drug-sensitive tuberculosis, kurz: DS-TB) ist die Kombination aus Isoniazid (INH), Rifampicin (RMP), Pyrazinamid (PZA) und Ethambutol (EMB) über sechs Monate (HRZE).
Liegt eine Resistenz vor (drug-resistant tuberculosis, kurz: DR-TB), wird die Therapie je nach Art und Ausprägung angepasst mit einer verlängerten Behandlungsdauer von bis zu 18 Monaten. Derzeit empfiehlt die WHO
In Deutschland liegt circa bei jedem zehnten TB-Patienten eine Resistenz gegenüber mindestens einem Medikament der Standardtherapie vor und bei 2,8 Prozent eine Multiresistenz (2). Circa 2 bis 10 Prozent der Erkrankten sprechen nicht auf die Behandlung an beziehungsweise erleiden einen Rückfall, das heißt, es werden wieder TB-Erreger im Sputum gefunden.
Neue Therapieoptionen sind dringend notwendig. Bedingt durch die lange Behandlungsdauer sowie die häufigen und teilweise schwerwiegenden Nebenwirkungen und Interaktionen der derzeitigen Standardmedikamente ist die Compliance oft schlecht. Ebenso sind zusätzliche Alternativen zur Behandlung therapieresistenter TB nötig, wie die Resistenzzahlen zeigen.
Im Fokus der Arzneimittelentwicklung stehen derzeit drei Ziele (6): Neben der Weiterentwicklung von bereits eingesetzten Arzneistoffen – mit der Absicht, die Wirksamkeit zu verstärken und die Verträglichkeit zu verbessern – sind das die Entwicklung von neuen Therapiekombinationen, die eine verkürzte Therapie ermöglichen, und von Arzneistoffen mit neuen Angriffszielen.
Die TB-Arzneimittel lassen sich nach ihrem Angriffspunkt in drei große Gruppen einteilen:
Abbildung: Medikamentöse Angriffspunkte an der Mykobakterium-Zelle (Kursiv: in der klinischen Entwicklung) / Foto: Stephan Spitzer
Die Zellwand der Mykobakterien besteht aus drei Schichten: der äußeren Mykolsäureschicht, der mittleren Arabinoglykanschicht und der inneren Peptidoglykanschicht.
Ein großer Fortschritt in der Behandlung von resistenter TB war das im Jahr 2020 in Europa zugelassene Pretomanid. Der Arzneistoff hemmt unter aeroben Bedingungen die Bildung von Mykolsäure, während er unter anaeroben Bedingungen die Zellatmung durch die Freisetzung von Stickstoffmonoxid hemmt. Die Aktivität von Pretomanid erfordert sowohl unter aeroben als auch anaeroben Bedingungen die reduktive Aktivierung durch eine mykobakterielle, Deazaflavin-(F420-)abhängige Nitroreduktase (5, 7).
Pretomanid wird in Kombination mit Bedaquilin und Linezolid bei XDR-TB eingesetzt oder bei MDR-TB, sofern eine Unverträglichkeit beziehungsweise ein Nichtansprechen anderer Therapeutika besteht (4). In der klinischen Nix-TB-Studie, in der die BPaL-Kombination getestet wurde, hatten 90 Prozent der Patienten nach sechs Monaten keinen Rückfall. Diese Ergebnisse verbesserten die XDR-TB-Behandlung; dadurch verkürzte sich die Therapiedauer von 18 auf 6 Monate (5). In der Studie traten unter BPaL häufig Übelkeit (36 Prozent), Erbrechen (28 Prozent) und erhöhte Transaminasen (21 Prozent) auf. Bei 81 Prozent der Patienten kam es zu einer peripheren Neuropathie und bei 37 Prozent zu einer Anämie – beides sind bekannte Nebenwirkungen von Linezolid. Übelkeit, Erbrechen und erhöhte Transaminasen sind mögliche Nebenwirkungen von allen drei Arzneistoffen der Kombinationsbehandlung.
Pretomanid hemmt die Transproteine OAT3, OATP1B3, P-gp und BCRP. Darüber hinaus induziert der Arzneistoff Cytochrom (CYP) 2C8, 2C9 sowie 2C19 und wird durch CYP3A4 metabolisiert. Daher sind Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln möglich (5).
Eine Kombination von Bedaquilin, Pretomanid, Linezolid und Moxifloxacin (BPaLM) zeigte in der TB-PRACTECAL-Studie bei Rifampicin-resistenter TB nach sechs Monaten eine vergleichbare Wirksamkeit wie die Standardtherapie bei etwas besserer Verträglichkeit (8).
Durch weitere Optimierungsstudien wie der Simplici-TB-Studie, in der eine Kombination von Bedaquilin, Pretomanid, Moxifloxacin und Pyrazinamid (BPaMZ) untersucht wird, soll die Behandlungsdauer bei DS-TB auf vier Monate und bei DR-TB auf sechs Monate verkürzt werden. Mit Ergebnissen ist dieses Jahr zu rechnen.
Eine Substanzklasse mit neuartigem Wirkmechanismus, in die hohe Erwartungen gesetzt werden, sind die sogenannten DprE1-Inhibitoren. Decaprenylphosphoryl-β-D-ribose 2′-epimerase (DprE1) ist ein wichtiges Flavoenzym, das einen kritischen Schritt in der Synthese von Lipoarabinomannan und Arabinogalactan katalysiert, die für die Zellwandbiosynthese der mittleren Arabinoglykanschicht von M.tuberculosis essenziell sind. In vitro zeigte diese neue Arzneistoffklasse eine höhere antibakterielle Wirksamkeit als die derzeit eingesetzten TB-Arzneistoffe. Auch verspricht man sich, da DprE1 im periplasmatischen Raum lokalisiert ist und zytoplasmatische Resistenzmechanismen nicht greifen, eine geringere Resistenzbildung. Drei Arzneistoffe werden derzeit in Phase II klinisch geprüft (6).
BTZ-043 wurde am Leibniz-Institut in Jena entwickelt und hat in vitro eine der stärksten antibakteriellen Wirksamkeiten unter den Arzneistoffen, die bei TB eingesetzt werden. Der Wirkstoff wirkt bakterizid auf Mtb in nanomolaren Konzentrationen und ist auch bei DR-TB wirksam. Die bakterizide Wirkung ist additiv in Kombination mit den meisten anderen TB-Arzneistoffen. In Phase I war BTZ-043 gut verträglich.
Quabodepistat (OPC-167832, Otsuka) ist ebenfalls hochwirksam gegen Mykobakterien, auch bei MDR-TB und XDR-TB. Wichtig: Der Arzneistoff wird gut vom Plasma in die Lunge und in TB-Läsionen verteilt und zeigt lang anhaltende Wirkstoffspiegel über der minimalen Hemmkonzentration. In einer Studie wird der Arzneistoff derzeit in Kombination mit Bedaquilin und Delamanid untersucht. Ergebnisse sind Anfang 2024 zu erwarten.
TBA-7371 (Astra-Zeneca, TB Alliance) zeichnet sich ebenfalls durch eine hohe Wirksamkeit aus. Die gute Löslichkeit und Clearance sorgen für eine geringere Toxizität. Die antibakterielle Wirksamkeit bei DS-TB wird derzeit im Vergleich zur Standardtherapie geprüft, mit Ergebnissen ist noch dieses Jahr zu rechnen (6, 9).
Das Carbapenem Meropenem inhibiert Transpeptidasen und hemmt so die Peptidoglykan-Synthese der inneren Zellwandschicht. Problematisch ist: Meropenem muss dreimal täglich intravenös infundiert werden, was für die ambulante Behandlung ungeeignet ist. Das in Phase II befindliche Carbapenem Sanfetrinemcilexetil (Glaxo Smith Kline, GSK) ist hingegen oral bioverfügbar. Ende 2023 ist mit Ergebnissen einer Studie zu rechnen, in der das Antibiotikum bei Rifampicin-empfindlicher TB im Vergleich zu Rifampicin untersucht wird (6,9).
Die bakterielle Proteinsynthese ist das Angriffsziel mehrerer Arzneistoffe, die sich derzeit in klinischer Erprobung befinden. Mit Linezolid ist bereits ein Vertreter der Oxazolidinone für die Behandlung von MDR- und XDR-TB zugelassen. Linezolid bindet an die 50S-Ribosomenuntereinheit und blockiert die Bindung von tRNA an die Bindungsstelle. Der Arzneistoff hat eine gute Wirksamkeit auch bei MDR- und XDR-TB und weist keine Kreuzresistenz mit anderen TB-Arzneimitteln auf. Problematisch ist jedoch seine schlechte Verträglichkeit vor allem bei längerer Gabe, da er toxisch auf die Mitochondrien wirkt. Schwerwiegende Nebenwirkungen wie Anämie und Thrombozytopenie, verursacht durch die Suppression des Knochenmarks, periphere Neuropathie, optische Neuritis, Laktatazidose, sowie Pankreatitis können auftreten (6).
Auch mit Interaktionen ist zu rechnen. Linezolid ist ein reversibler, nicht selektiver Monoaminooxidase-(MAO-)Hemmer. Die Kombination mit serotonergen Substanzen wie Citalopram, Escitalopram, trizyklischen Antidepressiva, Triptanen, Tramadol oder Fentanyl ist wegen der Gefahr eines Serotonin-Syndroms kontraindiziert.
Delpazolid ist ein Linezolid-Analogon, das an die 23s-rRNA bindet und die bakterielle Proteinsynthese blockiert. In einer ersten Studie an wenigen Patienten mit DS-pulmonaler TB zeigte Delpazolid im Vergleich zur HRZE-Standardtherapie oder Linezolid eine stärkere antibakterielle Wirksamkeit (10). Mit Ergebnissen einer Dosisfindungsstudie ist Ende des Jahres zu rechnen (9). Es wird erwartet, dass Delpazolid besser verträglich ist als Linezolid. Die mitochondriale Toxizität ist geringer, da es eine niedrigere Talkonzentration und eine um 30 bis 50 Prozent kürzere Halbwertszeit als Linezolid aufweist.
Sutezolid, ein weiteres Linezolid-Analogon, zeigt in vitro die höchste mykobakterizide Aktivität der Oxazolidinone gegen DS- und DR-TB-Erreger (6). In einer ersten Studie an Patienten mit pulmonaler TB zeigte Sutezolid im Vergleich zu HRZE eine gute Wirksamkeit und relativ gute Verträglichkeit. Die am häufigsten beobachtete Nebenwirkung, war eine asymptomatische Aminotransferase-Erhöhung (11). Derzeit wird Sutezolid in Kombination mit Bedaquilin, Delamanid und Moxifloxacin untersucht (9).
Kein generell neuer Wirkmechanismus, jedoch neu bei der Behandlung von TB, ist die Hemmung der Leucyl-tRNA-Synthetase, einer Aminoacyl-tRNA-Synthetase. Am weitesten fortgeschritten ist die Entwicklung von GSK-3036656 (GSK). Der Arzneistoff war in vitro stark antibakteriell wirksam sowohl gegen DS-TB- als auch DR-TB-Erreger. In einer ersten Studie an Patienten mit pulmonaler DS-TB bestätigte sich die gute bakterizide Wirksamkeit nach 14 Tagen täglicher oraler Einnahme. Der Wirkstoff wurde verglichen mit der Standardtherapie gut vertragen. Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet (12). Mit Ergebnissen einer Studie, in der GSK-3036656 in Kombination mit Delamanid oder Bedaquilin untersucht wird, ist Ende 2023 zu rechnen (9).
Ein Meilenstein in der Behandlung der TB war die Zulassung von Bedaquilin im Jahr 2014, welches durch Hemmung der F-ATP-Synthase die ATP-Synthese unterbindet und damit keine DNA- beziehungsweise Proteinsynthese mehr möglich ist und auch der Stickstoffmetabolismus gestört wird. Bedaquilin zeigt sowohl bei MDR-TB und XDR-TB eine starke Wirksamkeit. In klinischen Studien wurde Bedaquilin in Kombination mit einem Standardregime bei Patienten mit MDR-TB erprobt: Die einmal tägliche Gabe über zwei Wochen und die anschließende dreimal wöchentliche Gabe über 22 Wochen führte bei signifikant mehr Patienten in der Bedaquilin-Gruppe zu einer Sputumkonversion bereits nach 24 Wochen, die bis zu 120 Wochen anhielt, als bei Patienten, die nur die Standardbehandlung erhielten (13). Im direkten Vergleich zeigte eine Kombination von Bedaquilin mit Pretomanid und 600mg Linezolid eine bessere Verträglichkeit bei vergleichbarer Wirksamkeit wie dieselbe Kombination jedoch mit der doppelten Dosis Linezolid bei XDR-TB über einen 26-wöchigen Behandlungszeitraum (14).
Die WHO empfiehlt, Bedaquilin in allen MDR- und XR-TB-Behandlungskombinationen zu verwenden, da die Mortalität bei resistenter TB stark reduziert wird (4).
Generell ist Bedaquilin relativ gut verträglich. Häufige Nebenwirkungen, die bei circa 10Prozent der Patienten auftreten, sind Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und Arthralgie. QT-Zeit-Verlängerungen werden durch einen Metaboliten verursacht (13).
Seit Anfang 2021 ist Bedaquilin auch zugelassen für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen ab fünf Jahren. Das Nebenwirkungsprofil ist bei pädiatrischen Patienten vergleichbar mit dem von Erwachsenen, zusätzlich wurden Leberenzymerhöhungen bei circa einem Drittel beobachtet (15).
Die BCG-Impfung hinterlässt ähnlich wie die Pockenimpfung eine charakteristische Narbe. / Foto: Adobe Stock/Pannarai
Analoga von Bedaquilin, TBAJ-876 und TBAJ-587, befinden sich in der frühen Entwicklung. In vitro zeigten sie eine stärkere Wirksamkeit als Bedaquilin, auch wird eine bessere Verträglichkeit erwartet (6).
Sudapyridin, ein weiteres Analogon von Bedaquilin, zeigt in vitro eine vergleichbare Wirksamkeit wie Bedaquilin. Durch die geringere Lipophilie des Moleküls hat Sudapyridin ein verbessertes pharmakokinetisches Profil. Vor allem das Risiko einer QT-Zeit-Verlängerung soll dadurch verringert sein. Derzeit läuft eine Phase-II-Studie mit Patienten mit DS-TB und DR-TB. Mit Ergebnissen ist noch dieses Jahr zu rechnen (6).
Einen völlig neuen Wirkmechanismus hat Telacebec. Der Arzneistoff bindet an die Qcr-Untereinheit des respiratorischen Cytochrom bc1 und stört dadurch den Energiemetabolismus. Cytochroms bc1 ist eine wichtige Komponente der Elektronentransportkette. Der Elektronentransfer durch verschiedene Cytochrome wird durch die Oxidation von organischem Material gestartet, wobei ein Elektronenpotenzial entsteht und Protonen fließen; infolge kann die ATP-Synthetase ADP zu ATP phosphorylieren. In nanomolarer Konzentration hemmt Telacebec in vitro das Wachstum von DS- und DR-TB-Erregern.
Der Arzneistoff hat günstige pharmakokinetische Eigenschaften: Neben einer hohen oralen Bioverfügbarkeit von 90 Prozent weist er eine lange Halbwertszeit von 23 Stunden auf. Interaktionen mit Cytochrom-P450-Isoenzymen liegen nicht vor. In einer Phase-II-Studie zeigte Telacebec sich bei Patienten mit DS-TB als gut wirksam und verträglich nach 14-tägiger Einnahme. Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet (6, 9, 16).
Pyrifazimin ist ein Analogon von Clofazimin, das aufgrund seiner antimykobakteriellen Wirksamkeit bei Lepra eingesetzt wird. Der Wirkmechanismus ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Jedoch wird vermutet, das Pyrifazimin intrazellulär reaktiven Sauerstoff produziert und es dadurch zu einem Elektronenmangel in der mykobakteriellen Atmungskette kommt und zur Störung der Membran.
Pyrifazimin ist wirksamer als Clofazimin, insbesondere bei DR-TB. Es weist weiterhin eine verbesserte Pharmakokinetik auf und ist weniger lipophil. Hautentfärbungen wie bei Clofazimin werden nicht beobachtet. Eine Phase-II-Studie mit Patienten mit DS-TB wurde in China initiiert (6, 9).
Wirkstoff | Wirkmechanismus | Entwicklungsphase |
---|---|---|
Arzneistoffe mit Angriffspunkt mykobakterielle Zellwand | ||
BTZ-043 | inhibiert Decaprenylphosphoryl-β-D-ribose 2'-epimerase (DprE1) und hemmt so die Synthese von Lipoarabinomannan und Arabinogalactaon | II |
Quabodepistat (OPC-167832) | inhibiert Decaprenylphosphoryl-β-D-ribose 2'-epimerase (DprE1) und hemmt so die Synthese von Lipoarabinomannan und Arabinogalactaon | II |
TBA-7371 | inhibiert Decaprenylphosphoryl-β-D-ribose 2'-epimerase (DprE1) und hemmt so die Synthese von Lipoarabinomannan und Arabinogalactaon | II |
Sanfetrinemcilexetil | inhibiert Transpeptidasen und hemmt so die Peptidoglykansynthese | II |
Arzneistoffe mit Angriffspunkt Proteinsynthese | ||
Delpazolid | bindet an 23sRNA und hemmt so die bakterielle Proteinsynthese | II |
Sutezolid | bindet an 23sRNA und hemmt so die bakterielle Proteinsynthese | II/III |
GSK-3036656 | inhibiert die Leucyl-tRNA Synthetase und hemmt so die bakterielle Proteinsynthese | II |
Arzneistoffe mit Angriffspunkt Energiemetabolismus | ||
TBAJ-876 | inhibiert die F-ATP-Synthase und hemmt dadurch die ATP-, DNA- beziehungsweise Proteinsynthese und den Stickstoffmetabolismus | I |
TBAJ-587 | inhibiert die F-ATP-Synthase und hemmt dadurch die ATP-, DNA- beziehungsweise Proteinsynthese und den Stickstoffmetabolismus | I |
Sudapyrin | inhibiert die F-ATP-Synthase und hemmt dadurch die ATP-, DNA- beziehungsweise Proteinsynthese und den Stickstoffmetabolismus | II |
Telacebec | inhibiert respiratorisches Cytochrom bc1 und stört so die Elektronentransportkette | II |
Pyrifazimin | Bildung von reaktivem Sauerstoff und dadurch Störung der mykobakteriellen Atmungskette durch Elektronenmangel und der Membran | II |
In Expertenkreisen herrscht Einigkeit, dass eine weltweite Ausrottung der TB nur durch einen wirksamen Impfstoff möglich ist. Den derzeit einzig verfügbaren, aber in Deutschland nicht zugelassenen Bacillus-Calmette-Guérin-(BCG-)Lebendimpfstoff empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts aufgrund der geringen Wirksamkeit und der schlechten Verträglichkeit nicht mehr (3).
Höchste Priorität bei der Entwicklung haben Impfstoffe, die bei Erwachsenen und Jugendlichen eine Erkrankung verhindern, da diese das höchste Risiko für eine Ansteckung und Erkrankung haben (17). Basierend auf den von der WHO im Jahr 2018 neu definierten Therapiezielen sind mittlerweile zahlreiche Impfstoffe in der klinischen Entwicklung:
Impfstoffname | Impfstofftyp | Patienten-Zielgruppe | Entwicklungsphase |
---|---|---|---|
VPM1002 | präventiv, therapeutisch | Kinder, Jugendliche, Erwachsene | III |
M72/AS01E | präventiv | Jugendliche, Erwachsene (LTBI+) | II |
MTBVac | präventiv | Kinder, Jugendliche, Erwachsene (LTBI+) | II |
RUTI | therapeutisch | Erwachsene mit aktiver TB | II |
V7 | therapeutisch | Erwachsene mit aktiver TB | III |
Am weitesten fortgeschritten in der Entwicklung neuer TB-Impfstoffe ist VPM 1002, eine rekombinante BCG-Vakzine, die am Max-Planck-Institut in Göttingen von der Arbeitsgruppe um Professor Dr. Stefan Kaufmann entwickelt wurde. VPM 1002 enthält ein gentechnisch modifiziertes Mycobacterium bovis vom BCG-Subtyp Prag. Diese Bakterien wurden so verändert, dass das Gen hly in das bakterielle Genom integriert wurde. Dieses Gen codiert für das membranperforierende Protein Listeriolysin O (Hly) aus Listeria monocytogenes. Das Protein sorgt dafür, dass die phagosomale Membran von Wirtszellen, die VPM 1002 in sich tragen, durchlöchert wird, sodass die Antigene ins Zytosol gelangen können. Dadurch wird der Zelltod dieser Zellen induziert. Zudem scheint dies auch die MHC-basierte Antigenpräsentation zu erleichtern und damit die T-Zellantwort zu stimulieren. Damit Listeriolysin wirken kann, benötigt es einen sauren pH-Wert von deutlich unter 6. Dies wird durch die Deletion des Urease-C-Gens erreicht. Wird Urease C nicht produziert, bleibt der pH-Wert im sauren Bereich (18).
In einer Phase-II-Studie mit HIV-exponierten und nicht exponierten Neugeborenen in Südafrika war VPM 1002 gut verträglich und zeigte eine gute Immunogenität (19). Derzeit wird der Impfstoff in Phase III in gleich zwei Studien getestet: in einer Studie an Neugeborenen mit dem Studienendpunkt »Prävention einer TB-Infektion« und in einer zweiten Studie an Erwachsenen, bei denen nach einer überstandenen Lungen-TB-Erkrankung ein Rückfall verhindert werden soll. Mit ersten Ergebnissen wird Ende 2023 gerechnet (9).
M72/AS01E (GSK) enthält zwei immunogene Mtb-Antigene in einem rekombinanten Fusionsprotein plus das Adjuvans AS01, die die Lymphozytenproliferation sowie die Interferon-γ-Produktion steigern sollen (17). Ziel ist die Prävention von TB-Erkrankungen bei infizierten Jugendlichen und Erwachsenen (LTBI+).
In einer randomisierten Studie erhielten 3375 Mtb-infizierte Erwachsene ohne aktive TB oder HIV-Infektion zwei Dosen M72/AS01E im Abstand von vier Wochen und wurden drei Jahre im Hinblick auf das Auftreten einer aktiven pulmonalen TB mittels Nachweis von Mtb im Sputum nachbeobachtet. Daten von zwei Jahren nach der zweiten Injektion zeigten einen Schutz von 54 Prozent bei Gabe von M72/AS01E im Vergleich zu Placebo. Nach 2,7 Jahren betrug der Schutz 50 Prozent. Eine Vergleichskontrolle mit BCG-Impfung gab es in der Studie nicht. Mehr Probanden, die M72/AS01E erhielten, berichteten über Reaktionen an der Injektionsstelle sowie über grippeähnliche Beschwerden. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten gleich häufig in der Verum- und in der Placebogruppe auf (20, 21). Eine Phase-III-Studie ist in Planung.
Zahlreiche präventive und therapeutische TB-Impfstoffe sind in der klinischen Entwicklung. / Foto: Adobe Stock/Aron M - Austria
MTBVac (Biofabri) ist ein Lebendimpfstoff, der genetisch attenuiertes M. tuberculosis enthält. Dabei wurden in Mtb zwei Gene deletiert, die als zentrale Schaltstellen für die Expression zahlreicher Virulenzgene gelten: phoP, ein Transkriptionsfaktor für Virulenzfaktoren und fadD26, das an der Synthese eines Lipids beteiligt ist. (17). Die Vakzine soll bei Kindern die Infektion mit TB verhindern sowie bei infizierten Jugendlichen und Erwachsenen das Ausbrechen der Erkrankung.
Der Impfstoff erwies sich in einer Phase-I-Studie mit Erwachsenen als sicher (22). In einer Phase-II-Studie mit gesunden Neugeborenen zeigte MTBVac in allen getesteten Dosen eine antigenspezifische T-Helferzell-Antwort mit einem Peak nach 70Tagen. Eine stärkere Immunogenität als die BCG-Kontrollvakzine zeigte sich in der höchsten getesteten Dosis, die über ein Jahr anhielt. Die Verträglichkeit war gut. In der höchsten Dosisgruppe sowie in der BCG-Gruppe traten vermehrt milde Reaktionen an der Injektionsstelle auf (23).
Der Impfstoff RUTI (Archivel Farma) besteht aus einer Liposomensuspension, die Zellwandnanofragmente von Mtb enthält, die unter Stressbedingungen kultiviert wurden. Die Stressproteine sollen eine verbesserte Immunantwort des Körpers auf nicht replizierende Bakterien erzeugen, von denen vermutet wird, dass sie maßgeblich zu einem Rückfall beitragen und eine längere Therapie erforderlich machen. RUTI soll als Immuntherapie eingesetzt werden, die TB-Behandlung verkürzen und die Heilungsraten verbessern (24).
In einer Phase-II-Studie, die Patienten mit latenter TB einschloss, wobei die Hälfe HIV-positiv war, wurden drei Dosen (5, 25, 50 µg) im Vergleich zu Placebo getestet. Bei allen Patienten, die den Impfstoff zweimal im Abstand von vier Wochen erhielten, konnte eine Stimulation des Immunsystems nachgewiesen werden, wobei die stärkste Antwort bei Gabe der mittleren Dosis bei HIV-positiven Probanden beobachtet wurde. Die Gabe der zweiten Dosis verbesserte die Immunantwort nicht. Der Impfstoff wurde relativ gut vertragen. Die häufigsten Nebenwirkungen waren lokale Reaktionen an der Injektionsstelle, die jedoch in der Regel mild verliefen (25).
Die Ergebnisse einer weiteren Placebo-kontrollierten Phase-II-Studie, bei der Patienten mit aktiver Lungen-DS-TB eine Impfung mit 25 µg RUTI am ersten Tag der TB-Therapie erhalten, sollen Ende 2023 vorliegen (9). In einer zweiten Studie erhalten Patienten mit aktiver DS-TB oder MDR-TB eine Woche beziehungsweise einen Monat nach Start der Standardbehandlung eine Injektion mit RUTI oder Placebo. Überprüft wird, wie viele Patienten zwei beziehungsweise sechs Wochen nach der Impfung eine TB-negative Speichelprobe haben. Mit Ergebnissen ist nicht vor 2025 zu rechnen (9).
Der Impfstoff V7 (Immunitor LLC) ist eine hitzeinaktivierte Ganzzellvakzine, die Mycobacterium vaccae enthält, eine apathogene Mycobacteriaceae-Art, die in Milch und Dung von Kühen vorkommt. Durch die Gabe des Impfstoffs soll die Immunantwort auf mit Mtb gemeinsame Antigene stimuliert werden. Vorteil des Impfstoffs: Er kann oral verabreicht und bei Raumtemperatur gelagert werden (24).
Die Wirksamkeit und Verträglichkeit wurde in einer placebokontrollierten Phase-III-Studie an 152DS- und MDR-TB-Patienten untersucht. Diese erhielten im ersten Monat zusätzlich zur Standardbehandlung täglich V7 (n = 100) oder Placebo (n = 52). Eine rasche, statistisch signifikante mykobakterielle Clearance der Sputumkultur innerhalb des ersten Monats wurde bei 89 Prozent der DS- beziehungsweise 56 Prozent der MDR-TB-Patienten gezeigt, die V7 erhielten. Im Vergleich dazu wurde eine Clearance nur bei 27 Prozent beziehungsweise 15 Prozent der Patienten nachgewiesen, die Placebo erhielten.
Neben der stark verkürzten Therapiedauer auf einen Monat wirkte sich V7 auch positiv auf den durch TB verursachten Gewichtsverlust aus. Die Patienten nahmen signifikant an Gewicht zu (2,4 kg unter Verum gegenüber 0,3 kg unter Placebo). Ebenso reduzierte sich die durch TB-Arzneimittel induzierte Hepatotoxizität (26). Weitere größere Studien sind geplant.
Nach Dekaden des Stillstandes in der Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung von TB sind einige vielsprechende Kandidaten wie die DrpE1-Inhibitoren in der Pipeline. Durch stärkere Wirksamkeit könnten sie die Therapiedauer beträchtlich verkürzen und durch bessere Verträglichkeit zusätzlich die Compliance fördern.
Auch bei den präventiven und therapeutischen Impfstoffen gibt es Fortschritte. Für alle gilt: Die konfirmatorischen Phase-III-Studien stehen noch aus. Jedoch besteht nun die Hoffnung, dass das WHO-Ziel, die Tuberkulose auszurotten, in den nächsten Jahren erreicht wird.
Bettina Wick-Urban studierte Pharmazie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Nach ihrer Promotion in Basel und Freiburg mit einer molekularbiologischen Arbeit im Bereich der experimentellen Onkologie arbeitete sie zunächst als Referentin bei der Arzneimittelinformationsstelle der ABDA. Danach wechselte sie in die pharmazeutische Industrie, wo sie seitdem in verschiedenen Positionen in der klinischen Forschung, Arzneimittelsicherheit und Medizin tätig ist, davon zwei Jahre in den USA. Zwischenzeitlich schloss sie ein Journalismus-Studium ab.