BfArM muss Informationen zu Umwelttoxizität herausgeben |
Melanie Höhn |
18.12.2023 18:00 Uhr |
Kontinuierlich gelangen Tonnen von Humanarzneimittelwirkstoffen und deren Abbauprodukte mit dem Abwasser über die Kläranlagen in die Umwelt – vor allem in die Gewässer – und können dort Schaden anrichten. / Foto: IMAGO/Rupert Oberhäuser
Mit dem inzwischen rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts Köln wird das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dazu verpflichtet, die von Arzneimittelherstellern eingereichten Studienberichte zur Umweltrisikobewertung an Kim Teppe herauszugeben. »Das hat die Behörde auch inzwischen gemacht«, erklärte sie gegenüber der PZ.
Die Juristin hatte sich im Rahmen der interdisziplinären Forschungsgruppe »PharmCycle« an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg mit den Auswirkungen von Arzneimitteln auf die Ökosysteme beschäftigt und an der HAW Hamburg in Kooperation mit der Universität Hamburg zum Umweltrecht promoviert.
Im Rahmen ihrer Promotion reichte sie die Klage vor mehr als fünf Jahren am Verwaltungsgericht Köln ein, dass Arzneimittelhersteller bisher keine konkreten Studienergebnisse aus Umweltrisikobewertungen veröffentlichen müssen, und machte den Anspruch der Öffentlichkeit auf Zugang zu diesen Bewertungen geltend. Sie beantragte beim BfArM unter anderem den Zugang zu den Umweltrisikobewertungen hinsichtlich 58 verschiedener Arzneimittel.
»Meine Forderung war, dass Umweltrisikobewertungen, die ich seinerzeit für ein Forschungsprojekt benötigte, vom BfArM auch dann herausgegeben werden müssen, wenn Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Unternehmen dem entgegenstehen. Dem ist das Gericht gefolgt«, freut sich die Juristin. Bei den Umweltrisikobewertungen handelt es sich laut Gericht um Umweltinformationen im Sinne des Umweltinformationsgesetzes (UIG).
Insbesondere sei nicht ersichtlich, wieso eine Umweltrisikobewertung pauschal Urheberrechtsschutz genießen solle. Zudem überwiege im Rahmen einer Abwägung das öffentliche Interesse, da mit dem Auskunftsbegehren als Hauptanliegen ein Umweltschutzinteresse verfolgt werde.
Zwar gab das BfArM der Klägerin im September 2018 teilweise die Informationen zu einigen Arzneimitteln heraus, doch es lehnte die Anträge hinsichtlich der beiden Arzneimittel »Ibuprofen T. 400 mg Weichkapseln« und »Thomapyrin U. 400mg/100mg Filmtabletten« ab – nach dem Urteil musste die Behörde auch diese Umweltrisikobewertungen an Kim Teppe herausgeben.
Das Urteil sei zwar zunächst nur in dem konkreten Fall unmittelbar bindend, doch bei einem erneuten Herausgabeverlangen zu anderen Arzneimitteln könne das BfArM dieses Urteil nicht ignorieren. Teppe erhofft sich ein Umdenken und eine Gesetzesänderung dahingehend, dass diese Informationen von Vornherein transparent sind. Schließlich sei das am Ende auch ressourcensparender und bedeute nicht »eine irrsinnige Arbeit für die Behörden«, so Teppe.
Ihre Vision: Die Etablierung eines Systems oder einer Datenbank, in die Unternehmen erforderliche Umweltdaten eingetragen, »um bei der Gewässerüberwachung überhaupt zu wissen, wonach wir schauen müssen und darauf aufbauend Risikomanagement betreiben zu können«, sagte sie. »Das hat es bisher in der Form überhaupt nicht gegeben.«
Kim Teppe kritisiert, dass das Umweltrisikowissen über ein Arzneimittel bisher weder Staat noch Gesellschaft gehöre, sondern vielmehr der Arzneimittelindustrie, wie sie gegenüber der Körber-Stiftung erläuterte, die jährlich den Deutschen Studienpreis verleiht. Im Jahr 2022 erhielt ihn Teppe für ihre Dissertation zum Thema »Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse verhindern einen effektiven Schutz unserer Umwelt vor Arzneimittelrückständen« im Projekt Pharmcycle. In ihrer Promotion konnte die Wissenschaftlerin demnach zeigen, dass Umweltrisikobewertungen von Arzneimitteln »Informationen über Emissionen im Sinne des Umweltinformationsrechts« sind– diese seien »unabhängig von etwaigen betroffenen Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen der Industrie auf Antrag zugänglich zu machen«.
Laut Teppe wird das Arzneimittelrecht den Anforderungen des Umweltrechts nicht gerecht. Denn es sei nicht hinreichend bekannt, wie die Rückstände von 771 nachgewiesenen Arzneimittelstoffen in der Umwelt wirken. »Der weltweit flächendeckende Nachweis von Arzneimittelrückständen in der Umwelt und die zunehmende Verbreitung von Antibiotikaresistenzen über die Umwelt stellen ein wachsendes Risiko für Ökosysteme, aber auch für die menschliche Gesundheit dar«, sagte sie gegenüber der Körber-Stiftung. »Diese von staatlicher Seite und ausdrücklich auch vom Europäischen Parlament anerkannten Informationsdefizite wurden bisher zwar oft benannt und bemängelt, im Detail und in ihrer Ursache blieben sie jedoch weitestgehend unbeleuchtet«, so Teppe.
Ihre legislativen Verbesserungsvorschläge flossen bereits in eine Studie für die EU-Kommission zur neuen Tierarzneimittel-Verordnung ein. Im Ergebnis hat die Kommission die Vorschläge anerkannt und sieht ein solches System, auch zur Erreichung ihrer allgemeinen Ziele wie den Green Deal, als erforderlich an, erklärte Teppe. Die Kommission erklärte, dass ein wirkstoffbasiertes Monographiesystem in unterschiedlichem Maße zu einer Verbesserung des Umweltschutzes beitragen könne. Inzwischen hat die EU-Kommission das Monografiesystem in ihren Gesetzesentwurf für das neue Humanarzneimittelrecht mit aufgenommen.
Auch der »Policy Brief« »Centre for Planetary Health Policy« (CPHP) und der Bucerius Law School hat analysiert, welche Auswirkungen die Klimakrise auf unser Wohlergehen und unsere Gesundheit hat. Das Arzneimittelwesen trage durch seine chemikalienintensive Produktion »erheblich« zu den Umwelt- und Klimabelastungen bei: Global gesehen sei die pharmazeutische Industrie für mehr Treibhausgasemissionen verantwortlich als die Automobilindustrie.
Kontinuierlich gelangen Tonnen von Humanarzneimittelwirkstoffen und deren Abbauprodukte mit dem Abwasser über die Kläranlagen in die Umwelt – vor allem in die Gewässer – und können dort Schaden anrichten, wie das Umweltbundesamt (UBA) informiert. Mehr als 150 Wirkstoffe aus Arzneimitteln sowie Spurenstoffe aus anderen Bereichen sind demnach bislang bereits in deutschen Oberflächengewässern aufgetaucht.
Viele Wirkstoffe können auch Kläranlagen kaum zurückhalten. Tierarzneimittel gelangen überwiegend mit Mist und Gülle in Form von Dünger in die Umwelt. Derzeit liegen die gemessenen Konzentrationen der Wirkstoffe von Arzneimitteln nach Angaben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) noch unterhalb der Dosierungen, die therapeutische Auswirkungen haben. Auch Tiere nehmen die Medikamentenrückstände über Nahrung, Haut und Schleimhäute auf, jedoch nur in geringen Konzentrationen. Es kann aber zu verändertem Verhalten und Fortpflanzungsstörungen kommen, was wiederum große Auswirkungen auf die Ökosysteme haben kann.