Bezahlung effektivster Anreiz zum Impfenlassen |
Theo Dingermann |
11.10.2021 17:30 Uhr |
Umgerechnet knapp 20 Euro, also ein relativ geringer Betrag, reichte in einer schwedischen Studie als Anreiz, um die Covid-19-Impfrate signifikant zu steigern. / Foto: Adobe Stock/pixarno
Nach wie vor stellen Covid-19 und das Auftreten neuer Varianten große Gefahren für die öffentliche Gesundheit dar. Es herrscht Konsens, dass sich diese Risiken nur durch eine hohe Durchimpfungsrate mit wirksamen und sicheren Impfstoffen reduzieren lassen. Dennoch stagnieren die Impfquoten auch in Ländern mit hohem Einkommen bei etwa 70 Prozent.
Um die Impfraten zu steigern, setzen einige Länder mittlerweile auf finanzielle oder materielle Anreize von teils fraglicher Qualität. Belege für die Wirksamkeit solcher Maßnahmen lagen bisher nicht vor. Dass eine Bezahlung tatsächlich erfolgreich sein kann, zeigt jetzt eine Studie, die prominent im Fachjournal »Science« publiziert wurde.
In der in Schweden durchgeführten randomisierten kontrollierten Studie konnten Pol Campos-Mercade und Kollegen von der Universität Kopenhagen zeigen, dass sich die Impfraten durch ein Angebot von 200 Schwedischen Kronen (etwa 19,80 Euro) um 4,2 Prozentpunkte steigen ließ. Selbst bei einer recht hohen Impfrate von 71,6 Prozent in Schweden war dieser Anstieg hoch signifikant (p < 0,001). Im Gegensatz dazu steigerten verhaltensbezogene Anreize die Bereitschaft, sich impfen zu lasse, nur gering und statistisch nicht signifikant.
In einem Zeitraum von Mai bis Juli 2021 rekrutierten die Studienautoren 8286 Teilnehmer im Alter von 18 bis 49 Jahren aus einem weitgehend repräsentativen schwedischen Online-Panel. Die Probanden wurden nach dem Zufallsprinzip in fünf Testgruppen und eine Kontrollgruppe eingeteilt.
Unmittelbar nachdem die ersten schwedischen Regionen Impfungen anboten, wurden die ausgewählten Probanden nach ihrer Absicht befragt, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen. Mit Ausnahme der Probanden einer Gruppe (Gruppe ohne Erinnerung) erhielten alle Teilnehmer, auch diejenigen in der Kontrollgruppe, zwei und vier Wochen nach dem ersten Kontakt Impferinnerungsmails. Im August 2021 informierte dann die schwedische Gesundheitsbehörde die Wissenschaftler über den Impfstatus aller Studienteilnehmer.
Zwei Auswertungskriterien waren vor Studienbeginn definiert worden: erstens die von den Teilnehmern selbst angegebene Absicht, sich innerhalb von 30 Tagen nach Verfügbarkeit eines Impfstoffs mit einer ersten Dosis impfen zu lassen, und zweitens der tatsächlich Impfstatus innerhalb von 30 Tagen. In der Gruppe, deren Teilnehmer einen finanziellen Anreiz von 200 SEK erhalten hatten, lagen sowohl die Angaben zur Impfabsicht mit 87,2 versus 83,5 Prozent als auch der tatsächliche Impfstatus mit 75,6 versus 71,6 Prozent im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant höher.
Die Autoren erfragten von den Probanden auch detaillierte Persönlichkeitscharakteristika. Danach lagen die Impfraten bei Personen mit einem höheren sozioökonomischen Status (Hochschulabschluss, höheres Einkommen, berufstätig) höher als in anderen Gruppen. Trotz dieser Unterschiede griffen die monetären Anreize zur Steigerung der Impfrate in allen Untergruppen in ähnlicher Weise. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass monetäre Anreize das Potenzial haben, die Impfraten unabhängig vom sozioökonomischen Status der Menschen zu erhöhen.
Zudem untersuchten die Wissenschaftler verschiedene andere Arten von Verhaltensanreizen, um für eine Impfung zu motivieren. Dazu baten sie die Teilnehmer einer Gruppe, eine Liste mit vier Personen zu erstellen, die von der Impfung des jeweiligen Teilnehmers profitieren würden (Bedeutung der sozialen Wirkung). Ferner sollten die Probanden einer anderen Gruppe Argumente aufschreiben, die eine andere Person am besten von der Impfung überzeugen könnten (Bedeutung von Argumenten). Die Probanden einer dritten Gruppe wurden aufgefordert, an einem Quiz mit Informationen über die Sicherheit und Wirksamkeit von Covid-19-Impfstoffen teilzunehmen (Bedeutung von Information). Um auch den Einfluss einer wiederholten Aufforderung zur Impfung messen zu können, erhielten die Teilnehmer einer Gruppe (Gruppe ohne Erinnerung) nach der ersten Kontaktaufnahme keine weitere Mails.
Einige dieser Anregungen erhöhten zwar die Impfabsicht der Teilnehmer statistisch signifikant, vor allem der Hinweis auf die sozialen Auswirkungen und die Bemühungen, eine Person argumentativ von einer Impfung zu überzeugen. Keine erhöhte aber die tatsächliche Impfrate. Gepoolt steigerten die drei Verhaltensanreize soziale Wirkung, Argumente und Information die Impfabsicht um 1,8 Prozentpunkte. Trotz der bekundeten Absichtserklärungen stieg dann jedoch die Impfrate nur um statistsisch nicht signifikante 1,2 Prozentpunkte. Auch eine Erinnerung erwies sich als enttäuschend wenig effektiv.
Erstmals zeigt eine randomisierte und kontrollierte Studie, dass eine Belohnung die Impfrate erhöhen kann, selbst wenn die Ausgangsimpfquote hoch ist. Allerdings ist die Qualität der Anreize entscheidend. Während selbst verhältnismäßig kleine monetäre Anreize die Impfrate signifikant zu steigern vermögen, zeigen verhaltensbezogene Anreize keine signifikanten Effekte.
Die Ergebnisse dieser Studie sind deshalb wichtig, weil es bisher umstritten war, ob monetäre Anreize zur Förderung der Akzeptanz von Covid-19-Impfung beitragen können. Dies konnte bestätigt werden. Andere Bemühungen erwiesen sich jedoch als unwirksam oder gar kontraproduktiv.
Die Autoren weisen ausdrücklich darauf hin, dass ihre Studie nicht als Aufforderung zur Bezahlung für die Impfbereitschaft missverstanden werden sollte, da die normative Frage, ob die Bezahlung von Impfungen ethisch zulässig ist, nicht behandelt wurde.
Bürger dafür zu bezahlen, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen, wäre offenbar gut investiertes Geld. Für rational denkende Menschen ist es zwar bereits schwer nachvollziehbar, wenn jemand ein Impfangebot gegen Covid-19 aus persönlichen Gründen ablehnt. Schließlich hat diese Impfung ihre Sicherheit und Wirksamkeit millionenfach dokumentiert und von einer hohen Durchimpfungsrate profitiert die gesamte Bevölkerung. Nicht mehr zu verstehen sind hingegen diejenigen, die sich erst durch einen lächerlich kleinen Geldbetrag zur Impfung motivieren lassen. Doch diese scheint es zu geben.
Man muss wohl akzeptieren, dass ein solcher überschaubarer Anreiz tatsächlich ein gut angelegtes Investment für eine Gesellschaft zu sein scheint. In Deutschland ließe es sich leicht aus den Mitteln aufbringen, die ab heute durch die größtenteils nicht mehr öffentlich finanzierten Antigentests eingespart werden. Bei allen, die nicht dafür bezahlt werden müssen, um rational zu entscheiden, wird diese Erkenntnis allerdings Kopfschütteln verursachen.
Professor Dr. Theo Dingermann, Senior Editor
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.