| Laura Rudolph |
| 21.02.2022 16:30 Uhr |
Eine Depression kann jeden treffen. Darüber zu reden kann Betroffenen helfen, besser mit der Erkrankung umzugehen und Lösungswege für sich zu finden. / Foto: Getty Images/Westend61/Rainer Berg
Jährlich leiden weltweit etwa 5 Prozent der Erwachsenen an einer Depression. Doch die Diagnose, Prävention und Behandlung dieser globalen Gesundheitsbedrohung wird vernachlässigt – so Expertinnen und Experten der Lancet-World Psychiatric Association Commission. Sie empfehlen einen stufenweisen, gesamtgesellschaftlichen Präventions-Ansatz mithilfe der Zusammenarbeit von Regierungen, Gesundheitsdienstleistern, Forschern, Betroffenen und ihren Familien. Das Ziel: Stigmatisierung verringern, über die Krankheit und Hilfsmöglichkeiten aufklären und damit letztlich viele vermeidbare Suizide verhindern.
Die Dunkelziffer bei Depression ist weltweit hoch – in Ländern mit hohem Einkommen beträgt sie laut Studie etwa 50 Prozent, in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen 80 bis 90 Prozent. Die andauernde Corona-Pandemie begünstigt durch soziale Isolation, Unsicherheit und Nöte zusätzlich die Entstehung der Krankheit.
Eine Depression kann jeden treffen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, sozialer Schicht oder Alter. Etwa 70 bis 80 Prozent der Suizide in Ländern mit hohem Einkommen und etwa 50 Prozent in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen gehen auf psychische Erkrankungen zurück, allen voran Depressionen. Doch die Volkskrankheit hat nicht nur gesundheitliche, sondern auch wirtschaftliche Folgen: Bereits vor der Corona-Pandemie kostete der Verlust an wirtschaftlicher Produktivität aufgrund von Depressionen die Weltwirtschaft schätzungsweise eine Billion US-Dollar pro Jahr.
»Wenn wir in die Verringerung der Belastung durch Depressionen investieren, haben Millionen von Menschen die Chance, gesündere, glücklichere und produktivere Mitglieder der Gesellschaft zu werden, die Volkswirtschaften zu stärken und die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen für 2030 voranzubringen«, sagt die Kommissionsvorsitzende Professor Dr. Helen Herrman von Orygen, einer gemeinnützigen Kinderschutzorganisation in Australien, im Rahmen einer Pressemitteilung von »The Lancet«.
Zur Prävention zählen neben individuellen Ansätzen wie der Änderung von Lebensstilfaktoren (beispielsweise mehr Bewegung und geringerer Alkoholkonsum) auch Interventionen gegen häusliche Gewalt und Hilfe bei belastenden Lebensereignissen wie Trauerfälle und finanzielle Krisen. Die Kommission betont die Komplexität der Erkrankung und befürwortet einen personalisierten, abgestuften Behandlungsansatz, zugeschnitten auf den Schweregrad der Symptome und die Bedürfnisse des Einzelnen. Die empfohlenen Maßnahmen reichen von Selbsthilfe und Änderungen des Lebensstils über psychologische Therapien und Antidepressiva bis hin zu intensiveren und spezialisierten Behandlungen wie der Elektrokonvulsionstherapie (EKT) für sehr schwere Depressionen. Ebenso sprechen sie sich für den Einsatz von lokalen Nicht-Fachleuten wie Laienberatern zur Überbrückung aus, da es oft einen Mangel an qualifizierten Fachleuten wie etwa Psychotherapeuten gibt.
Auch die Mitarbeit auf Regierungsebene sei laut Herrman wichtig: »Politische Maßnahmen, die rassische oder ethnische Ungleichheiten und systematische Benachteiligungen von Frauen abbauen und eine gerechte Einkommensverteilung durch eine allgemeine Gesundheitsversorgung und die Ausweitung von Bildungschancen unterstützen, können potenziell wirksame Präventionsstrategien sein.«
Dr. Lakshmi Vijayakumar von SNEHA, Zentrum für Suizidprävention und freiwillige Gesundheitsdienste in Chennai in Indien, fasst zusammen: »Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir evidenzbasierte Maßnahmen zur Unterstützung der Elternschaft, zur Verringerung von Gewalt in der Familie und von Mobbing in der Schule sowie zur Förderung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz und zur Bekämpfung der Einsamkeit bei älteren Erwachsenen in die Praxis umsetzen.«
Denken Sie darüber nach, sich das Leben zu nehmen? Reden Sie darüber! Hilfe und Beratung bei Suizidalität sind rund um die Uhr kostenfrei bei der Telefonseelsorge unter den Telefonnummern 0800/1110111 und 0800/1110222 oder unter www.telefonseelsorge.de zu erhalten.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.