Bei familiärer Belastung ist Vorsorge besonders wichtig |
Die Gefahr, im Laufe des Lebens an Darmkrebs zu erkranken, ist bei familiärer Belastung im Vergleich zur Normalbevölkerung um das Zwei- bis Sechsfache erhöht. / Foto: Getty Images/LightFieldStudios
Aktuell haben gesetzlich Versicherte zwecks Darmkrebsfrüherkennung ab dem Alter von 50 Jahren Anspruch auf einen immunologischen Test auf verstecktes Blut im Stuhl pro Jahr. Männer ab 50 Jahren und Frauen ab 55 Jahren haben außerdem das Anrecht auf eine Vorsorgekoloskopie. Die Mehrzahl aller kolorektalen Karzinome wird nach dem 50. Lebensjahr identifiziert.
»Zirka 10 Prozent aller Darmkrebsfälle treten jedoch bereits in den Lebensjahren unter 50 auf«, betonte Professor Dr. Frank Kolligs bei der Online-Jahres-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). »Betroffene werden durch die grundsätzlich sehr erfolgreichen Maßnahmen zur Früherkennung von Darmkrebs nicht erfasst. Und das, obwohl in dieser Lebenspanne die familiäre Häufung als wichtigster Risikofaktor für die Entstehung von Darmkrebs bekannt ist«, führte er weiter aus.
Die Gefahr, im Laufe des Lebens an Darmkrebs zu erkranken, sei bei familiärer Belastung im Vergleich zur Normalbevölkerung um das Zwei- bis Sechsfache erhöht. Das Risiko für ein kolorektales Karzinoms sei dabei umso größer, je jünger dieser Verwandte bei der Diagnose gewesen sei, je mehr Verwandte betroffen seien und je enger der Verwandtschaftsgrad sei, sagte Kolligs mit Verweis auf die S3-Leitlinie »Kolorektales Karzinom«.
Danach treten etwa 20 bis 30 Prozent aller kolorektalen Karzinome »familiär gehäuft« auf, wobei die Ursachen für diese Häufung bislang noch unbekannt sind. Diskutiert werden unter anderem schädliche Lebensgewohnheiten wie übermäßiger Alkohol- und Nikotinkonsum, falsche Ernährung, mangelnde Bewegung, Übergewicht und Stress. Lediglich 5 bis 8 Prozent aller kolorektalen Karzinome werden auf genetisch bedingte Veränderungen und somit Veranlagung zurückgeführt.
Etwa 10 Prozent aller Erwachsenen hätten einen erstgradig Verwandten, dazu gehören Eltern, Geschwister und Kinder, mit der Diagnose Darmkrebs. Dann sei das mittlere Risiko zwei- bis dreifach erhöht. Eine weitere drei- bis vierfache Risikosteigerung bestehe, wenn das Karzinom beim Indexpatienten vor dem 60. Lebensjahr aufgetreten und/oder mehr als ein Verwandter ersten Grades betroffen sei. Auch wenn bei erstgradig Verwandten im Rahmen einer Koloskopie Darmkrebsvorstufen wie Polypen festgestellt und entfernt wurden, sei eine gesteigerte Gefahr nicht auszuschließen.
Mit Blick explizit auf erstgradig Verwandte von Darmkrebspatienten könne das Risiko weiter aufgeteilt werden. So sei es bei Geschwistern etwa 2,5-fach höher als bei Kindern. Ist der Indexpatient nach dem 60. Lebensjahr erkrankt, ist das Krebsrisiko für die erstgradig Verwandten nur noch gering erhöht. Auch Verwandte zweiten Grades, also Großeltern, Geschwister der Eltern und Enkel von Erkrankten haben laut Leitlinie nur ein leicht gesteigertes Karzinomrisiko.
Bei familiärer Belastung sollen Verwandte ersten Grades leitliniengemäß bereits zehn Jahre vor dem Erkrankungsalter des Indexpatienten und spätestens im Alter von 40 bis 45 Jahren komplett koloskopiert werden. Bei polypenfreiem Darm in der initialen Koloskopie sollte diese mindestens alle zehn Jahre wiederholt werden. Die Risikofeststellung erfolgt in der Regel über das ärztliche (Familien-)Anamnesegespräch, gegebenenfalls unter Einsatz entsprechender standardisierter Fragebögen.
Besteht Grund zu der Annahme, dass die erbliche Form eines kolorektalen Karzinoms vorliegt, sollten Betroffene stets in Zentren mit ausgewiesener Expertise für familiären Darmkrebs vorstellig werden. Etablierte Methoden der molekulargenetischen Diagnostik könnten die prädiktive Testung auch von Familienangehörigen ermöglichen.
Mit 1,9 Millionen Neuerkrankungen und 900.000 Sterbefällen pro Jahr zählt das kolorektale Karzinom zu den häufigsten Krebserkrankungen weltweit. Auch wenn seit Einführung der Vorsorge-Darmspiegelung ein starker Rückgang der Darmkrebs-Inzidenz und -Sterblichkeit zu verzeichnen ist: Allein in Deutschland waren 2017 fast 59.000 Neuerkrankungen und 24.000 Todesfälle durch Darmkrebs zu beklagen. Ein Großteil dieser Fälle, so Kolligs, wäre vermeidbar, wenn mehr Menschen zur Vorsorgeuntersuchungen gingen. Die Schärfung der Sensibilität der Bevölkerung für die Notwendigkeit der risikoangepassten Früherkennung bei Darmkrebserkrankungen in der Familie könne das persönliche Risiko minimieren.
Die große Rolle der familiären Belastung sollte für die Gesundheitspolitik ein Anlass sein, die risikoangepasste Darmkrebsvorsorge vor dem 50. Lebensjahr gesetzlich zu verankern, so Kolligs abschließend.