Bei Erkältung früh mit Phytopharmaka eingreifen |
Daniela Hüttemann |
22.09.2022 18:00 Uhr |
Kommt eine Erkältung helfen viel Ruhe, viel Trinken und pflanzliche Arzneimittel. / Foto: Adobe Stock/simona
»Atemwegsinfektionen machen derzeit die Wartezimmer wieder voll«, erklärte Professor Dr. Andreas Michalsen, Inhaber der Stiftungsprofessur für Klinische Naturheilkunde der Berliner Charité, vergangenen Dienstag bei einer Pressekonferenz der Firma Schwabe. Es sei schon lange bekannt, dass bis zu 95 Prozent aller Atemwegsinfekte von verschiedenen Viren ausgelöst werden und folglich Antibiotika nichts bringen. Spezifische antivirale Therapeutika fehlen jedoch, wenn man von den Covid-19-Medikamenten PaxlovidTM mit Nirmatrelvir/Ritonavir und Lagevrio® mit Molnupiravir absieht.
Experten rechnen mit der nächsten Corona-Welle diesen Herbst oder spätestens Winter und auch die Influenza könne als heftige Welle zurückkommen. Überdies habe die Erkältungssaison bereits begonnen. »Wir werden Infekte auch mit strengen Hygiene-, Masken- und Abstandsregeln nicht vollständig vermeiden können«, so Michalsen. Ziel müsse es sein, schwere Verläufe zu vermeiden, Symptome zu lindern und auch bei banaleren Infekten die Krankheitszeit zu verkürzen.
»Es gibt einige Allgemeinmaßnahmen zur Prävention und Behandlung von Erkältungen«, so Michalsen – zwar mit wackliger Evidenz, aber sie hätten aus seiner Sicht eine klare Berechtigung. Sein wichtigster Ratschlag: Ruhe. Wenn man merke, dass ein Infekt im Anmarsch sei, solle man nicht noch schnell in die Sauna oder joggen gehen, sondern sich so gut wie möglich ausruhen. Zweite Maßnahme sei eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr.
Der Experte für Naturheilkunde hält darüber hinaus Dampfinhalationen, Kochsalz-Nasenspülungen sowie das Lutschen von Zink-Tabletten (therapeutisch in einer Konzentration ab 75 mg täglich) für sinnvoll. Letzteres könne die Erkrankungsdauer um einen Tag verkürzen. Niedriger dosiert könne Zink auch phasenweise prophylaktisch zum Schutz vor Erkältungen eingesetzt werden – »man darf aber nicht zu viel davon erwarten«, ordnete Michalsen die aktuelle Studienlage ein. Vitamin C dagegen habe keinen therapeutischen Effekt und brauche in aller Regel nicht supplementiert zu werden.
Michalsen sprach sich klar für den Einsatz rationaler Phytotherapie bei Erkältungen aus – »das ist kein Vodoo oder Esoterik, sondern steht auf wissenschaftlichen Beinen«. »Wir haben hier bewährte Heilpflanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften zur Auswahl: Efeu, Eibisch, Kapuzinerkresse, Meerrettich, Myrtol, Pelargonium sidoides (Kapland-Pelargonie), Primel, Spitzwegerich und Thymian.«
Je nach Pflanze beziehungsweise deren Extrakt seien in vitro beispielsweise antivirale, antibakterielle, sekretomotorische, sekretolytische, bronchospasmolytische, antiphlogistische und schleimhautprotektive Wirkungen nachgewiesen. Antiviral in vitro wirken zum Beispiel die Kombination aus Kapuzinerkresse und Meerrettich sowie Thymian und Pelargonium-sidoides-Extrakt.
Umckaloabo®-Hersteller Schwabe hat direkte antivirale Effekte für sein Pelargonium-Präparat in vitro nachgewiesen. So hemme der Spezialextrakt EPs® 7630 unter anderem die Replikation von Influenzaviren vom Typ H1N1 und H3N2, von Rhinoviren und SARS-CoV-2, erläuterte Michalsen. Er aktiviere darüber hinaus das angeborene Immunsystem, unsere erst Verteidigungslinie, indem er die antivirale Interleukin- und Interferon-Antwort induziert und Fresszellen aktiviert. Gleichzeitig wirke er aber auch immunregulierend und könne so die Entzündung in den Atemwegen bekämpfen.
Warum der Einsatz von Phytopharmaka mit solchen Eigenschaften daher möglichst früh erfolgen sollte, erläuterte der Pharmazieprofessor Dr. Peter Heisig von der Universität Hamburg. Erkältungen seien im Prinzip »oberflächliche« Infektionen, da in erster Linie die Schleimhäute der Atemwege betroffen sind. Dort haften die Viren an, gelangen in die Zellen und sorgen für ihre Vermehrung. »Das geschieht bei Erkältungsviren unglaublich schnell und man hat innerhalb von Stunden eine hohe Viruslast«, so der auf Mikrobiologie spezialisierte Pharmazeut. Dafür sinkt sie bei solch banalen Infekten in der Regel auch schnell wieder.
Beim Ausschleusen aus den Wirtszellen würden diese oft mit geschädigt – »das merken wir als lokale Entzündung in Form von Halsschmerzen, Husten und Schnupfen«, so Heisig. Sofort zu Beginn der viralen Attacke reagiert das angeborene, unspezifische Immunsystem mit Komplementsystem und Makrophagen und auch durch eine vermehrte Schleimbildung. Innerhalb von vier bis 96 Stunden kommen induzierbare Komponenten hinzu, die aber auch noch relativ unspezifisch und nicht adaptiv seien, darunter Akute-Phase-Proteine, weitere Makrophagen und Granulozyten – das äußert sich in einer Entzündung.
Erst nach 96 Stunden formiert sich die spezifische, adaptive Immunantwort in Form spezieller Antikörper, T- und B-Zellen. »Diese spezifischen Zellen kommen bei vielen Atemwegsinfekten zu spät, wenn die Infektion ohnehin schon wieder abklingt. Hier spielt das unspezifische Immunsystem eine wichtigere Rolle«, so Heisig. Zwar brauche es eine Entzündung, um die Heilung in Gang zu bringen. »Diese Reaktion und die damit verbundenen unangenehmen Symptome können aber bei Atemwegsinfekten durch antientzündliche Medikamente durchaus ohne großen Verlust der immunologischen Funktion gedämpft werden.«
Um die Prozesse des Immunsystems optimal zu unterstützen, ist laut des Referenten daher ein frühzeitiger Einsatz wichtig. »Die Anwendung von Phytopharmaka sollte generell immer beim ersten Spüren von Erkältungssymptomen beginnen«, riet Mediziner Michalsen.
»Wir schaffen damit keine Wunderheilung, aber mit pflanzlichen Arzneimitteln wird man schneller wieder gesund«, fasste der Referent den derzeitigen Erkenntnisstand zusammen. Für den Pelargonium-Extrakt sei beispielsweise eine Symptomlinderung bei Bronchitis nachgewiesen und die Probanden waren schneller wieder fit für die Arbeit oder Schule. Patienten schon ab dem ersten Lebensjahr seien etwa zwei Tage schneller wieder gesund, fühlten sich weniger krank und benötigten weniger Begleitmedikation wie Paracetamol oder Antibiotika.
»Mit 30 klinischen Studien mit mehr als 10.000 Patienten, darunter über 4000 Kinder, gilt das Antiinfektivum EPs® 7630 als das bestuntersuchte pflanzliche Arzneimittel bei Atemwegsinfektionen«, so Michalsen. »Insgesamt ist der Evidenzgrad für pflanzliche Arzneimittel zwar noch gering, aber als Ärzte haben wir immer noch nicht viele Therapiemöglichkeiten und sind für solche Daten dankbar. Bei der Therapie von Erkältungen und herkömmlichen Atemwegsinfekten haben pflanzliche Arzneimittel für mich daher einen vorrangigen Platz.«
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.