Begrenzte spezifische Wirksamkeit der Booster bestätigt sich |
Theo Dingermann |
26.10.2022 18:00 Uhr |
Menschen im Alter über 60 Jahre sollten sich laut geltender Empfehlung ein zweites Mal boostern lassen. Dies wird durch die aktuellen Studienergebnisse keinesfalls infrage gestellt. / Foto: Getty Images/Luis Alvarez
Ebenso wie die gestern auf dem Preprint-Server »Biorxiv« veröffentlichten Ergebnisse von US-amerikanischen Forschenden sind auch die jetzt an gleicher Stelle publizierten Daten eines Forscherkollektivs um Dr. Ai-ris Collier vom Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston bisher noch nicht durch unabhängige Experten begutachtet worden. Beide Arbeiten zeigen, dass die spezifische, gegen BA.4/5 gerichtete Immunantwort nach einer Boosterimpfung mit einem bivalenten an diese Omikron-Sublinien angepassten Impfstoff kaum stärker ausfällt als nach einer Auffrischimpfung mit einem monovalenten Original-mRNA-Impfstoff gegen Covid-19.
Die Forschenden aus Boston untersuchten die humoralen und zellulären Immunantworten von 15 Personen, die eine Auffrischimpfung mit dem ursprünglichen monovalenten mRNA-Impfstoff erhalten hatten, sowie von 18 Personen, die mit einem bivalenten mRNA-Impfstoff geboostert worden waren. Im Median hatten die Probanden zuvor drei (zwei bis vier) frühere Covid-19-Impfstoffdosen erhalten. Zudem war bei 33 Prozent eine SARS-CoV-2-Durchbruchinfektion während der Omikron-Welle dokumentiert. Das Vorliegen einer hybriden Immunität wurde jedoch bei den restlichen 67 Prozent der Probanden nicht ausgeschlossen und die Autoren spekulieren sogar, dass sich tatsächlich die meisten Teilnehmer der Untersuchungskohorte auch mit Omikron infiziert hatten.
Sowohl die monovalenten als auch die bivalenten mRNA-Boosterimpfungen führten zu einem bevorzugten Anstieg der neutralisierenden Antikörpertiter gegen den Wildtypstamm (WA1/2020) und nur zu mäßig höheren Titern gegen die Omikron-Varianten BA.1, BA.2 und BA.5. Die mittleren neutralisierenden Antikörpertiter gegen BA.5 stiegen nach einer Auffrischimpfung mit dem monovalenten mRNA-Impfstoff von 184 auf 2829 und nach einer Impfung mit dem bivalenten mRNA-Impfstoff von 211 auf 3693. Die angepassten Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna induzierten ähnliche Antikörperprofile. Die Reaktionen auf an das Spike-Protein bindende Antikörper waren ebenfalls vergleichbar nach einem monovalenten und einem bivalenten mRNA-Booster.
Bezüglich des zellulären Immunsystems zeigte sich, dass die Spike-spezifischen CD8+- und CD4+-T-Zell-Antworten nach Auffrischimpfungen mit den monovalenten ebenso wie mit den bivalenten mRNA-Impfstoffen nur geringfügig erhöht waren. Die medianen BA.5-spezifischen CD8+-T-Zell-Antworten stiegen nach der Impfung mit der monovalenten Vakzine von 0,027 Prozent auf 0,048 Prozent und nach der Impfung mit den bivalenten Impfstoffen von 0,024 Prozent auf 0,046 Prozent. Die medianen BA.5-spezifischen CD4+-T-Zell-Antworten stiegen von 0,060 Prozent auf 0,130 Prozent nach der Impfung mit den monovalenten mRNA-Impfstoffen und von 0,051 Prozent auf 0,072 Prozent nach der Impfung mit den bivalenten Impfstoffen. Ferner betrug die mediane Antwort der BA.5-spezifischen Gedächtnis-B-Zellen 0,079 Prozent nach einem monovalenten mRNA-Booster und 0,091 Prozent nach einem bivalenten mRNA-Booster.
Die Autoren resümieren, dass sowohl monovalente als auch bivalente mRNA-Booster die Bildung neutralisierender Antikörper deutlich, die T-Zell-Reaktionen jedoch nur unwesentlich steigerten. Ähnlich wie in der zuvor publizierten Arbeit enttäuschen die angepassten Impfstoffe dahingehend, dass sie kaum (um den Faktor 1,3) besser den Immunstatus erhöhen, als dies auch die klassischen monovalenten Impfstoffe tun.
Im Rahmen der Auswertung von Zwischenergebnissen einer Studie zur Sicherheit und Immunogenität des bivalenten, an die Omikron-Subvariante BA.1 angepassten Impfstoffs mRNA-1273.214 der Firma Moderna, die kürzlich im »New England Journal of Medicine« publiziert wurde, zeigte sich, dass sich nach Applikation einer zweiten Boosterdosis von 50 µg dieses Impfstoffs verglichen mit einer Boosterimpfung mit 50 µg Spikevax® (mRNA-1273) mediane neutralisierende Antikörpertiter gegen die Omikron-BA.1-Subvariante von 2372,4 beziehungsweise 1473,5 ergaben. Der bivalente Impfstoff induzierte verglichen mit dem monovalenten Impfstoff mediane Titer bindender Antikörper von 727,4 beziehungsweise 492,1 gegen die Omikron-Subvarianten BA.4 und BA.5.
Auch diese Daten zeigen, dass der bivalente, adaptierte Impfstoff nur eine mäßig (etwa 1,6-fach) bessere Immunantwort induzierte, als der monovalente Originalimpfstoff. Dies deutet das Team um Collier als einen weiteren Hinweis darauf, dass die Prägung des Immunsystems durch frühere antigene Exposition eine größere Herausforderung für die Induktion einer robusten Immunität gegen SARS-CoV-2-Varianten darstellen könnte, als man das bisher angenommen hatte.
In kurzer Abfolge erschienen aktuell mehrere Artikel, in denen enttäuschende Resultate zur spezifischen Wirksamkeit der an Omikron-Subvarianten adaptierten Impfstoffe kommuniziert wurden. Diese Aussagen provozieren geradezu Missverständnisse, vor denen ausdrücklich gewarnt werden muss. Denn keine der drei Arbeiten stellt die Wirksamkeit der adaptierten Impfstoffe grundsätzlich infrage. Im Gegenteil: Als Booster steigern alle zugelassenen Impfstoffe die Immunantwort signifikant und in einer Größenordnung, die man auch erwarten kann.
Die Enttäuschung macht sich daran fest, dass die angepassten Impfstoffe nur eine mäßig bessere spezifische Immunantwort gegen die Omikron-Subvarianten BA.1 oder BA.4/5 induzieren als die ursprünglichen mRNA-Impfstoffe Comirnaty® oder Spikevax®. Für dieses tatsächlich so nicht erwartete Ergebnis könnte es mehrere Erklärungen geben.
Zum einen könnte die antigene Prägung, also die Dominanz von Immunzellen gegen das Antigen, mit dem das Immunsystem erstmals konfrontiert wurde, bei SARS-CoV-2 stärker ausgeprägt sein, als viele das bisher erwartet haben. Sollte das der Fall sein, wäre es nicht erforderlich, mit angepassten Impfstoffen das Immunsystem auf einen aktuellen Stand zu bringen.
Zum anderen ist es aber auch denkbar, dass alle drei Studien nur eine Zwischenstufe auf dem Weg zu einer an die Omikron-Subvarianten angepassten Immunität dokumentieren. Es ist nicht auszuschließen, dass es eine Weile dauert, bis der Affinitätsreifungsprozess von B-Zellen mit einer höheren und breiteren Affinität zu den neu exponierten Antigenen optimiert ist. Dann wäre eine Boosterimpfung mit den adaptierten Impfstoffen am Ende doch einer Auffrischung mit den monovalenten Ursprungsimpfstoffen überlegen. Viele Experten teilen diese Meinung, weshalb die aktuellen Veröffentlichungen niemanden davon abhalten sollten, sich für eine Auffrischimpfung mit einem der verfügbaren bivalenten Impfstoffe zu entscheiden.
Professor Dr. Theo Dingermann, Senior Editor der PZ
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.