Bald gibt’s Rx-Präparate direkt aus der Apotheke |
Jennifer Evans |
09.05.2023 16:30 Uhr |
Künftig dürfen Apotheken in England verschiedene verschreibungspflichtige Arzneimittel abgeben. Die Regierung will rund 740 Millionen Euro in den kommenden Jahren in die Apotheken investieren. / Foto: Imago Images/UIG
Die englischen Hausärzte können sich freuen. Sie bekommen weitere Unterstützung von den Apotheken, damit der Druck auf ihre Praxen sinkt. Nach Angaben des englischen Gesundheitsdienstes National Heath Service (NHS) ist nämlich die Patientenzahl in den Arztpraxen um eine halbe Millionen pro Woche gestiegen – im Vergleich zu den Zeiten vor der Coronavirus-Pandemie.
Bereits vor einem Jahr hatte der NHS die »bahnbrechende Erweiterung« der Verantwortung für die Apotheken ab dem Jahr 2023 angekündigt. Geplant war, dass zunächst jene Apotheken mit dem neuen Service anfangen, die direkt an Versorgungszentren angegliedert sind. Ab 2026 sollen dann alle Offizinen Rezepte ausstellen dürfen. Doch seinerzeit fehlten noch die Details zum Ablauf und vor allem, welche Indikationsgebiete konkret betroffen sein sollen.
Jetzt steht aber fest: Es geht um sieben der häufigen Beschwerden wie Hals- oder Ohrenschmerzen, Nasennebenhöhlen-Entzündungen, Impetigo, Gürtelrose, infizierte Insektenstiche sowie unkomplizierte Harnwegsinfektionen bei Frauen. Wie der NHS England am heutigen Dienstag mitteilte, startet der Service diesen Winter. Die Apotheken spielen »eine zentrale Rolle im Gesundheitsmanagement der Nation, indem sie zum ersten Mal lebensrettende Untersuchungen und Medikamente für häufige Erkrankungen anbieten«, betonte die Chefin von NHS England, Amanda Pritchard. In den nächsten zwei Jahren sollen damit bis zu 15 Millionen Termine bei den Hausärzten wegfallen, was in etwa 2 Prozent entspricht.
Zudem werde fast eine halbe Million Frauen nicht mehr mit einer Krankenschwester oder einem Hausarzt sprechen müssen, um orale Verhütungsmittel zu erhalten, so der Gesundheitsdienst. Darüber hinaus hätten sich Blutdruckmessungen in Vor-Ort-Apotheken zuletzt mehr als verdoppelt. Somit würden die Apotheken auch dazu beitragen, die Risiken für Herzinfarkt oder Schlaganfall zu senken.
Die britische Regierung kündigte an, Apotheken in den kommenden zwei Jahren mit 645 Millionen Pfund (741 Millionen Euro) zu unterstützen, die Hausarztpraxen bekommen 240 Millionen Pfund (rund 276 Millionen Euro) zur Modernisierung. Zudem ist von Mehrwertsteuererleichterungen auf medizinische Dienstleistungen die Rede. Und zwar sollen diese demnach ab dem 1. Mai 2023 auch für jene Services gelten, die Fachpersonal unter Aufsicht einer Apothekerin oder eines Apothekers durchführt.
Für den Sommer hat sich das Gesundheitsministerium nach eigenen Angaben auf die Agenda geschrieben, generell die Rollen der Apothekenmitarbeitenden neu zu definieren und damit eine »bessere Nutzung des Qualifikationsmix zu ermöglichen«. Auch mehr Flexibilität bei der Abgabe solle es geben.
Des weiteren ist vorgesehen, Medikamente neu zu klassifizieren, sprich sie fallen aus der Verschreibungspflicht und gelten nur noch als apothekenpflichtig. Das könne Arzneimittel mit unterschiedlichen Wirkungsstärken betreffen sowie Kombinationspräparate oder aber Medikamente, die Hersteller in anderen Ländern bereits rezeptfrei vertreiben.
Die Reformpläne der Regierung sind ein Game-Changer für den gesamten Berufsstand. Vielleicht liegen Premierminister Rishi Sunak (Konservative) die Apotheken deshalb so besonders am Herzen, weil seine Mutter ebenfalls Apothekerin war.
Übrigens dürfen in Wales Pharmazeuten bereits seit April 2022 bei sogenannten »minor ailments«, also geringen Beschwerden, einspringen. Dazu zählen Wiederholungsrezepte , Grippe-Impfungen, Beratung und Abgabe von Verhütungspräparten. Abgeben dürfen sie zum Beispiel Empfängnisverhütungsmittel sowie Präparate, die bei akuten Infekten der Harnwege oder der oberen Atemwege zum Einsatz kommen – darunter auch Antibiotika . Auch in Schottland dürfen die Apotheken bei einigen Indikationen inzwischen selbst Rezepte ausstellen. Während der Coronavirus-Pandemie fungierten sie zunächst als Koordinierungs- und Beratungsstelle für die Patienten, die vor dem Arztbesuch mit gängigen Beschwerden wie etwa Hals- und Ohrenschmerzen, Lippenbläschen oder Harnwegsinfektionen die Offizin aufsuchten.
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