BA.2.75 zeigt weniger Immunflucht als BA.5 |
Christina Hohmann-Jeddi |
29.09.2022 09:00 Uhr |
Von der Omikron-Variante des Coronavirus SARS-CoV-2 existiert bereits eine Reihe von Sublinien, die unterschiedlich starke Immunfluchtpotenziale haben. / Foto: Getty Images/Naeblys
Die Omikron-Subvariante BA.2.75 spielt in Deutschland derzeit kaum eine Rolle, könnte aber im Winter verstärkt zum Infektionsgeschehen beitragen. Wie gut dann der Immunschutz von Geimpften gegen die Subvariante sein wird, ist unklar. Erste Daten sind aber positiv.
So berichtet eine Gruppe Forschender der Uniklinik Köln und der Berliner Charité im Fachjournal »The Lancet Infectious Diseases«, dass die Antikörper von dreifach geimpften Erwachsenen BA.2.75 zwar etwas schlechter bekämpfen als BA.2, aber besser als die derzeit dominierende Subvariante BA.5. Letztere macht in Deutschland derzeit etwa 96 Prozent der Infektionen aus. Alle Probanden hatten drei Dosen des mRNA-Impfstoffs Comirnaty® von Biontech/Pfizer erhalten.
Zudem untersuchte das Team, wie gut 17 zugelassene oder in der klinischen Entwicklung befindliche monoklonale Antikörper BA.2.75 erkennen. Das Ergebnis: Während die meisten Antikörper BA.2, BA.4/5 und BA.2.12.1 nicht neutralisieren konnten, wiesen einige eine merkliche Aktivität gegen BA.2.75 auf, heißt es in der Publikation. Als Beispiel nennen die Autoren hier Tixagevimab (in Evusheld®) und Regdanvimab (Regkirona®), die beide in der EU zugelassen sind. Auch die Neutralisationskapazität von Casirivimab (in Ronapreve®) und Sotrovimab (Xevudy®) gegen BA.2.75 war zumindest größer als gegen die anderen getesteten Omikron-Subvarianten.
Ähnliche Ergebnisse stellte ein US-amerikanisches Forscherteam im »New England Journal of Medicine« für den zweiten mRNA-Impfstoff gegen Covid-19, Spikevax® von Moderna, vor. Die Forschenden um Xiaoying Shen von der Duke University in Durham hatten untersucht, wie gut die Seren von Geimpften vier Wochen nach eine Spikevax-Boosterdosis in der Lage waren, BA.2.75 im Vergleich zu anderen Omikron-Subvarianten zu neutralisieren. Die Antikörpertiter gegen BA.2.75 lagen ähnlich hoch wie gegen BA.1 und BA.2, aber um den Faktor 2,5 höher als gegen BA.4/5. Die Autoren schlussfolgern, dass BA.2.75 wohl keine weitere Entwicklung in Richtung Immunflucht darstellt.
Die Mutationen im Spike-Protein von BA.2.75 ähnelten am stärksten der Variante BA.2, schreibt das Team um Shen. Zwei Mutationen in der Rezeptorbindedomäne, die BA.4/5 aufweist, fehlten und eine neue Mutation von BA.2.75 scheine kein erhöhtes Immunfluchtpotenzial mit sich zu bringen.
Beide Studien beziehen sich auf Antikörperantworten. Daten zu den T- und B-Zell-Antworten, die langfristig vor einem schweren Krankheitsverlauf schützen, gibt es bisher nicht. Darauf weist Dr. Christine Dahlke vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hin: Die Daten sähen vielversprechend aus, »allerdings fehlen hier noch die T-Zellantworten und man muss auch immer die Bevölkerung und deren Immunstatus im Blick haben«. Mit Blick auf den kommenden Winter sagt sie: »Zurzeit sehe ich in BA.2.75 keine Variante, die eine größere Rolle spielen wird.« Aber der Winter werde vermutlich neue Varianten mit sich bringen, wodurch einige Maßnahmen, zum Beispiel das Masketragen in Innenräumen, notwendig werden könnten.
Auch der Schweizer Virologe Professor Dr. Richard Neher von der Universität Basel hält BA.2.75 für eher unproblematisch. »Allerdings ist aus BA.2.75 eine weitere Variante, BA.2.75.2, mit den zusätzlichen Mutationen R346T, F486S und D1199N im Spike-Protein entstanden.« Ersten Daten aus China und Schweden zufolge werde diese Variante von menschlichen Antikörpern noch deutlich schlechter erkannt als BA.5. Auch der BA.5-Abkömmling BQ.1.1 zeige laut Neher eine vergleichbare Immunflucht und Mutationen an ähnlichen Positionen. »Auch bei weiteren Linien erwarten wir aufgrund des Mutationsprofils derartige Eigenschaften«, sagt der Virologe. »Diese Varianten sind im Moment in Europa noch selten, nehmen aber an Häufigkeit zu.«