Pharmazeutische Zeitung online
Zunehmende Hinweise

Autoantikörper an Covid-19-Pathologie beteiligt

Eine Reihe von Studien zeigt, dass Covid-19-Patienten Autoantikörper aufweisen – gegen verschiedene Organe, aber auch Teile des Immunsystems. Diese könnten eine Rolle bei der Pathologie spielen.
Theo Dingermann
22.01.2021  17:00 Uhr

Nach wie vor ist völlig unklar, wieso manche Menschen schwerer und manche weniger schwer an Covid-19 erkranken. Zudem verschlimmert sich bei manchen Patienten die Pathologie auch dann noch, wenn das SARS-Coronavirus-2 schon längst nicht mehr nachweisbar ist. Ratlosigkeit herrscht auch im Fall der oft ausgedehnten Multiorganerkrankungen, die bei Menschen mit »Langzeit-Covid-19« über Monate anhalten. Vielleicht liegen Antworten bei der Autoimmunität.

Die PZ hatte bereits im September über das Phänomen Autoantikörper bei Covid-19-Patienten, also Antikörper, die auf körpereigene Strukturen zielen, berichtet. Damals konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf Autoantikörper vor allem gegen Typ-I-Interferone. Jetzt nimmt diese Forschung Fahrt auf und es zeigt sich, dass man das Problem sehr ernst nehmen sollte, heißt es in einem Beitrag auf der Nachrichtenseite des Journals »Nature«.

Immer mehr Wissenschaftler, die sich mit dem Problem befassen, weisen auf die gefährliche Rolle von Autoantikörpern hin. Dabei stellen Autoantikörper zunächst einmal kein Problem dar. Alle Menschen produzieren diese vermeintlich unnütze Klasse von Antikörpern, die so lange harmlos bleiben, wie sie in überschaubarer Konzentration vorliegen. Übersteigt jedoch eine Autoantikörpervariante einen bestimmten Schwellenwert, kann dieser Klon schweren Schaden anrichten, beispielsweise indem er bestimmte Proteine in lebenswichtigen Organen angreift.

Eines der großen Probleme besteht darin, dass derartige Autoantikörper in der Regel längerfristige Schäden induzieren und ihr Effekt nicht einfach abklingt, wie das bei anderen immunologischen Reaktionen auf eine Ausnahmesituation, zum Beispiel in Form eines Zytokinsturms, der Fall ist.

Autoantikörper bilden eine latente Gefahr

Obwohl geringe Konzentrationen von Autoantikörpern gut kontrollierbar sind, deutet sich an, dass hier eine latente Gefahr droht. Denn Autoantikörper scheinen bei vielen Infektionskrankheiten eine unrühmliche Rolle zu spielen. Da wäre es schon erstaunlich, wenn Covid-19 hier eine Ausnahme machen würde.

Es gibt mehrere Theorien, die erklären, wie Autoimmunität bei Covid-19 und anderen Infektionen entstehen könnte. Sicherlich ist eine genetische Prädisposition ein relevanter Faktor. Zum Beispiel sind Träger bestimmter Oberflächenantigene, darunter die Haplotypen HLA-DRB1 oder HLA-DQB1 besonders anfällig für einen Kontrollverlust über die Autoantikörper. Beispielsweise findet man unter denjenigen, die nach einer Impfung gegen die sogenannte Schweinegrippe (H1N1) eine Narkolepsie entwickelten, in der Mehrzahl Träger dieser Risiko-Allele.

Noch steht die Forschung hier am Anfang. Aber bereits jetzt leuchtet ein, dass Fortschritte zum Verständnis der Zusammenhänge zwischen Autoantiköperbildung und einer Virusinfektion von großer Bedeutung für die Entwicklung von Interventionsstrategien sein könnte.

Immer mehr Beispiele von Autoantiköper-Induktion bei Covid-19

Wurde auf dieses Problem erstmals durch Arbeiten aus der Gruppe von Professor Dr. Jean-Laurent Casanova an der Rockefeller University in New York City aufmerksam gemacht, die Autoantikörper gegen Typ-I-Interferone im Zusammenhang mit Covid-19 nachgewiesen hatten, mehren sich jetzt Berichte über weitere Vertreter dieser gefährlichen Immunglobuline.

So berichteten Eric Wang und Mitarbeiter von der Yale School of Medicine in New Haven, USA, in einer Preprint-Studie auf »BioRxiv« von einer erhöhten Prävalenz von Autoantikörpern gegen Komponenten des Immunsystems bei infizierten Personen im Vergleich zu nicht Infizierten. Unter anderem konnten diese Wissenschaftler Autoantikörper nachweisen, die B-Zellen angreifen. Zudem deuten ihre Ergebnisse darauf hin, dass SARS-CoV-2 tatsächlich eine Autoantikörper-Produktion induzieren könnte. Denn einige der von ihnen untersuchten infizierten Personen hatten Autoantikörper gegen Proteine entwickelt, die in Blutgefäßen, im Herzen und im Gehirn exprimiert werden. Die Relevanz dieser Beobachtung wurde dadurch unterstrichen, dass diese Patienten auch genau in diesen Organen Symptome entwickelt hatten.

Noch ist unklar, ob die Bildung dieser Autoantikörper durch die SARS-CoV-2-Infektion induziert wird oder ob die infizierten Personen diese Autoantikörperklone bereits vor der Infektion gebildet hatten. Um dies zu klären, bedarf es weiterer Studien.

Andere Wissenschaftler, darunter Yu Zuo und Kollegen von der University of Michigan, konnten Autoantikörper gegen bestimmte Phospholipide nachweisen. Das ist besonders besorgniserregend, denn einige der Phospholipide sind an der Kontrolle der Blutgerinnung beteiligt, die bekanntlich bei Patienten mit Covid-19 schwer gestört sein kann.

Ebenso wurden Autoantikörper gegen Proteine wie Annexin A2 gefunden, was deshalb von besonderem Interesse ist, weil Annexin A2 wichtig für die Stabilität der Zellmembranen ist und unter anderem für die Integrität der kleinen Blutgefäße in der Lunge mit verantwortlich ist. Die Forscher fanden einen signifikant höheren durchschnittlichen Spiegel von Anti-Annexin-A2-Antikörpern bei Menschen, die gestorben waren, als bei denen, die nicht kritisch erkrankt waren. Noch weiß man nicht, ob diese Autoantikörper bereits vor der Infektion mit dem Coronavirus vorhanden waren oder ob deren Bildung im Rahmen der Infektion induziert wurde.

Die Autoantikörper-Theorie könnte zudem zum Verständnis des verzögerten Auftretens schwerer Symptome bei Covid-19-Fällen beitragen. Wenn die Autoantikörper als Konsequenz von zellulären Schäden und Entzündungsreaktionen induziert werden, die durch das Virus verursacht werden, könnte es ein paar Wochen dauern, bis sich ein relevanter Autoantikörper-Titer aufgebaut hat. Wäre das der Fall, müsste den Autoantikörpern deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Infektionen als Treiber von Autoimmunerkrankungen

Immer mehr Studien deuten darauf hin, dass Infektionen mit dem Risiko einhergehen, eine Autoimmunkrankheit zu entwickeln. Verdächtige Pathogene sind unter anderem die Malariaparasiten oder das Epstein-Barr-Virus. Auch unbehandelte Streptokokken-Infektionen können eine Autoimmunreaktion in Form des rheumatischen Fiebers auslösen, durch das dauerhafte Herzschäden verursacht werden können. Durch Helicobacter pylori kann eine immunthrombozytopenische Purpura (ITP) entstehen, in deren Verlauf die Blutplättchen angegriffen und zerstört werden.

Offensichtlich scheint das Immunsystem durch eine von einer Infektion verursachte Entzündung dahingehend getäuscht zu werden, körpereigene Proteine als »fremd« einzustufen und Autoantikörper gegen diese wichtigen Moleküle zu bilden. Gewebeschäden, die mit der Entzündung einhergehen, scheinen besonders gefährlich zu sein, um diesen Irrweg des Immunsystems einzuschlagen.

Was bedeutet all dies für künftige Therapien?

Sollte sich die Hypothese erhärten, dass Autoimmunität tatsächlich eine entscheidende Rolle für die Pathologie von Covid-19 spielen könnte, sollte dies ein Überdenken der Therapieoptionen veranlassen. Längst stehen Testsystem zur Verfügung, die es erlauben, Autoantikörper-Muster zu detektieren. Auf Basis dieser Muster ließen sich unter Umständen Risikopatienten identifizieren.

Ein Therapievorschlag läuft darauf hinaus, Interferon-β inhalativ zu applizieren. In einer größeren Studie konnte gezeigt werden, dass sich dadurch der klinische Zustand von Menschen mit Covid-19 verbessern ließ. Auch eine Plasmapherese könnte eine Option sein, die Konzentration von Autoantikörpern zu verringern.

Allerdings steht ein harter Beweis für eine relevante Beteiligung von Autoantikörpern an der Covid-19-Pathologie noch aus. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass das Spektrum möglicher Autoantikörper natürlicherweise riesig ist. Dennoch wird sich die Forschung auf diesem Gebiet mit Sicherheit intensivieren, da bei den Autoantikörpern ein attraktiver, wenn auch noch hypothetischer Angriffspunkt für das ernste Phänomen »Langzeit-Covid-19« liegen könnte.

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa