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Akut- und operationsbedingter schmerz

Opioide müssen nicht sein

13.12.2017  08:43 Uhr

Von Annette Mende / Für viele Opioid-abhängige Patienten in den USA war eine akute Schmerzbehandlung der erste Schritt in die Sucht. Eine aktuelle Studie hat jetzt ergeben: In diesen Fällen wirkt eine Kombination aus Ibuprofen und Paracetamol genauso gut analgetisch wie ein Opioid. Auch im postoperativen Schmerzmanagement können hohe Opioid-Dosen eingespart werden.

Patienten, die aufgrund akuter Schmerzen in einer Extremität die Notaufnahme aufsuchen, verschafft die einmalige Gabe von Ibuprofen plus Paracetamol eine genauso starke Schmerzlinderung wie die Kombination aus einem Opioid und Paracetamol. Das ergab eine Studie in einer Notfallambulanz in der New Yorker Bronx, über die eine Autorengruppe um Dr. Andrew K. Chang vom Albany Medical College in New York im Fachjournal »JAMA« berichtet (DOI: 10.1001/jama.2017.16190). Die Forscher hatten die Untersuchung angestoßen, um angesichts der Opioid-Epidemie in den USA Möglichkeiten zur Einsparung der starken Schmerzmittel zu eruieren.

Die Studie schloss 416 Patienten mit akuten Schmerzen in einer Extremität ein, die in der Notaufnahme einmalig randomisiert und doppelblind eine der folgenden Schmerzmittelkombinationen erhielten: 400 mg Ibuprofen plus 1000 mg Paracetamol, 5 mg Oxycodon plus 325 mg Paracetamol, 5 mg Hydro­codon plus 300 mg Paracetamol oder 30 mg Codein plus 300 mg Paracetamol. Primärer Endpunkt war die Veränderung der Schmerzintensität, gemessen anhand einer numerischen Rating Skala von 0 bis 11, wobei 0 Schmerzfreiheit und 11 größtmöglicher Schmerz bedeutet. Ausgehend vom durchschnittlichen Ausgangswert 8,7 veränderte sich die Schmerzintensität innerhalb von zwei Stunden nach der Einnahme wie folgt: Ibuprofen/Paracetamol -4,3, Oxycodon/Paracetamol -4,4, Hydrocodon/Paracet­amol -3,5 und Codein/Paracetamol -3,9. Die Unterschiede zwischen den Gruppen waren statistisch nicht signifikant. Langzeiteffekte und Nebenwirkungen wurden nicht erfasst.

 

Dass es in den USA auch in der postoperativen Schmerzbehandlung Opioid-Einsparpotenzial gibt, zeigt eine weitere aktuelle Veröffentlichung. Forscher um Dr. Ryan Howard von der University of Michigan fanden heraus, dass zur Schmerzstillung nach einer Entfernung der Gallenblase weniger als die Hälfte der zuvor üblichen Opioid-Dosis ausreicht, ohne dass die Patienten stärkere Schmerzen haben (»JAMA Surgery«, DOI: 10.1001/jamasurg.2017.4436).

 

Zu Beginn der Intervention verordneten Chirurgen an der Universitäts­klinik in Michigan zur postoperativen Schmerzkontrolle nach laparoskopischer Gallenblasen-Entfernung durchschnittlich insgesamt 250 mg Morphinäquivalent (MEQ) orale Opioide. Eine Befragung von 170 Patienten ergab ­jedoch, dass diese von der verordneten Menge nur einen Bruchteil einnahmen, nämlich durchschnittlich 30 mg MEQ. Der ungenutzte Rest lag meistens noch Jahre nach der OP zu Hause im Arzneischrank.

 

Mehr als neun Zehntel eingespart

 

Ausgehend von diesem Befund ent­wickelten die Autoren eine Klinik-interne Leitlinie, die eine deutlich geringere Opioid-Verordnung vorsieht. In der Folge sank die Menge der pro Patient verordneten Opioide auf 75 mg MEQ, während der Einsatz von Ibuprofen und Paracetamol in die Höhe schnellte. Eine Befragung von 86 Patienten ergab, dass diese sogar die niedrigere Opioid-Menge nicht komplett einnahmen, sondern im Schnitt nur 20 mg MEQ – also weniger als ein Zehntel der ursprünglich üblichen Verordnungsmenge.

 

Wie aus einer Pressemitteilung der Universität hervorgeht, wird die Leit­linie mittlerweile nicht nur an der ­Universitätsklinik, sondern auch in anderen Kliniken des gleichnamigen Bundesstaats angewendet. Da in den USA die Zuwendungen durch die öffentliche Krankenver­sicherung Medicare unter anderem von der Zufriedenheit der Patienten abhängen, ist das Ergebnis einer weiteren Untersuchung für die Kliniken besonderes relevant: Die Patientenzufriedenheit mit dem Schmerzmanagement nahm durch die Einsparung der Opioide nicht ab. Die Forscher haben ihre Empfehlungen mittlerweile im Rahmen des Michigan-OPEN-Netzwerks veröffentlicht (www.michigan-open.org). /

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