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Schadstoffe

Gift liegt in der Luft

14.12.2016  09:23 Uhr

Von Christina Hohmann-Jeddi / Luftverschmutzung ist der klassische Marker für nachhaltige Entwicklung, da Luftschadstoffe am Klimawandel maßgeblich beteiligt sind. Neben der Umwelt wird aber auch die menschliche Gesundheit durch die Luftverschmutzung auf vielfache Weise beeinträchtigt. Schlechte Luft ist weltweit für drei Millionen Todesfälle pro Jahr verantwortlich.

Fahrzeugabgase, Industrieemissionen, Staub und Rauch: Unsaubere Luft einzuatmen, ist die Norm. Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leben 92 Prozent der Weltbevölkerung in Gebieten, in denen die Grenzwerte für Schadstoffe in der Luft überschritten werden. Mit fatalen Folgen: Die Luftverschmutzung ist weltweit für 3,3 Millionen vorzeitige Todesfälle verantwortlich. Das zeigt der Bericht »Ambient air pollution: A global assessment of exposure and burden of disease«, den die WHO im September vorgelegt hat.

Dabei ist das Risiko weltweit ungleich verteilt. Etwa 90 Prozent der Todesfälle ereignen sich in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Zwei von drei Todesfällen treten in Südostasien und im westlichen Pazifikraum auf. Aber auch in Europa sterben jedes Jahr etwa 380 000 Menschen aufgrund von Luftschadstoffbelastung vorzeitig. Für Deutschland geht man von 34 000 Todesfällen jährlich aus.

 

Luftverschmutzung beeinträchtigt die Gesundheit auf verschiedene Weise. Sie schädigt nicht nur die Lungen, sondern erhöht auch die Gefahr für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Laut WHO gehen fast drei Viertel der vorzeitigen Todesfälle auf Herzinfarkte und Schlaganfälle zurück, 14 Prozent auf chronisch-obstruktive Lungen­erkrankung (COPD) oder akute Atemwegsinfektionen und weitere 14 Prozent auf Lungenkrebs. Gerade auch Kinder sind besonders durch Luftschadstoffe gefährdet, wie ein aktueller Bericht des Kinderhilfswerks Unicef zeigt. Bei ihnen kann Luftverschmutzung zu Asthma, Bronchitis und eingeschränkter Lungenfunktion führen und offenbar auch die körperliche und geistige Entwicklung beeinträchtigen. Insgesamt 600 000 Kinder unter fünf Jahren sterben jährlich an den Folgen der Luftverschmutzung.

 

Um die Auswirkungen auf die Gesundheit zu reduzieren, hat die WHO für die vier Hauptschadstoffe Feinstaub, Ozon (O3), Stickstoffdioxid (NO2) und Schwefeldioxid (SO2) Richtlinien festgelegt. Die stärkste Gefährdung für die Gesundheit geht dabei von Feinstaub aus. Darunter versteht man ein komplexes Gemisch aus festen und flüssigen Teilchen aus organischen oder anorganischen Substanzen, die in der Luft schweben. Die Hauptbestandteile sind Sulfate, Nitrate, Ammonium, Ruß und Wasser. Unterteilt werden die Partikel nach ihrer Größe in PM10 mit einem Durchmesser von unter 10 µm, PM2,5 (unter 2,5 µm) und Ultrafeinstaub PM0,1 (unter 0,1 µm).

 

Richtlinien festgelegt

Den Richtlinien zufolge sollte der Jahresmittelwert der PM10-Fraktion unter 20 µg/m3 Luft und der PM2,5-Fraktion unter 10 µg/m3 Luft liegen. Der Tagesgrenzwert beträgt 50 µg/m3 für PM10 und 25 µg/m3 für PM2,5, ohne dass an einzelnen Tagen eine Überschreitung zulässig ist. Feinstaub entsteht vor allem durch menschliches Handeln. Zu den Hauptquellen zählen Abgase aus Kraftfahrzeugen, Emissionen aus Kraft- und Fernheizwerken, Verwendung von Biomasse-Brennstoffen in Wohnhäusern zum Heizen und Kochen, Industrieabgase, Müllverbrennung oder auch der Umschlag von Schüttgütern. Feinstaub kann aber auch natürlichen Ursprungs sein, beispielsweise in Form von Pflanzen­pollen, Pilzsporen oder als Folge von Bodenerosion oder Bränden.

 

In Städten ist der Straßenverkehr die Hauptfeinstaubquelle, wobei die Partikel nicht nur aus Motoren – hauptsächlich aus Dieselmotoren – in die Luft gelangen, sondern auch durch Brems- und Reifenabrieb sowie durch die Aufwirbelung des Staubes von der Straßen­oberfläche. Global betrachtet, tragen aber häusliche Kleinfeuer zum Heizen und Kochen am stärksten zur Feinstaub-Mortalität bei.

 

Die feinen Partikel können in die Atemwege eindringen, gelangen je nach Größe bis in die Lunge und können sogar ins Blut übergehen. Die gesundheitlichen Folgen fassten Dr. Jonathan O. Anderson von der Orlando Health Emergency Medicine und Kollegen 2012 in einem Review-Artikel zusammen (»Journal of Medical Toxicology«, DOI: 10.1007/s13181-011-0203-1). Demnach steigen bei einer chronischen Exposition die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität. Zum einen fördert Feinstaub die Entstehung von Atherosklerose, indem er eine systemische Entzündung erzeugt. Proinflammatorische Zytokine werden verstärkt freigesetzt. Zum anderen aktiviert er die Koagulation und die Thrombozytenaggregation. Nach Tagen mit starker Feinstaubbelastung stieg in verschiedenen Studien auch die Gesamtmortalität, wobei die Todesfälle nicht nur auf kritisch kranke Personen beschränkt waren, sondern auch aktive Menschen mit Risikofaktoren betraf.

 

Neben dem Herz greift Feinstaub auch die Atemwege an und födert dort oxidativen Stress und Inflammation. Bei Langzeitexposition führen die Schäden zu Asthma und COPD und senken die Lungenfunktion. Einige Studien hätten auch gezeigt, dass er die Entwicklung der Lunge bei Kindern stört. Feinstaub erhöht das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, und darüber hinaus wahrscheinlich auch das für weitere Krebsarten wie Tumore der Brust, der Blase oder des Urogenitaltrakts. So zeigt eine Studie von Forschern der University of Birmingham aus diesem Jahr, dass der Anstieg der PM2,5-Belastung um je 10 µg/m3 Luft das Risiko, an Krebs zu sterben, um 22 Prozent erhöht (»Cancer Epidemiology, Biomarkers & Prevention«, DOI: 10.1158/1055-9965.EPI-15-0626). Dabei stieg die Brustkrebs-Mortalität von Frauen um 80 Prozent für jede 10 µg PM2,5 mehr pro m3 Luft, bei beiden Geschlechtern das Risiko, an Krebserkrankungen von Lunge, Gallenblase oder Bauchspeicheldrüse zu sterben, um 35 Prozent.

 

Ozon und Co.

Ein weiterer wichtiger Schadstoff ist Ozon. In Bodennähe macht es mit einer Konzentration von 30 bis 40 µg pro m3 Luft nur einen geringen Anteil des Luftvolumens aus. Zu hohen Ozonwerten kann es im Hochsommer an besonders sonnigen Tagen kommen, denn das Gas entsteht bei intensiver Sonneneinstrahlung durch photochemische Reaktionen von Sauerstoff mit Luftschadstoffen. Als starkes Oxidationsmittel greift Ozon, wenn es mit der Atemluft in die Lunge gelangt, die Schleimhäute an und kann entzündliche Prozesse auslösen. Hohe Ozonwerte können so zu Atemproblemen führen, Asthmaanfälle auslösen, die Lungenfunktion reduzieren und Lungenerkrankungen hervorrufen. Laut WHO-Richtlinie gilt ein Wert von unter 100 µg/m3 als unbedenklich.

 

Auch Stickstoffdioxid gehört zu den Hauptluftschadstoffen. Es entsteht hauptsächlich bei Verbrennungsvorgängen. Epidemiologische Studien bringen eine chronische Exposition mit der Entstehung von Bronchitis und Asthma sowie einer reduzierten Lungenfunktion bei Kindern in Zusammenhang. Der Jahresmittelwert sollte laut WHO 40 µg/m3 nicht überschreiten. Kurzzeitige Anstiege auf mehr als 200 µg/m3 sollten ebenfalls vermieden werden, da ab dieser Konzentration das Gas toxisch ist und starke Entzündungen der Atemwege hervorrufen kann.

 

Für Schwefeldioxid gilt ein Richtwert von 20 µg/m3 im Tagesdurchschnitt, Konzentrationen von mehr als 500 µg/m3 sollten auch für kurze Zeiträume vermieden werden. Typische Symptome, die bei einer Exposition auftreten, sind Irritationen am Auge, Lungen- und Atemwegsbeschwerden in Form von Husten, Entzündung und Schleimbildung. Asthmaanfälle können ausgelöst werden und auch die Zahl der Hospitalisierungen aufgrund kardiovaskulärer Erkrankungen steigt an Tagen mit erhöhten SO2-Werten.

 

Die Reduktion der Schadstoffe in der Luft sollte daher ein entscheidendes Ziel der Menschheit sein. »Je niedriger die Luftschadstoffbelastung ist, umso besser ist die kardiovaskuläre und respiratorische Gesundheit der Bevölkerung«, fasst die WHO in ihrem Bericht zusammen. Hierfür müssten unter anderem der Transport und die Energieversorgung sauberer werden, Industrieemissionen reduziert, die Müllbeseitigung verbessert und die Nutzung von Biomasse-Brennstoffen stark eingeschränkt werden. Diese Maßnahmen würden auch dazu beitragen, den Klimawandel abzuschwächen. /

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