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Diabetes und psychische Erkrankungen

Problematische Kombinationspartner

16.11.2010  16:27 Uhr

Von Sven Siebenand, Berlin / Depressive Störungen und Schizophrenie zählen zu den bekanntesten und zu den schwer therapierbaren psychischen Erkrankungen. In Verbindung mit Diabetes stellen sie ein noch größeres Problem dar. Auf der Herbsttagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) gab es Ratschläge, um Betroffenen helfen zu können.

Diabetes und Depression begünstigen sich gegenseitig. »Eine depressive Störung ist ein Risikofaktor für Typ-2-Diabetes«, so Professor Dr. Johannes Kruse, Gießen, bei einem Symposium der DDG Anfang November in Berlin. Das Diabetesrisiko sei um 40 bis 50 Prozent erhöht. Eine Metaanalyse von 13 Studien hatte sogar eine Risikoerhöhung um 60 Prozent ergeben. Andersherum erkranken Diabetiker etwa doppelt so häufig an depressiven Störungen wie Nicht-Diabetiker, wie eine andere Metaanalyse von 42 Untersuchungen zeigte. »In der Normalbevölkerung liegt die Prävalenz einer Depression im Laufe des Lebens bei etwa 6 Prozent, bei Diabetikern bei 10 Prozent«, informierte Kruse. Ob Trauer, Anpassungsstörung oder depressive Episode: »Wir sehen bei Menschen mit Diabetes das ganze Spektrum des inhomogenen Krankheitsbildes Depression«, so der Referent.

Kruse machte darauf aufmerksam, dass die Depression nicht nur die Lebens­quali­tät einschränkt, sondern auch die Funktionalität beziehungsweise Arbeits­fähigkeit der Betroffenen. »Wenn beide Erkrankungen zusammenkommen, er­gibt sich ein siebenfach erhöhtes Risiko für fehlende Funktionalität.« Noch schlimmer ist das Ergebnis aktueller Studien. Diese zeigen nämlich, dass Menschen mit Diabetes und Depression früher sterben. Grund dafür ist, dass sie ein deutlich erhöhtes Risiko für Schädi­gungen ihrer Blutgefäße und damit verbundene Erkrankungen haben. Um das zu unterstreichen, stellte Kruse die Ergebnisse einer Studie zur Sieben-Jahres-Inzidenz von mikro- und makro­vas­kulären Erkrankungen vor. »Egal ob leichte oder schwere Depression, das Risiko stieg in beiden Gruppen massiv an«, sagte der Mediziner. Was ebenso ansteigt sind die Krankheitskosten: Im Vergleich zum nicht-depressiven Diabetiker erhöhen sich die notwendigen Ausgaben schätzungsweise um das 4,5-Fache, wenn Zuckererkrankung und Depression gemeinsam vorliegen.

 

Bösartiges Geschwisterpaar

 

Wo liegen die Ursachen dafür, dass Diabetes und Depression offenbar ein besonders bösartiges Geschwisterpaar bilden? »Die depressive Symptomatik verändert das Krankheitsverhalten«, nannte Kruse einen Grund. So halten sich die Betroffenen weniger an Therapie- und Ernährungsempfehlungen und sind deutlich schlechter für sportliche Aktivitäten zu motivieren. Die Folge davon sind höhere HbA1c-Werte und ein stärkeres Risiko für diabetische Folgeschäden. Das veränderte Krankheitsverhalten ist aber nicht die alleinige Ursache. Untersuchungen haben gezeigt, dass bestimmte Genkonstellationen das Risiko für beide Erkrankungen erhöhen. Zudem können Veränderungen in der Stressbewältigung und in der Immunantwort vorkommen. So können Depressionen hormonelle Regulationsphänomene auslösen, die zu einer erhöhten Cortisolausschüttung führen – der Blutzucker steigt, die viszerale Fettakkumulation und die Insulinresistenz tun es ebenso. Depressionen aktivieren zudem das Immunsystem und damit die Expression von Entzündungsmediatoren, die die Entstehung einer Insulinresistenz fördern.

 

Jährliches Depressions-Screening

 

Entscheidend für Lebensqualität und Prognose der Patienten sind das frühzeitige Erkennen einer Depression und die Einleitung einer adäquaten Behandlung. Schon Erstes ist in der Praxis gar nicht so einfach. »Körperliche Beschwerden wie Müdigkeit, Erschöpfung und sexuelle Probleme treten bei Diabetikern ohnehin häufig auf«, so Kruse. Er riet dazu, auf typische Indikatoren für Depressionen, etwa Schuldgefühle, Vorwürfe und Selbstwertzweifel, zu achten. Aufgrund der hohen Prävalenz depressiver Störungen bei Diabetikern fordern mittlerweile auch die Praxisleitlinien der DDG ein routinemäßiges einmal jährliches Screening auf Depression. Hierfür stehen verschiedene Fragebögen, etwa der »WHO-5-Fragebogen«, zur Verfügung. Dieser ist auch in den »Gesundheitspass Diabetes« integriert.

 

Welche therapeutischen Mittel stehen zur Verfügung? Kruse zufolge kommt es vor allem auf eine gute Einstellung des Diabetes an. Auch Patientenschulung, eine psychosomatische Basisversorgung oder eine Psychotherapie nannte er als Möglichkeiten. Fehlt noch die Pharmakotherapie. Wegen der Gewichtszunahme seien Trizyklika problematisch, selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) seien besser geeignet. Gut untersucht sei zum Beispiel Sertralin.

 

Erst Schizophrenie, dann Diabetes

 

Neben der depressiven Störung ist auch Schizophrenie mit Diabetes assoziiert. Typischerweise liege erst die Schizophrenie vor und Diabetes komme später hinzu, sagte Professor Dr. Florian Lederbogen vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Während die Lebenserwartung der Normalbevölkerung in Deutschland bei 80 Jahren für Frauen beziehungsweise 72 Jahren für Männer liegt, werden schizophrene Patienten im Durchschnitt nur 65 Jahre (Frauen) beziehungsweise 57 Jahre (Männer) alt. »Für die erhebliche Verkürzung der Lebenserwartung spielt Diabetes mellitus eine wichtige Rolle«, sagte Lederbogen. Das Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, sei bei Schizophrenie-Patienten ungefähr doppelt so hoch wie in der Normalbevölkerung. Und: »Typ-2-Diabetes ist nur die Spitze des Eisberges, in der Regel sind die Betroffenen am metabolischen Syndrom erkrankt.«

Lederbogen betonte, dass die Behandlung der Schizophrenie Vorrang hat. Erst danach sollte man sich der adäquaten Diabetestherapie widmen. Fatal sei, so Lederbogen, dass die Pharmakotherapie der Schizophrenie zur Erhöhung des Diabetes-Risikos beitragen könne. So haben zum Beispiel die Neuroleptika Clozapin und Olanzapin einen deutlichen Effekt auf das Körpergewicht und erhöhen somit das Typ-2-Diabetesrisiko. Bei Risperidon und Quetiapin sei das weniger stark ausgeprägt, bei Amisulprid und Ziprasidon gebe es zum Beispiel nur geringe Effekte auf das Gewicht. Lederbogen betonte, dass die Behandlung eines Schizophrenie-Patienten mit Diabetes von einem Arzt (entweder Neurologe oder Diabetologe) gesteuert werden muss. »Einer muss die Kapitänsmütze aufhaben«, so der Referent.

 

Für die Behandlung des Typ-2-Diabetes sollte man sich an die Leitlinien halten, ein Spezialrezept gebe es nicht. Soweit möglich sollte man versuchen, die Betroffenen für die Teilnahme an Bewegungs- und Diätprogrammen zu gewinnen. Bei rascher Gewichtszunahme könne man auch den Wechsel des Antipsychotikums in Erwägung ziehen. /

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