Impflücken trotz Impfempfehlung |
10.11.2009 16:58 Uhr |
Von Bettina Sauer, Berlin / Meningokokken vom Serotyp C können lebensbedrohliche Hirnhautentzündungen und Blutvergiftungen verursachen. Deshalb hat die Ständige Impfkommission (STIKO) 2006 empfohlen, Kinder und Jugendliche dagegen zu immunisieren. Doch drei Jahre später scheint es noch große Impflücken zu geben.
Drei Jahre nach der offiziellen Impfempfehlung gegen Meningokokken vom Serotyp C verfügt erst ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen über diesen Schutz. Das gehe aus Schuleingangsuntersuchungen und Befragungen des Marktforschungsunternehmens GfK hervor, hieß es auf einer Pressekonferenz der Arbeitsgemeinschaft Meningokokken (AGMK) in Berlin. »Bei den Durchimpfungsraten zeigt sich ein deutliches Altersgefälle«, sagte Professor Dr. Sieghart Dittmann, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der AGMK. So seien zwar schon etwa 70 Prozent aller Kinder im zweiten Lebensjahr geimpft, aber nur 30 Prozent der Grundschulkinder und 20 Prozent der Jugendlichen.
»Ab dem Grundschulalter kommen die meisten Kinder nicht mehr routinemäßig zum Arzt, sodass sich kaum noch Gelegenheiten zum Impfen ergeben«, kommentierte Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, dieses Versorgungsgefälle. Denn im Grundschulalter hätten gesetzlich versicherte Kinder keinen Anspruch auf Vorsorgeuntersuchungen. Und für 12- bis 14-Jährige gäbe es zwar die kostenlose Jugendvorsorgeuntersuchung (J1), doch würde sie längst nicht ausreichend genutzt. »Zudem können die deutschen Gesundheitsämter aus personellen Gründen keinen flächendeckenden Schulgesundheitsdienst gewährleisten.«
Jährlich verzeichnet das Robert-Koch-Institut etwa 500 bis 700 Meningokokken-Erkrankungen. Bei den Erregern handelt es sich um gramnegative Bakterien (Neisseria meningitidis), die durch Tröpfcheninfektion übertragen werden und innerhalb weniger Stunden lebensbedrohliche Hirnhautentzündungen und Blutvergiftungen verursachen können. Anhand der Polysaccharid-Muster an ihrer Oberfläche lassen sich die Erreger in weltweit 13 Serogruppen unterteilen. In Europa herrschen die Gruppen B und C vor. So verursachen Erreger der Gruppe B, gegen die es bislang keinen Impfstoff gibt, etwa 70 Prozent aller Meningokokken-Erkrankungen in Deutschland. Der Anteil der Serogruppe C liegt bei rund 22 Prozent. »Bei dieser Form liegen die Sterblichkeit und der Anteil an Folgeschäden etwas höher als bei Infektionen mit der Serogruppe B«, sagte Dittmann. »Trotz moderner Behandlungsmethoden sterben etwa 12 Prozent der Patienten.« Ähnlich hoch sei die Rate an bleibenden Folgen wie neurologischen Spätschäden, Behinderungen und Amputationen durch sepsisbedingte schwere Gewebsnekrosen.
Um diesen Gefahren vorzubeugen, hat die Ständige Impfkommission (STIKO) 2006 empfohlen, alle Kleinkinder im zweiten Lebensjahr gegen Meningokokken vom Serotyp C zu immunisieren. Ein geeigneter Konjugat-Impfstoff steht seit 2001 zur Verfügung. Eine einzelne Dosis davon reicht ab dem 11. vollendeten Lebensmonat für einen vollständigen Schutz aus. Nicht geimpfte Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr sollen die Impfung laut STIKO nachträglich erhalten. Bis zu diesem Alter werden die Kosten für den Impfstoff von allen Krankenkassen erstattet. Nun gilt es laut AGMK, die Durchimpfungsraten zu erhöhen, zum Beispiel durch Aufklärungskampagnen und Medienberichterstattung. Dittmann appellierte an alle Ärzte, bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen die Meningokokken-C-Impfung anzusprechen und gegebenenfalls direkt zu verabreichen. Hartmann forderte zudem den Ausbau des Schulgesundheitsdienstes. »Jeder einzelne Todesfall, beziehungsweise jede einzelne Schädigung durch C-Meningokokken ist vermeidbar«, sagte er. »Alle Kinder und Jugendlichen haben ein Recht auf diesen Schutz.« /