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Deklaration von Helsinki

Neufassung zum 50. Geburtstag

29.10.2013  16:57 Uhr

Von Annette Mende / Ethische Grundsätze der medizinischen Forschung sind seit 1964 in der Deklaration von Helsinki festgeschrieben. Diese ist zwar kein bindendes Regelwerk, wird aber international als eine Art Grundgesetz für klinische Studien angesehen. In ihrer fast 50-jährigen Geschichte wurde die Deklaration mehrfach revidiert. Jetzt hat der Weltärztebund sie erneut überarbeitet.

Arzneimittel-Tests am Menschen sind notwendig, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten zu untersuchen und so letztlich die Pharmakotherapie immer weiter zu optimieren. Der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn hat jedoch niemals Vorrang vor den Persönlichkeitsrechten der Probanden: Deren Gesundheit muss stets so gut wie irgend möglich geschützt werden.

Dieser Grundsatz ist heutzutage selbstverständlich, doch als der Weltärztebund (World Medical Association, WMA) 1964 in Helsinki die nach ihrem Entstehungsort benannte Deklaration verabschiedete, war das nicht uneingeschränkt der Fall. Nicht nur in Deutschland hatten Ärzte während der Nazizeit das Leben von ihnen ausgelieferten Menschen bei verbrecherischen Versuchen bewusst aufs Spiel gesetzt und vernichtet. Auch in den USA verhielten sich einige Mediziner unethisch. So wurden etwa in der berühmten Tuskegee-Studie 399 dunkelhäutige, an Syphilis erkrankte Männer über ihre Infektion bewusst im Unklaren gelassen und nicht behandelt, um den Verlauf der Erkrankung verfolgen zu können. Die Studie begann im Jahr 1932 und endete erst 1972 nach massiven medialen Protesten.

 

Schutz von Probanden

 

So eine Studie würde heute natürlich keine Ethikkommission der Welt genehmigen. Dass es diese unabhängigen Gremien gibt, die vor Beginn der Probandenrekrutierung ihr Placet geben müssen, ist ein Verdienst der Deklaration von Helsinki. In deren Neufassung wird erstmals die Qualifikation der Mitglieder von Ethikkommissionen näher beschrieben. Diese müssen »angemessen qualifiziert« sein. Das ist zwar eine recht schwammige Formulierung, könnte aber ein Türöffner sein für eine künftige, detailliertere Definition des Anforderungsprofils.

 

Der Schutz von Probanden in der medizinischen Forschung war von Anfang an das zentrale Anliegen der Deklaration von Helsinki und ist es nach wie vor. Wie er zu bewerkstelligen ist und wie weit er reichen soll, wurde seit 1964 immer detaillierter geregelt. Ein strittiger Punkt, der auch jetzt wieder die WMA-Generalversammlung im brasilianischen Fortaleza beschäftigte, ist dabei der Einsatz von Placebos.

 

Dieser gilt als unethisch, sofern es eine geprüfte Standardtherapie gibt, da dadurch einem Teil der Patienten eine erwiesenermaßen wirksame Behandlung vorenthalten wird. Kritiker bemängeln jedoch, dass durch eine allzu restriktive Verwendung von Placebos in klinischen Studien wichtige Forschung behindert würde. Seit der Aufnahme eines entsprechenden Paragrafen in die Deklaration im Jahr 2000 wird daher um jedes Wort darin gerungen.

 

In der jetzt verabschiedeten Fassung erlaubt die Deklaration den Einsatz von Placebos auch dann, wenn es eine nachgewiesenermaßen wirksame Therapie gibt, sofern zwingende und wissenschaftlich stichhaltige Gründe dafür sprechen und für die betroffenen Patienten daraus kein ernsthafter oder irreversibler Schaden entsteht. Unter diesen Bedingungen darf auch gegen eine andere als die erwiesen beste Therapie getestet werden.

 

Diese Regelung klingt plausibel, kann aber Studien verhindern, die unter Bedingungen stattfinden, in denen die beste Therapie nicht verfügbar ist. Darauf weisen Medizinethiker um Dr. Ezekiel J. Emanuel von der University of Pennsylvania in einem Kommentar im Fachjournal »JAMA« hin (doi: 10.1001/jama.2013.281632). Als Beispiel führen sie Studien mit HIV-positiven Schwangeren in Afrika südlich der Sahara an, in denen die Frauen während der Wehen und ihre Kinder unmittelbar nach der Entbindung jeweils mit einer Einzeldosis Nevirapin behandelt wurden.

 

Dieses Vorgehen sei zwar nicht das bestmögliche zur Verhinderung einer Mutter-zu-Kind-Übertragung des HI-Virus – solche Regimes schließen eine deutlich aufwendigere Betreuung der Mütter bereits während der Schwangerschaft ein. Die Einmalgabe von Nevirapin sei aber eine sehr kosteneffektive Möglichkeit, um die HIV-Infektion von Kindern zu verhindern. Ihre Erprobung in Studien sei ethisch vertretbar, da von ihr Menschen profitieren könnten, die sonst keine Behandlung erhalten hätten. Eine künftige Fassung der Deklaration von Helsinki sollte solche Forschung unter strikter Kontrolle erlauben, schreiben die Autoren.

 

Entschädigung vorgesehen

 

Während hier also offenbar noch Handlungsbedarf besteht, um Menschen in Entwicklungsländern nicht zu benachteiligen, dürfte eine andere Neuregelung vor allem ihnen zugutekommen. Sie betrifft die Entschädigung von Probanden, die durch klinische Studien zu Schaden kommen. So fordert die Deklaration erstmals explizit eine »angemessene Entschädigung und Behandlung« für geschädigte Personen. Bisher sollten lediglich im Studienprotokoll »Maßnahmen« vorgesehen sein, mit denen Geschädigte »behandelt und/oder entschädigt« werden sollten. Für Patienten in Deutschland ändert sich durch diese Verschärfung nichts: Paragraf 40 des Arzneimittelgesetzes schreibt bereits heute vor, dass für jeden Teilnehmer einer klinischen Prüfung eine Versicherung abzuschließen ist, die im Schadensfall für die Kosten aufkommt.

 

Als sogenannter vulnerabler Gruppe kommt Menschen in Entwicklungsländern auch eine weitere Änderung in der Deklaration zugute: Paragraf 20 schreibt vor, dass Probanden aus solchen Gruppen nach Beendigung der Studie »vom Wissen, von den Praktiken oder von den Interventionen, die sich aus der Forschung ergeben, profitieren können«. Das soll verhindern, dass Bewohner von ressourcenschwachen Regionen als Probanden zwar das Risiko von Arzneimittel-Tests tragen, hinterher aber nichts von dem medizinischen Fortschritt haben, den sie erst ermöglichten.

 

Auch hier sehen die Kommentatoren um Emanuel trotz des prinzipiell begrüßenswerten Ansatzes Konkretisierungsbedarf. Die Gruppe, um die es hier gehe, sei aufgrund von materieller Armut vulnerabel und nicht, weil sie besonders anfällig für Nebenwirkungen der getesteten Medikamente sei. Diese Menschen müssten für ihre Teilnahme an klinischen Studien angemessen entschädigt werden, und zwar auch dann, wenn sich eine Intervention als ineffektiv herausstelle.

 

Eine weitere Neuerung in der Deklaration zielt darauf, die Transparenz in der medizinischen Forschung zu verbessern. So müssen künftig sämtliche Studien mit menschlichen Probanden vor Beginn in einer öffentlich zugänglichen Datenbank registriert werden. Bislang galt dies nur für klinische Studien. Wie alle anderen Vorschriften des Papiers ist aber auch diese nicht rechtlich bindend. Zudem gibt es keine Instanz, die die Einhaltung der geforderten Standards weltweit überwacht. /

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