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Ausstellung

Ein neuer Blick auf Büchner

22.10.2013  16:32 Uhr

Von Ulrike Abel-Wanek, Darmstadt / Den »Woyzeck« kennt fast jeder aus der Schulzeit. Sein Autor Georg Büchner ist zurzeit in aller Munde. Anlässlich seines 200. Geburtstages widmet ihm die Stadt Darmstadt eine große Ausstellung und gibt Einblick in das kurze und sehr bewegte Leben des Multitalents.

Georg Büchner war Schriftsteller, Revolutionär und Naturwissenschaftler – ein junger Mann mit vielfältigen Interessen, dem schon das Reifezeugnis einen »klaren und durchdringenden Verstand« bescheinigte. Er wurde nur 23 Jahre alt, hinterließ aber alles andere als ein unbedeutendes Werk. Im Gegenteil: Seine Schriften erlangten über Landes- und Zeitgrenzen hinweg große Bedeutung. »Georg Büchner ist nicht nur Literatur- und Kulturgeschichte ersten Ranges. Georg Büchner ist Weltwissen«, so Kurator Dr. Ralf Beil bei der Ausstellungseröffnung am 13. Oktober in der Kongresshalle Darmstadtium. Anlass der Schau ist der 200. Geburtstag des Dichters. Vor allem aber ist es die bis heute ungebrochene Aktualität seiner Schriften und Sprache.

Die rund 400 Exponate der interdisziplinären Schau »Revolutionär mit Feder und Skalpell« sind wegen der Sanierung des Ausstellungsgebäudes »Mathildenhöhe« in einem eigens gestalteten Raum der Darmstädter Kongresshalle zu sehen. Es wurden Emporen, Podeste, Zimmer und Korridore gebaut, um auf rund 1000 Quadrat­metern den Dichter, sein Werk und seine Zeit lebendig werden zu lassen. Originalmanuskripte und -kostüme, Multimediastationen, Gemälde und Grafiken, unter anderem von Caspar David Friedrich, Karikaturen von Daumier, anatomische Objekte und Tierpräparate, optisch-physikalische Instrumente, Filmprojektionen und Klanginstallationen lassen den Besucher räumlich und gedanklich in Büchners Welt eintauchen. »Wir stellen Büchners Wort aus, wir zeigen, was Büchner gesehen hat, wir bringen zu Gehör, was Büchner gehört hat«, so Beil.

 

Der Dichter wurde am 17. Oktober 1813 in Goddelau bei Darmstadt geboren und starb am 19. Februar 1837 in Zürich. Das Original der handschriftlich geschriebenen Geburtsurkunde markiert den Auftakt der Ausstellung, seine Todesanzeige das Ende. Dazwischen liegt das Leben eines Menschen, der bis heute gültige Grundeinsichten formulierte, mit gleicher Begeisterung einen revolutionären Umsturz, philosophische Studien und naturwissenschaftliche Forschung betrieben und – fast nebenbei – Weltliteratur geschrieben hat.

Büchners Geburt fiel auf den zweiten Tag der großen Völkerschlacht von Leipzig (16. bis 19. Oktober 1813). In dieser wichtigsten Schlacht des Befreiungskrieges gegen die napoleonische Fremdherrschaft brachten die zahlenmäßig überlegenen verbündeten Heere der Österreicher, Preußen, Russen und Schweden Napoleon Bonaparte die entscheidende Niederlage bei, die ihn dazu zwang, sich aus Deutschland zurückzuziehen.

 

Mit drei Jahren zog Büchner mit seiner Familie nach Darmstadt, wo sein Vater, Karl Ernst Büchner, als Arzt arbeitete. Als »Wüstenei« bezeichnete der junge Dichter die klassizistische Retortenstadt, ihre Bewohner und die bürgerliche Enge – alles zusammen fand er »kolossal langweilig«. Ganz anders Straßburg, wo er von 1831 bis 1833 an der medizinischen Fakultät studierte. In Frankreich herrschte Pressefreiheit, politische Karikaturen prangerten soziale Missstände offen an, hier bekam der junge Student, der sich immer mehr für politische Freiheiten einsetzte, Informationen, die in seinem Heimatland nicht verbreitet werden durften. Zurück in Deutschland, gründete Büchner die Gesellschaft für Menschenrechte, 1834 wurde der »Hessische Landbote« gedruckt, eine Flugschrift, die unter der Parole »Friede den Hütten! Krieg den Palästen!« die Landbevölkerung zum Widerstand gegen die reaktionären Zustände im Großherzogtum Hessen aufrief. Weil er wegen des Aufrufs zur Revolution steckbrieflich gesucht wurde, floh er 1835 nach Straßburg. Im selben Jahr entstand in nur wenigen Wochen »Dantons Tod«, das Drama über die Französische Revolution, in dem Büchner dem Volk, auf dessen Rücken letztendlich der Bürgerkrieg ausgetragen wurde, eine Stimme gibt: »Ihr wollt Brot – Sie werfen euch Köpfe hin«. Eine originale Guillotine aus dem Jahr 1792 erinnert in der Ausstellung an das Ende Dantons und das vieler seiner Mitstreiter.

Jedes von Büchners Werken hat in der Ausstellung einen eigenen Raum. Wie wird ein Mensch verrückt? In der Novelle »Lenz« geht der Dichter dieser Frage nach. Der Besucher bekommt in einem stockfinsteren Tunnel eine Ahnung von den Seelennöten des Jakob Michael Reinhold Lenz, den Büchner als seinen Schicksalsgenossen betrachtete. Beide waren mittellose, verfolgte Schriftsteller, deren Stücke nicht aufgeführt wurden. Durch sein Studium hatte Büchner eine Vorstellung von psychischen Erkrankungen und konnte sich in das Leid eines solchen »Wahnsinnigen« hineinversetzen.

 

Vor seiner Übersiedlung nach Zürich begann der Dichter mit der Arbeit am »Woyzeck«, das Werk blieb aber ein Fragment. Das Drama macht einen gesellschaftlichen Außenseiter zum Protagonist einer sozialen Tragödie und stellt die Frage nach der Verantwortung der Gesellschaft gegenüber dem Einzelnen. Als Mediziner und Naturwissenschaftler setzt Büchner hier Zeichen: in der Figur des zynischen Doktors, dem der einfache Soldat »Woyzeck« als Versuchskaninchen dient.

Die Literatur war von zentraler Bedeutung für Büchner, aber auch die Welten der Mechanik, Philosophie und Musik fanden sein Interesse und vor allem die Wissenschaft. 1836 vollendet er seine Dissertation »Abhandlung über das Nervensystem der Barbe« und wird Privatdozent an der philosophischen Fakultät der Universität Zürich. Präparate von Fischen und Kröten und ein Film über das Sezieren eines Fischgehirns zeigen ihn in der Ausstellung von seiner naturwissenschaftlichen Seite. Sein winziges Zimmer in Zürich – originalgetreu rekonstruiert – gibt Einblick in seine Arbeitssituation. Hier präparierte er seine Forschungsobjekte – in Eiseskälte, damit sie nicht verdarben. Hier starb Büchner auch, nachdem er schwer an Typhus erkrankt war.

 

Die große Jubiläums-Schau führt den Besucher ganz nah an Büchner und sein Leben heran. Man schaut dem Forscher und Revolutionär ebenso über die Schulter wie dem Schreibstrategen, der Zitate aus der Bibel – die er fast alle auswendig wusste – für seine Schriften verwandte. Man sieht erst kürzlich wieder aufgetauchte Zeichnungen, Tagebuchseiten und ein Büchner-Porträt – literaturhistorische Sensationen, die zum ersten Mal überhaupt einer größeren Öffentlichkeit präsentiert werden.

 

Zeitlich spannt die Ausstellung einen großen Bogen von der Vielvölkerschlacht bei Leipzig bis hin zur Rezeption des Autors in den Attac- und Occupy-Bewegungen dieser Tage und zeigt: Der Dichter ist alles andere als antiquiert. »Er spricht – obwohl vor 200 Jahren geboren – unsere Sprache«, so der Ausstellungskurator. /

 

Georg Büchner – Revolutionär mit Feder und Skalpell. 13. Oktober 2013 bis 16. Februar 2014. Darmstadtium Wissenschafts- und Kongresszentrum, Schlossgraben 1, 64283 Darmstadt. Di-So: 10–18 Uhr, Do: 10–21 Uhr. www.mathildenhoehe.eu

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