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Chronobiologie

Jeder tickt anders

Datum 22.10.2012  19:18 Uhr

Von Ulrike Abel-Wanek, Frankfurt am Main / Es gibt Frühaufsteher und Nachtmenschen, allgemein bekannt auch als Lerchen oder Eulen. Ob und wie sich die innere Uhr des Menschen auf die Entstehung und Behandlung von Krankheiten auswirkt, untersucht das Chronomedizinische Institut in Frankfurt.

Jeder Mensch hat seinen eigenen Chronotyp. Die morgenmuffelnde Nachteule stünde am liebsten dann erst auf, wenn die frühe Lerche schon wieder ins Bett gehen will. Aber es gibt auch die goldene Mitte, von den Frankfurter Wissenschaftlern am Chronomedizinischen Institut als Goldammer bezeichnet. Dieser Mittagsvogel singt sein Lied, wenn die Lerchen schon verstummt sind und die Eulen noch kein »Uhu« gesagt haben.

Der individuelle Tagesrhythmus beeinflusst zahlreiche Körperfunktionen, zum Beispiel das Schlaf-Wach-Verhalten, Stoffwechsel­vor­gänge und die Schmerzempfindlichkeit. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass der Tagesrhythmus auch Auswirkungen auf Erkrankungen und deren Behandlungen hat. Das 2010 gegründete Frankfurter Institut für Chronomedizin an der medizinischen Fakultät der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität ist den individualisierten Therapien nach Uhr und Chronotyp auf der Spur. »So, wie die Aktivität des Organismus unter dem Regime der inneren Uhr schwankt, so schwanken auch seine Stoffwechselprozesse, und so schwankt seine Empfänglichkeit für Therapien. Das Wissen um den rechten Zeitpunkt in die Medizin zu tragen, ist das Ziel der Chronomedizin«, sagt der Leiter des Instituts, Professor Dr. Horst-Werner Korf.

 

Jetlag ohne lange Reisen

 

Dass Menschen zeitlich unterschiedlich ticken, ist wissenschaftlich belegt. Der Chronotyp wird mithilfe eines standardisierten Fragebogens ermittelt. Gefragt werden die Probanden nach dem Zeitpunkt ihrer »Schlafmitte«, also der Mitte ihrer nächtlichen Schlafdauer. »Wenn Sie die Schlafmitte um 22 Uhr haben, sind Sie eine extreme Lerche, wenn Sie sie morgens um 9 Uhr haben, sind Sie eine Eule«, so Korf. Die Schlafmitte kann exakt bestimmt werden und macht die Forscher weitgehend unabhängig von dem wissenschaftlich schwer zu fassenden Begriff des »Schlafbedürfnises«. Ausgefüllt wird der Fragebogen in Frei- oder Urlaubszeiten, wenn der natürliche Schlafrhythmus nicht unter dem reglementierenden Diktat des Arbeitsalltags steht. Wecker, Stechuhr, frühe Schul- und Arbeitszeiten können einen Takt vorgeben, der die innere Uhr des Körpers ignoriert. Till Roenneberg, Chronobiologe aus München, spricht von »sozialem Jetlag«, wenn die »äußere« Zeit der »inneren« Zeit zuwiderläuft. »Der soziale Jetlag entsteht, weil wir immer noch wie eine Bauerngesellschaft funktionieren«, ist auch Korf überzeugt. Die Bauern nutzten Jahrhunderte lang das natürliche Licht der Sonne und standen deshalb mit den Hühnern auf. Hierzulande leiden nach Roenneberg rund zwei Drittel der Bevölkerung täglich unter mindestens einer Stunde chronischem Jetlag. Besonders betroffen sind Jugendliche, die eher zu den Spätaufstehern gehören und dennoch früh in der Schule sein müssen. Gegen den eigenen Chronotyp zu leben, kann auf Dauer krank machen.

Der wichtigste Zeitgeber für die innere Uhr ist der tägliche Wechsel von Hell und Dunkel. Schon Mitte der Sechziger-Jahre untersuchte Jürgen Aschoff in seinen berühmten Bunkerversuchen bei Kloster Andechs in Bayern die physiologischen Reaktionen von Menschen auf Tageslichtentzug. Über gut 25 Jahre lebten nacheinander 447 Versuchspersonen freiwillig und oft über mehrere Wochen ohne den Einfluss von Tageslicht. Seitdem weiß man, dass der Mensch so etwas wie eine innere Uhr hat, die unabhängig von Außenreizen auch bei völliger Abkopplung vom Tag-Nacht-Rhythmus den Takt vorgibt. Zugleich existieren Mechanismen, die die innere Steuerung mit dem äußeren Tagesablauf synchronisieren.

 

Der Taktgeber der inneren Uhr, die »Masteruhr« sitzt im suprachiasmatischen Nucleus (SCN), genau über der Kreuzung der beiden Sehnerven. Ein paar Tausend Nervenzellen steuern hier – ohne dass ein Blick auf die Armbanduhr nötig wäre –, das Auf und Ab zahlreicher Prozesse im Körper – ungefähr im 24-Stunden-Rhythmus (circadian). Koordiniert werden Wach- und Schlafrhythmus, aber auch Blutdruck, Herzfrequenz und Temperatur, die sich bei Tag und bei Nacht verändern. Außer den Enzymen für die Verwertung der Nahrung funktioniert auch das Schmerzempfinden zu den unterschiedlichen Tageszeiten verschieden. »Studien zum variierenden Schmerzempfinden gibt es bereits, aber die lassen den Chronotyp außen vor«, weiß Korf. In Frankfurt läuft deshalb eine Untersuchung mit freiwilligen »Lerchen«, »Goldammern« und »Eulen«, die vorher per Fragebogen ermittelt wurden, zur individuellen Schmerzempfindlichkeit. Die Reaktionen der Probanden auf zu unterschiedlichen Zeiten von außen zugeführte elektrische Reize zum Beispiel an Zähnen oder Fingerkuppen sollen zeigen, ob ein bestimmter Chronotyp zu einer bestimmten Zeit eine hohe Schmerzempfindlichkeit hat. Ziel der Untersuchung ist es, Narkosen und Schmerztherapien in Zukunft punktgenau an den Patienten anpassen zu können.

 

Ob und wie sich der Chronotyp auf die Entstehung und Behandlung von Krankheiten auswirkt, ist bislang wenig erforscht und stellt deshalb einen Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit des Frankfurter Instituts für Chronomedizin dar. Eine zurzeit noch laufende Studie mit 154 Brustkrebspatientinnen untersucht beispielsweise den möglichen Einfluss der individuellen zeitlichen Rhythmik auf das Tumorwachstum. Chronobiologen gehen davon aus, dass jede Zelle ein eigenes molekulares Uhrwerk hat – »Nebenuhren«, die durch die »Masteruhr« gestellt werden und dafür sorgen, dass die Organe zur richtigen Zeit auch richtig funktionieren. Geklärt werden müsse, ob eine Dysregulation der sogenannten Uhrengene Tumorwachstum fördere oder auslöse, ob das molekulare Uhrwerk in Tumoren anders als in Normalgewebe ticke und ob ein Leben gegen die Uhr ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Krebs darstelle. Der Chronotyp sei durch den Fragebogen definiert, aber er müsse auch physiologisch bestimmt werden, so Korf. Dafür sei die Untersuchung vieler verschiedener Parameter notwendig. Ziel sei, das komplexe molekulare Geflecht der Synchronisationsprozesse wissenschaftlich zu definieren. Die Medizin habe lange Zeit nur nach dem »Wo« gefragt. »Wo Herz, Leber und Lunge liegen, sind wichtige Fragen, so Korf, der auch das Anatomische Institut der Uniklinik leitet. »Unsere wissenschaftlichen Forschungen haben aber gezeigt, dass die Frage nach dem ›Wann‹ genauso wichtig ist«, so der Forscher. /

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