Erste Studie zu Gentherapie startet |
13.10.2015 16:29 Uhr |
Von Christina Müller, Berlin / Der Start der ersten Gentherapie-Studie am Auge in Deutschland ist beschlossene Sache und noch für dieses Jahr vorgesehen. Behandelt werden sollen Patienten mit einem seltenen Gendefekt, der zu einer völligen oder partiellen Farbenblindheit (Achromatopsie) führt. Weitere Studien könnten in Kürze folgen.
Seit der Entschlüsselung des Genoms um die Jahrtausendwende arbeiten Wissenschaftler daran, die Erkenntnisse zum Nutzen von Patienten einzusetzen. Mithilfe der Gentherapie könnte das Team um Professor Dr. Dominik Fischer von der Augenklinik der Universität Tübingen diesem Ziel nun etwas näher kommen. Eine entsprechende Studie soll in Kürze starten, berichtete er auf dem Kongress der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) in Berlin.
Im Falle der Achromatopsie spritzen Mediziner den Betroffenen eine wässrige Lösung unter die Netzhaut, die einen Vektor mit der korrekten Version des mutierten Gens enthält. Dieser Vektor dockt gezielt an Fotorezeptoren an und schleust das »gesunde« Gen in die Zellen ein, das nun anstelle der fehlerhaften Erbinformation abgelesen werden kann. So wollen sie den Gendefekt durch eine einmalige Applikation ursächlich behandeln. Bereits entstandene Schäden seien mit diesem Verfahren zwar nicht zu beheben, so Fischer, »aber wir können möglicherweise das Fortschreiten der Erkrankung aufhalten«.
Augenheilkunde hat Vorreiterrolle
In den vergangenen Jahren habe die Augenheilkunde bezüglich der Gentherapie eine Vorreiterrolle eingenommen, sagte Fischer. Er verwies auf Professor Dr. Robert MacLaren von der Universität Oxford, der eine Gentherapie für die degenerative Netzhauterkrankung Chorioideremie entwickelt und mehrere Patienten erfolgreich behandelt hätte. Diese Therapie wollen Fischer und Kollegen künftig auch in Deutschland anbieten. Sollte das Paul-Ehrlich-Institut den gestellten Antrag bewilligen, könnten sie noch dieses Jahr erste Betroffene in Tübingen gentherapeutisch behandeln. Chorioideremie ist eine seltene, fortschreitende Erkrankung der Netz- und Aderhaut, die zur vollständigen Erblindung beider Augen führt. »Wir hoffen, mit der Gentherapie die Erblindung verzögern oder sogar ganz aufhalten zu können«, sagte Professor Dr. Karl Ulrich Bartz-Schmidt, DOG-Präsident und Ärztlicher Direktor der Augenklinik Tübingen.
MacLaren konnte in seinen Studien zudem die hohe Sicherheit der Gentherapie nachweisen. »Während der Langzeitbeobachtungen sind keine schweren Nebenwirkungen wie Erblinden oder Immunreaktionen aufgetreten«, betonte Fischer. Auch eine wiederholte Behandlung, etwa am zweiten Auge, habe zu keinerlei Problemen geführt. »Anhand dieser Ergebnisse können wir davon ausgehen, dass keine Sensibilisierung stattfindet«, ergänzte Bartz-Schmidt. In Deutschland leiden nur etwa 1000 Patienten unter Chorioideremie. Für Bartz-Schmidt steht die Erkrankung jedoch »stellvertretend für eine Vielzahl von Gendefekten, die derzeit unheilbar sind und für die eine Gentherapie erstmals eine Behandlungsperspektive bieten könnte«.
Erste Zulassung
Dass die Gentherapie vielfältige Möglichkeiten zur Behandlung von erblich bedingten Krankheiten bietet, untermauerte Fischer am Beispiel von Alipogentiparvovec. Unter dem Handelsnamen Glybera® hatte die Europäische Arzneimittelagentur EMA das Mittel bereits im November 2014 als erstes gentherapeutisches Medikament zugelassen. Es dient der Behandlung von erwachsenen Patienten mit einem familiären Lipoproteinlipase-Defizit, die trotz fettarmer Diät unter schweren oder multiplen Pankreatitis-Schüben leiden. Mittels mehrerer intramuskulärer Injektionen werden die Myozyten in die Lage versetzt, das Enzym Lipoproteinlipase zu produzieren. /