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Schuldenkrise

Folgen für Europas Gesundheitssysteme

16.10.2012  18:23 Uhr

Von Werner Kurzlechner, Potsdam / Die Euro-Krise hat in den meisten EU-Ländern zu drastischen Einschnitten im Gesundheitswesen geführt. Die strukturellen Probleme sind weithin ungelöst. Deutschland steht im Vergleich noch am besten da und leistet momentan engagierte Aufbauhilfe für Griechenland.

Michael Schönstein hatte von den Referenten am Konferenztag vergangene Woche in Potsdam nicht nur die härtesten Fakten im Gepäck. Der Ökonom in Diensten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) lieferte auch die prägnanteste und daneben ehrlichste Zusammenfassung zum Stand der Dinge. »Die einfachsten Lösungen sind jetzt ausgeschöpft«, sagte der Wirtschaftswissenschaftler. »Jetzt sind die Strukturreformen an der Reihe.« Hierzu habe er momentan aber selbst noch mehr Fragen, als dass er Antworten liefern könne, so Schönstein freimütig. »Auswirkungen der Euro-Krise auf die nationale Gesundheitspolitik« lautete das Thema der von Bundesgesundheitsministerium und Gesellschaft für Versicherungswirtschaft und -gestaltung (GVG) geförderten Konferenz.

Im Blickpunkt stand unter anderem die Diskussion über die Auswirkung der Euro-Krise auf ökonomisch angeschlagene Mitgliedsstaaten wie Griechenland und Portugal und über einen möglichen Domino-Effekt auf andere Länder. Schönstein führte hierzu aus, dass die Bankenkrise und die daraus zum Teil resultierende Wirtschaftskrise nicht zu den Überschuldungsturbulenzen im Euro-Raum geführt hätten, wenn nicht Verwerfungen auf den Bond-Märkten hinzugekommen wären.

 

Systeme unter Dauerdruck

 

Skeptisch äußerte sich der Ökonom zum Paradigmenwechsel der EU-Politik weg von der zunächst in den Vordergrund gerückten Stabilisierung der Wirtschaft hin zur Konsolidierung der Haushalte. Seiner Einschätzung nach setzt dies die weithin unter Geldknappheit kränkelnden Gesundheitssysteme für die kommenden Jahre unter massiven Dauerdruck.

 

Mit Ausnahme der Bundesrepublik seien bereits 2010 sämtliche EU-Staaten zu Kürzungen im Gesundheitswesen gezwungen gewesen – Länder wie Tschechien, Irland und Estland mit Budgetsenkungen um 6 bis 9 Prozent in ähnlich hohem Maße wie Portugal. In Spanien waren die Senkungen etwas weniger drastisch. Überall dort habe man schnell die drei einfachsten Lösungen umgesetzt, so Schönstein: erstens Senkung der Arzneimittelausgaben, zweitens Einsparungen in den Krankenhäusern insbesondere durch Gehaltseinschnitte, drittens massive Investitionskürzungen. Hier seien die Grenzen des Machbaren erreicht, so der Ökonom weiter.

 

Gerechte Behandlung

 

Offenkundige Probleme gibt es laut Schönstein europaweit mittelfristig bei den Fachkräften, wo ein derzeitiges Überangebot durch freigestelltes Personal langfrisitig vom demografisch bedingten Ärztemangel abgelöst werde, sowie beim gleichen Zugang zur bestmöglichen Versorgung für alle und bei der Qualitätssicherung. Folglich gehörten auf die gesundheitspolitische Agenda der europäischen Staaten vier Punkte: Behandlungsgerechtigkeit, konsequente Kosten-Nutzen-Bewertung, bessere Koordination der Verwaltung und ein größeres Augenmerk auf Patientenzufriedenheit. »Das kostet alles Geld«, so Schönstein. »Und wirtschaftlich wird es auf die Schnelle nicht besser.« Vor diesem Hintergrund frage er sich durchaus, ob ein EU-Strukturfonds für die Gesundheitssysteme nicht ein sinnvolles Instrument wäre.

 

Zwei Referenten konnten aus erster Hand über die Entwicklung in ihren gebeutelten Heimatländern berichten. Prof. Fernando Lopes Ribeiro Mendes von der Technischen Universität Lissabon tat dies für Portugal voller stolzer Zuversicht. Enthusiastisch berichtete er von den Erfolgen, die seit den 1980er-Jahren nach einer am britischen Vorbild des nationalen Gesundheitsdiensts NHS orientierten Gesundheitsreform erzielt wurden – etwa der Anhebung der Lebenserwartung auf EU-Durchschnittsniveau. Tenor des Vortrag von Ribeiro Mendes: Die Schuldenkrise erzwingt zwar einige Anpassungen, aber das solidarische portugiesische Gesundheitswesen verfügt über genügend Abwehrkräfte, um dies durchzustehen. Man könne sogar wirtschaftlich durch internationalen Gesundheitstourismus profitieren.

 

Erwartungsgemäß klang Dr. Dimitrios Kremalis von der Rechtsberatung Kremalis Law Firm für Griechenland weniger optimistisch. Die Einschnitte im griechischen Gesundheitswesen seien bekanntlich beträchtlich gewesen. Im Arzneimittelbereich habe die Generika-Offensive einiges auffangen können, obwohl Generika in Griechenland immer noch als vermeintlich weniger wirksam als Originalpräparate stigmatisiert seien.

 

Alles in allem habe man die Gesundheitsausgaben aber von ursprünglich rund 10 Prozent auf unter 6 Prozent des geschrumpften Bruttoinlandsprodukts senken müssen, die Arzneimittelausgaben seien um die Hälfte zurückgefahren worden. Ein Neuentwurf der griechischen Gesundheitspolitik sei indes unumgänglich, Krankenkassen und Staat hätten bei pharmazeutischen Unternehmen rund 1,8 Milliarden Euro Schulden. Nicht gekürzt wurden laut Kremalis die Budgets der Krankenhäuser. Hier schlummerten sogar noch Effizienzreserven, da die Zahl der Betten über dem OECD-Durchschnitt liege. Als schwierig stelle sich immer noch die Zusammenfassung von vier vormals unabhängigen Versicherungsinstitutionen zur Nationalen Organisation für Gesundheitsversorgung (EOPPY) dar. Die völlig unterschiedlichen Beitragssystematiken seien schwer zu harmonisieren.

 

Zu viele Großhändler

 

Udo Scholten, Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium, ergänzte die Liste der Probleme in Griechenland noch. So sei beispielsweise die Anzahl der pharmazeutischen Großhändler fünfmal so groß wie hierzulande. »Das deutet nicht auf effiziente Strukturen hin«, so Scholten. Im Krankenhausmanagement fehle es beispielsweise an IT-Systemen für die Verwaltung.

 

Innerhalb der Task Force Greece habe Deutschland im April die federführende Rolle im Bereich Gesundheit übernommen, berichtete Scholten weiter. Seither habe man unter anderem Vorschläge zur Einführung eines pauschalierenden Abrechnungssystems für Kliniken, zu Verbesserungen im Krankenhausmanagement, zur Restrukturierung der EOPPY und zu einer transparenteren und effizienteren Arzneimittelpreisgestaltung und -erstattung entwickelt. »Wir gehen jetzt von der Beurteilung zur Durchführung über«, so Scholten zum aktuellen Stand der Dinge. /

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