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Psychiatrie

Kranke Kinderseelen

14.10.2008  10:47 Uhr

Psychiatrie

<typohead type="3">Kranke Kinderseelen

Von Christiane Berg, Berlin

 

Der Anteil an verhaltensauffälligen Kindern wird immer größer. Mehr als jedes fünfte Kind oder jeder fünfte Jugendliche bis 18 Jahre hat psychische Störungen. Besonders häufig sind sozial Schwache betroffen.

 

Ob Störungen des Sozialverhaltens, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS), Mutismus, Zwangs- und Essstörungen, Depressionen, Angst und Autismus: Circa 22 Prozent aller Kinder und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr zeigen Symptome psychischer Störungen und Verhaltensauffälligkeiten. Bei etwa 6 Prozent ist die Störung so schwer, dass sie behandlungsbedürftig ist. »Insgesamt ist die kinderpsychiatrische Morbidität steigend«, sagte Dr. Michael Kölch, Ulm, beim 3. Medizinkongress der Gmünder Ersatzkasse (GEK) in Berlin. Die Zahl der Verordnungen von Psychopharmaka an Kinder und Jugendliche nehme national und international zu, allerdings müssten weiterhin viele Medikamente off-label verordnet werden.

 

Wie stark die Morbidität steigt, zeigen zum Beispiel auch Zahlen aus Hessen. Allein in den Kliniken des Landeswohlfahrtsverbandes hätten sich die Zahlen von Kindern und Jugendlichen, die psychiatrisch behandelt werden, seit 1990 mehr als verdreifacht, sagte LWV-Direktor Uwe Brückmann zum Welttag der seelischen Gesundheit am 10. Oktober gegenüber dpa. Im gleichen Zeitraum sind auch die Fallzahlen bei Erwachsenen angestiegen - allerdings moderater um etwa ein Drittel.

 

Psychische Störungen im Kindesalter seien auch ein Spiegel der sozialen Situation, sagte Professor Dr. Klaus Hurrelmann, Bielefeld, auf dem Kongress. So seien Kinder aus Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status und mangelnden Bildungs- und Integrationsressourcen mehr als andere von psychischen Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten betroffen. Durch unzureichende Stimulierung aller Sinnesbereiche könne es zu Blockaden in der emotionalen, kognitiven, sprachlichen und intellektuellen Entwicklung kommen. Dadurch entstehen soziale Konflikte und seelische Enttäuschungen, die verstärkt auch mit Aggressionen und Gewalt einhergehen.

 

Dabei seien Kinder aus Familien mit geringem sozialem Status auch in anderer Hinsicht benachteiligt, betonte der Referent. Durch falsche Ernährung und Bewegungsarmut neigen sie verstärkt zu Übergewicht und sind im Alter häufiger von Fettstoffwechselstörungen, Atherosklerose, Herz-Kreislauf- und Krebs-Erkrankungen, Diabetes sowie Gelenk- oder Haltungs-Erkrankungen betroffen. Hurrelmann machte deutlich, dass die sozial ungleiche Verteilung von Verhaltensmustern Berücksichtigung in der Entwicklung von Präventionsmaßnahmen finden muss. Generell gelte es, in der medizinischen Versorgung verstärkt auf sozialschichtsspezifische Faktoren zu achten.

 

Gestörte Aufmerksamkeit

 

Die häufigste psychiatrische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen ist das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom. Wird es nicht erkannt oder falsch therapiert, kann das ernste Folgen für die Betroffenen auch im Erwachsenenalter haben. Diese reichen von mangelnden sozialen Kontakten über Alkohol- und Drogenmissbrauch, Teenager-Schwangerschaften, erhöhtes Unfallrisiko bis hin zu Depressionen. Auch Schulversagen, Straffälligkeit oder Abhängigkeitserkrankungen können bei unbehandeltem ADHS in Kindheit und Jugend im Erwachsenalter dann gehäuft vorkommen.

 

An dem Syndrom leiden 4,8 Prozent der 3- bis 17-Jährigen, wobei Jungen (7,9\x0fProzent) wesentlich öfter als Mädchen (1,8 Prozent) betroffen sind. Angenommen wird, dass die Anlage zu ADHS heute nicht häufiger als früher vorkommt, jedoch die Störung aktuell verstärkt und offensichtlicher zutage tritt. Die zunehmende Komplexität des Alltags und Reizüberflutung durch Fernsehen, Computer, Internet und Handy haben zur erhöhten Zahl der behandlungsbedürftigen Betroffenen in den letzten Jahrzehnten beigetragen. Auch eine erhöhte Wahrnehmung der Problematik und international unterschiedliche Diagnosesysteme könnten zu einer erhöhten Prävalenz geführt haben.

 

Das Risiko für Verhaltensauffälligkeiten wie Hyperaktivität ist bei Kindern aus Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status dreimal höher als bei Kindern der obersten Sozialschicht, so Kölch. Er betonte, dass die Gefahr psychisch zu erkranken jedoch nicht nur vom Status abhänge. Auch die familiäre Situation und das Konfliktverhalten der Familienmitglieder und Bezugspersonen seien ausschlaggebend für das Erkrankungsrisiko. Ein hohes Risiko hätten Kinder in institutioneller Erziehung (Kinderheimen) und Kinder psychisch kranker Eltern. Kölch kritisierte, dass gerade bei diesen Kindern gleichermaßen ein Defizit in der Versorgung bestehe.

 

Veraltete Medikamente

 

Unter Depressionen leiden nach internationalen Studien 3 bis 10 Prozent aller Jungen und Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren. Wie die meisten psychischen Störungen können Depressionen im Kindes- und Jugendalter genetisch bedingt sein und ohne erkennbaren äußeren Grund auftreten. Allerdings spielen psychosoziale Faktoren als Ursache auch hier eine entscheidende Rolle. Kölch betonte, dass die Psychopharmakotherapie neben psychotherapeutischen und sozialpädagogischen Interventionen einen wichtigen Stellenwert in der Behandlung von Depressionen hat. Trotz der Zunahme von Antidepressiva-Verordnungen auch in Deutschland liege die Verordnungshäufigkeit in der Bundesrepublik jedoch hinter anderen Ländern wie den USA und den Niederlanden weit zurück.

 

Der Kinder- und Jugendpsychiater kritisierte, dass in Deutschland vor allem ältere Substanzen wie tri- und tetrazyklische Antidepressiva sowie zu 50 Prozent Johanniskraut-Präparate verordnet werden. Kölch: »Die Arzneimittel-Situation in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist unbefriedigend und macht eine differenzierte Analyse dringend erforderlich.«

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