Zukunftsaufgabe Gesundheitswesen |
12.10.2010 17:13 Uhr |
Ja zur inhabergeführten Apotheke und zur flächendeckenden Arzneimittelversorgung, nein zu Pick-up-Stellen: Diese Positionen unterstrichen übereinstimmend alle Grußredner bei der Eröffnung des Deutschen Apothekertags.
»An den Themen Gesundheit, Wissenschaft, Forschung und Bildung wird sich die Zukunft entscheiden«, zeigte sich Dr. Wolfgang Heubisch, Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst, überzeugt. Innovationen seien die Basis für Wohlstand.
Dr. Wolfgang Heubisch
Doch Spitzenleistungen könnten nur in Freiheit gelingen, sagte Heubisch, der sich nachdrücklich für die Freiberufler einsetzte. Der Staat müsse seinen Bürgern Vertrauen entgegenbringen; der Hang zur Bürokratie zeuge von Misstrauen. Heubisch bezeichnete die inhabergeführte Apotheke als »optimale Organisationsform«; dazu gebe es keine Alternative. Die Apotheker sollten allen Angriffen standhalten; sie seien das Bollwerk der Freiberufler. Auch für die Abschaffung von Pick-up-Stellen will sich der Wissenschaftsminister starkmachen und versprach: »Die Gesundheitspolitik wird mir ein Herzensanliegen sein.«
Nicht allzu konkret wurde der parlamentarische Staatssekretär Stefan Kapferer. Von ihm erhofften sich die Delegierten die Information, ob die Bundesregierung die Vergütung des Großhandels noch ändert. Kapferer bekräftigte die Planung der Bundesregierung, 380 Millionen Euro bei Großhandel und Apotheken einsparen zu wollen. Dies sei eine Belastung für die Apotheker, aber dennoch unausweichlich. Die Gespräche der vergangenen Tage mit Apothekern und Großhandel bezeichnete er als hilfreich, ohne näher darauf einzugehen.
Stefan Kapferer
Das Ministerium befinde sich nun »in der Feinjustierung«, sagte er, was bedeuten könnte, dass die endgültige Höhe der Großhandelsvergütung sich noch ändern könnte, allerdings wohl nicht dramatisch. Auch beim Pick-up-Verbot machte der Staatssekretär den Apothekern keine großen Hoffnungen. Die Bundesregierung nehme die verfassungsrechtlichen Bedenken der Bundesministerien des Inneren und der Justiz ernst.
Ein Plädoyer für die mittelständische Apotheke legte Johannes Singhammer, MdB, von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ab. In Anlehnung an Paracelsus nannte er die Apotheker die »Meister des dosierten Heilmittels« und Angriffe auf die inhabergeführte Apotheke als »Gift für das System«. Er sei es leid, immer wieder den Vorwurf der Klientelpolitik zu hören, wenn die Union für eine gute Beratung und Versorgung ihrer Bürger – »das ist unsere Klientel« – eintritt. Arzneimittel seien eben keine x-beliebige Ware, die man übers Internet beziehen kann. Für den Apothekerberuf sah der Politiker angesichts des Wachstums des Gesundheitsmarkts gute Chancen.
Um das »exzellente Gesundheitswesen« in Deutschland zu erhalten, müsse man das Defizit der Krankenversorgung in den Griff kriegen, mahnte Singhammer. Dies sei gelungen – »aber zu einem hohen Preis«. Alle müssten ihren Beitrag zum Sparen leisten, unterstrich Dr. Erwin Lotter von der FDP-Bundestagsfraktion, der vehement für die freiberuflich geführte Apotheke eintrat. Er forderte, die bürokratische Belastung der Apotheker auf ein Mindestmaß zu reduzieren.
Dr. Martina Bunge
Als Verfechter der inhabergeführten Apotheke positionierte Dr. Martina Bunge von der Bundestagsfraktion Die Linke ihre Partei. Sie beklagte einen Paradigmenwechsel: weg von der Solidarität und hin zur sogenannten Eigenvorsorge. Die Solidarität zwischen Arm und Reich sei bereits stark eingeschränkt.
Zum Thema Pick-up schlug sie pragmatisch vor: Wenn der Arzneimittelversand auf rezeptfreie Arzneimittel beschränkt werde, sei das Pick-up-Problem sofort gelöst.
Der Botschafter der Republik Haiti, Jean-Robert Saget, war eigens aus Berlin angereist, um den Apothekern für ihre große Hilfe nach dem Erdbeben zu danken. Das Beben habe die schlimmsten Verluste in der Geschichte des Inselstaats ausgelöst. Jetzt hoffe er, dass die weltweite Kraft der Solidarität lebendig bleibt, um den Haitianern weiterhin beim Wiederaufbau zu helfen. Der Botschafter ist optimistisch: »Haiti wird wieder aufleben!« /
Sind Energieversorger ein Vorbild für Politiker? Natürlich werden die meisten spontan antworten und hinzufügen: »ein abschreckendes Vorbild natürlich«. Politiker scheinen das allerdings anders zu sehen, wenn man den Kreativprozess im Rahmen der Gesetzgebung rund um das Gesundheitswesen beobachtet. In seiner Rede am 7. Oktober auf dem Apothekertag wies ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf auf die Gefahr hin, durch zufällige oder gar gezielte Maßnahmen vielleicht unbewusst, aber real, das Arzneimittelwesen in die Oligopolisierung zu lenken – mit allen Konsequenzen. Vielleicht bekommen wir dann ja – analog zu einer Netzagentur – eine Arzneimittelagentur. Vielleicht müssen wir einzelne Monopolisten zwingen, einen Teil ihrer Infrastuktur »zu verkaufen«, ähnlich wie man die Energieversorger oder die Bahn zwingt, ihren Strom beziehungsweise ihr Schienennetz zu verkaufen.
Langfristige Folgeabschätzung wäre eine Übung, die man den Politikern noch einmal ans Herz legen sollte. Mit ziemlich wenig Aufwand lässt sich eine gesetzliche Änderung veranlassen. Kommt dann aber die Einsicht, dass ein »Rückbau« angesagt sei, so stellt sich das oft als äußerst schwierig bis unmöglich heraus, so jedenfalls die Argumente der Politiker fast aller Fraktionen, wenn man sie auf das Pick-up-Problem anspricht.
Kluges Handeln ist auch dadurch gekennzeichnet, dass man ein ganz klares Bild von den Folgen hat. Was Oligopole sind, kann man erleben. Man muss es sich nicht einmal vorstellen.
Daher: Quid quid agis . . .
Professor Dr. Theo Dingermann, Mitglied der Chefredaktion