Keine lineare Dosisanpassung |
06.10.2008 14:42 Uhr |
<typohead type="3">Keine lineare Dosisanpassung
Ein Arzneimittel für Kinder richtig zu dosieren, ist eine Kunst, wenn dazu keine guten Studien vorliegen. Die Erwachsenendosis nach dem Körpergewicht linear »herunterzurechnen«, bezeichnete Professor Dr. Walter Haefeli vom Lehrstuhl für Pharmakologie der Universität Heidelberg als »Wahnsinn«. Die Dosisanpassung rein nach dem Gewicht habe schon viele Kinder umgebracht.
Der Grund ist einfach: Die kindliche Physiologie und damit die Pharmakokinetik verändern sich ab der Geburt dramatisch. Einige Beispiele: Der Körper eines Neugeborenen und Säuglings hat einen deutlich höheren Wasseranteil als der des Erwachsenen. Wird ein hydrophiler Arzneistoff rein nach Körpergewicht dosiert, resultiert ein erniedrigter Plasmaspiegel. Der Magen-pH-Wert ist beim Neugeborenen höher als beim Erwachsenen, was die Bioverfügbarkeit säurelabiler Stoffe erhöht. Eine lineare Dosisanpassung ist auch deshalb nicht möglich, weil sich die Arzneistoff-Clearance ab dem Neugeborenenalter nicht linear entwickelt. Eine wichtige Ursache hierfür ist die ungleichmäßig verlaufende Reifung von Leberenzymen, die an der Metabolisierung beteiligt sind. Bis zu 75 Prozent der häufig eingesetzten Arzneistoffe werden hepatisch metabolisiert. Ist die Biotransformation in der Leber verlangsamt, steigt die Konzentration dieser Pharmaka drastisch an. »Vor allem das Cytochrom-(CYP)450-System ist von Bedeutung«, berichtete Professor Dr. Matthias Schwab vom Robert-Bosch-Institut in Stuttgart. »Fast 30 Prozent der Arzneistoffe werden über CYP3A4/5 verstoffwechselt, ebenso viele über CYP2C9.«
Die CYP-Isoenzyme entwickeln sich unterschiedlich schnell. Einige wie 2E1, 2D6 oder 2C9 reifen innerhalb der ersten Stunden nach der Geburt, bei anderen dauert es mehrere Wochen, bis sie vollständig aktiv sind. Schließlich müssen auch Enzyme reifen, die Phase-II-Reaktionen wie Glucuronidierung, Glycinkonjugation oder Acetylierung katalysieren.
Bei renal eliminierten Arzneistoffen kommt es auf die Nierenleistung an. Doch die Reifung des Organs ist mit der Geburt nicht abgeschlossen. Die Filtrationsrate steigt in den ersten Monaten stetig an. Auch die tubuläre Sekretion entwickelt sich erst im Lauf des ersten Lebensjahres vollständig.
Nebenwirkungen von Arzneistoffen gehen oft auf veränderte Wirkspiegel zurück. Frauen erleiden häufiger unerwünschte Wirkungen als Männer und dies gelte auch schon für Kinder, sagte Schwab. Daher sei eine individualisierte Therapie sehr wichtig. Doch »eine klinisch-pharmakologische Forschung mit Kindern gibt es in Deutschland nicht«.