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Gesundheitsversorgung

Düsterer Blick ins Jahr 2050

25.09.2007  15:47 Uhr

Gesundheitsversorgung

<typohead type="3">Düsterer Blick ins Jahr 2050

Von Christian Lahm, Berlin

 

Vor einem dramatischen Kostenanstieg in der Gesundheitsversorgung warnte der Kieler Gesundheitsexperte Fritz Beske vergangene Woche in Berlin. Er stützte sich dabei auf seine neueste Studie »Gesundheitsversorgung 2050«.

 

Eigentlich könne er gar nichts vorhersagen, eröffnete Professor Dr. Fritz Beske, die Presseveranstaltung: »Jeder Versuch, die Gesundheitsversorgung im Jahr 2050 erfassen zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt. Das kann nicht gelingen.« Doch nach diesem rhetorischen Absicherungskniff war Beskes Zunge gelöst für seine düstere Prognose zur Gesundheitsversorgung in 43 Jahren.

 

Der 85-jährige Mediziner stützte sich dabei auf seine Studie »Gesundheitsversorgung 2050«. Sie ist zugleich Band 108 einer Schriftenreihe, die das 1975 von Beske in Kiel gegründete »Fritz Beske Institut für Gesundheits-System-Forschung« herausgibt. In der Analyse schreibt Beske, bezogen auf das Jahr 2000 werde die Bevölkerung in Deutschland bis 2050 von 82,3 auf 68,8 Millionen abnehmen. Gleichzeitig steige der Anteil der über 65-Jährigen von 13,7 auf 22,9 Millionen. Aufgrund dieser Altersentwicklung und eines teils damit verbundenen »dramatischen Anstiegs der Volkskrankheiten« würden die Gesundheitskosten bis 2050 aus dem Ruder laufen.

 

In der Konsequenz werde jeder Bürger für die eigene Gesundheitsversorgung persönliche Einschränkungen akzeptieren müssen. Denn er dürfte kaum in der Lage sein, im Jahr 2050 bei Fortschreibung des Status quo 77 Prozent mehr als heute für die Krankenversorgung sowie 240 Prozent mehr für die Pflegeversorgung zu bezahlen.

 

Dass die Beiträge sich so stark verteuern, begründete Beske damit, dass seiner Studie zufolge die Krankheitskosten pro Einwohner um 47 Prozent auf fast 3900 Euro steigen. Die Zahl der Pflegebedürftigen werde sich um 118 Prozent auf 4,4 Millionen erhöhen. Auch deshalb, weil die Berechnungen von einer Zunahme altersbedingter Krankheiten um 67,3 Prozent ausgehen. Beske resümierte: »Der Politik kommt die unangenehme Aufgabe zu, dies der Bevölkerung ehrlich und ohne Umschweife immer wieder zu sagen.«

 

Etwas gelassener sah der Vorstandschef der AOK Schleswig-Holstein, Dieter Paffrath, die Situation. Auf der Presseveranstaltung unterzog er das Beske-Zahlen-Szenario einer kritischen Würdigung. Er sagte: »Wer versucht, 43 Jahre vorauszuschauen, hat es automatisch mit zwei Problemen zu tun.«

 

Strukturbrüche erschweren Prognose

 

Erstens: »Innerhalb dieser 43 Jahre werden wir vermutlich politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturbrüche erleben, die Prognosen mit stetigen Zeitreihen obsolet erscheinen lassen.« Zweitens nähmen die prognostizierten Zahlen erfahrungsgemäß immer gewaltige Dimensionen an. Und drittens gelte dies eben nicht nur für negative Dinge wie Kosten, sondern ebenso für die positiven. Wer beispielsweise heute 1000 Euro zurücklege, werde (unterstellt eine Verzinsung von 4,25 Prozent nach den internationalen Bilanzierungsregeln) im Jahr 2050 ziemlich genau 6000 Euro auf dem Konto haben, immerhin 500 Prozent mehr.

 

Doch solle dieses Rechenexempel nicht dazu verführen, die in der Studie formulierten Warnungen beiseite zu wischen, betonte Beske: »An künftige Generationen werden hohe Anforderungen gestellt. Die Belastungen der Generationen im erwerbstätigen Alter werden steigen. Bewältigt werden muss die Versorgung einer kontinuierlich alternden Bevölkerung durch immer weniger Personen, die für diese Versorgung zur Verfügung stehen, finanziell und personell.«

 

Gleichzeitig beklagte er: »In so nachhaltig wirkenden Gesetzen wie dem GKV-Modernisierungsgesetz von 2003 und dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz von 2007 sind weder eine Evaluation der Auswirkungen vorangegangener Gesetze noch eine Analyse der Gegenwart oder eine Prognose über die zu erwartende Entwicklung auch nur im Ansatz enthalten.«

 

Einig zeigten sich Paffrath und Beske darin, dass die Politik wegen der begrenzter werdenden finanziellen Möglichkeiten den Mut aufbringen müsse, den gesetzlich definierten Leistungskatalog der GKV auf das Notwendige zu reduzieren.

 

Gelassener als Beske stufte Paffrath die Beitragssatzentwicklung ein. Während der Kieler Forscher davon ausgeht, dass der ab 2009 gesetzlich festgelegte Beitragssatz bei jährlich einem Prozent fortschrittsbedingter Verteuerung der Medizin im Jahr 2050 bei 27 Prozent liegen (und mit 2 Prozent sogar bei 43 Prozent) warnte Paffrath vor der Unterstellung, der medizinischer Fortschritt wirke ausschließlich verteuernd. »Glücklicherweise haben wir in den vergangenen Jahrzehnten beispielsweise im Arzneimittelmarkt zahlreiche innovative Wirkstoffe gesehen, die nach Ablauf der Patentlaufzeit generisch verfügbar sind, sodass sich der medizinische Fortschritt in diesem Fall kostensparend durchsetzen kann.« Das erkläre neben den gesetzgeberischen Vorgaben, dass sich der Anteil der GKV-Ausgaben, wie auch der gesamten Gesundheitsausgaben, am Bruttoinlandsprodukt in den vergangenen Jahrzehnten nicht wesentlich verändert habe.

 

Interessant sind in diesem Zusammenhang im vergangenen März veröffentlichte Hochrechnungen des Wirtschaftsweisen Professor Dr. Bert Rürup für die Beitragssatzentwicklung, zwar nicht bis 2050, aber bis 2030.

 

Auf der Basis von Daten des Jahres 2004 kommt Rürup zwar auch zu dem Schluss, dass sich die demografische Entwicklung auf die Beitragssätze der Krankenversicherung auswirken wird. Doch geht er nicht davon aus, dass sich die Gesundheitsausgaben dramatisch steigern werden. Und die Befürchtung, die Kasseneinnahmen würden durch den demografisch bedingten steigenden Anteil der Rentner allzu stark sinken, hält er für irrelevant. Vielmehr werde dieser Effekt durch die abnehmende Zahl beitragsfrei versicherter Kinder weitestgehend aufgehoben. Insgesamt steigt Rürups Berechnungen zufolge der GKV-Beitragssatz bis zum Jahr 2030, ausschließlich aufgrund der Verschiebung der Altersstruktur und der damit verbundenen Zunahme der Durchschnittsausgaben, um gerade einmal 2,5 Prozentpunkte.

 

Bei allem Respekt für Beskes Anliegen, »den Blick für die Zukunft im Gesundheitswesen zu schärfen«, scheint der Gesetzgeber gut beraten, sich vielseitig zu informieren. Nicht alle Studien zeichnen solch düstere Zukunftsvisionen wie die von Beske.

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