Falsche Ansätze in der Therapie |
16.09.2015 08:43 Uhr |
Von Christina Müller, Berlin / Zu hohe Dosen, fehlende Indikationen und unzureichende Wirksamkeit: Die medikamentöse Behandlung depressiver Patienten weist aus Sicht des Bremer Universitätsprofessors Gerd Glaeske gravierende Mängel auf. In Berlin kritisierte er vergangene Woche die Versorgungssituation psychisch kranker Menschen in Deutschland.
Glaeske verwies auf einen »steilen Anstieg der Antidepressiva-Verordnungen in den letzten 25 Jahren«. Dieser sei vor allem bei den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) zu beobachten, sagte er bei einer Veranstaltung des Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde.
Zunehmend würden auch geriatrische Patienten mit SSRI behandelt – obwohl Senioren in den Zulassungsstudien der Hersteller nicht berücksichtigt würden. Da jedoch im Alter die Funktionen von Leber und Niere deutlich eingeschränkt seien, sieht Glaeske hier aufseiten der pharmazeutischen Unternehmen einen »erheblichen Forschungsbedarf«.
Falsche Therapie im Alter
Auch das Verordnungsverhalten der Ärzte beurteilt Glaeske kritisch. Diese würden bei Senioren viel zu häufig Antidepressiva einsetzen, die auf der Priscus-Liste stehen und damit im Alter als potenziell inadäquat gelten. Vor allem hohe Dosierungen könnten zu erheblichen Nebenwirkungen führen. So verursachen laut Glaeske Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten heute rund 10 Prozent aller Krankenhauseinweisungen bei geriatrischen Patienten.
Aus Sicht des Gesundheitsökonomen verschreiben Ärzte zudem oft vorschnell Antidepressiva bei leichten bis mittelschweren Depressionen. Es bestünden jedoch Zweifel am Nutzen einer Pharmakotherapie bei diesen Indikationen. Bei leichten Verläufen liege die Ansprechrate lediglich 20 Prozent über Placebo-Niveau. Antidepressiva sollten daher nur in der Therapie schwerer Depressionen zum Einsatz kommen, so Glaeske. Ärzte verordneten einen Großteil der Antidepressiva derzeit sogar ohne einschlägige Diagnosestellung.
Die hohen Verschreibungsquoten von Antidepressiva durch Hausärzte und Internisten sieht Glaeske zwiespältig. Zwar könnten die Fachärzte den Versorgungsbedarf allein nicht decken, daher sei es nötig, Hausärzte in die Behandlung einzubeziehen – allerdings nur nach Konsultation eines Facharztes. Besonders der Wirkstoff Opipramol sei in diesem Zusammenhang ein »immer wiederkehrendes Ärgernis«. Opipramol verschrieben Allgemeinmedizinern auffällig häufig, obwohl dessen Nutzen als antidepressiv wirksames Medikament seit Langem bezweifelt werde, sagte Glaeske. /