Problem durch kurze Halbwertszeiten bei rekombinanten Wirkstoffen? |
14.09.2010 15:13 Uhr |
Von Ilse Zündorf und Theo Dingermann / Alle rekombinanten Wirkstoffe sind Proteine, und von Proteinen weiß man, dass sie in aller Regel recht kurze biologische Halbwertszeiten haben. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese zu verlängern.
Dass Proteine zum Teil recht kurze Halbwertszeiten besitzen, liegt zum einen daran, dass Proteasen die Peptidbindungen hydrolysieren. Es liegt aber auch daran, dass viele rekombinante Wirkstoffe relativ kleine Proteine sind, die leicht über die Nieren ausgeschieden werden. Das geht teilweise so schnell, dass man den Wirkstoffverlust nicht durch eine neue Dosis kompensieren kann, was sich durchaus auf den Therapieerfolg auswirkt, zum Beispiel bei der Behandlung von Virus-Hepatitiden mit Alfa-Interferonen.
Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, die biologische Halbwertszeit zu verlängern, die im Folgenden kurz charakterisiert werden sollen:
Reine Sequenzmodifikation
Diese Variante ist zum Beispiel beim Insulin glargin (Lantus®) realisiert. Hier wurde die B-Kette des Insulins um zwei basische Aminosäuren (zwei Arginine) verlängert. Dadurch nimmt die Löslichkeit des Insulins bei physiologischem pH-Wert stark ab, sodass sich an der Einstichstelle ein Wirkstoff-Depot bildet, aus dem Insulin sehr konstant über mindestens 24 Stunden freigesetzt wird. Der Grund für die schlechtere Löslichkeit des modifizierten Insulins im Vergleich zum Humaninsulin liegt in einer Verschiebung des isoelektrischen Punktes hin zum physiologischen pH-Wert. Die meisten Proteine zeigen am isoelektrischen Punkt die schlechteste Wirksamkeit.
Die Sequenzmodifikation geht einher mit einer gleichzeitigen Affinitätssteigerung für den Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktor-Rezeptor 1 (IGF1-Rezeptor), was zunehmend kritisch gesehen wird, da hieraus eventuell ein erhöhtes Proliferationspotenzial resultiert, was auch ein Tumorwachstum beschleunigen würde.
Ein zweites Beispiel für eine Sequenzmodifikation ist das tPA-Mutein Tenecteplase (Metalyse®), in dem vier Aminosäuren substituiert wurden, um die Bindungsstelle für den Plasminogenaktivator-Inhibitor 1 zu eliminieren. Dadurch steigt zwar nicht die chemische, wohl aber die biologische Halbwertszeit, da das Molekül nicht mehr durch einen natürlich vorkommenden Inhibitor inaktiviert werden kann.
Pegylierung
In den 1970er-Jahren veröffentlichten Abe Abuchowski et al. ihre Arbeiten zu den Modifikationen von Proteinen über eine kovalente Verknüpfung mit Methoxypolyethylenglycolketten der allgemeinen Struktur CH3(OCH2CH2)nOH (PEG). Sie zeigten, dass durch die Verknüpfung mit den flexiblen, ungeladenen hydrophilen Polymeren eine hydrophile Hülle um das Protein entsteht, die einerseits das Protein gegenüber dem Immunsystem abschirmt, andererseits aber ausreichend durchlässig für kleine Substrate bleibt, sodass zum Beispiel eine enzymatische Aktivität des Proteins erhalten bleibt. Polyethylenglycol ist selbst nicht immunogen, eignet sich deshalb sehr gut für die Modifikation und wurde von der FDA als »generally recognized as safe« eingestuft. Ob diese Einstufung von Bestand bleiben wird, kann hinterfragt werden, zumal zunehmend – zumindest bei der Daueranwendung pegylierter Proteine – eine Akkumulierung in der Leber und eine Zystenbildung in der Niere beobachtet werden, die aber nach Absetzen des Medikaments reversibel zu sein scheinen. Zurzeit ist die Pegylierung die am häufigsten eingesetzte Methode, um die biologische Halbwertszeit zu verlängern. Als Beispiele für dieses Verfahren lassen sich Methoxy-Polyethylenglycol-Epoetin beta (Micera®), Peginterferon-alfa-2a und -2b (Pegasys® und PegIntron®), Certolizumab pegol (Cimzia®), Pegfilgrastim (Neupopeg® und Neulasta®), Pegvisomant (Somavert®) und Pegaptanib (Macugen®) anführen.
Erhöhung des Glykosylierungsgrades
Darbepoeitin (Aranesp®) ist ein Paradebeispiel für die Verlängerung der biologischen Halbwertszeit durch die Erhöhung des Glykosylierungsgrades. Auch hier ist es – wie im Falle von Insulin glargin – erforderlich, die Sequenz des Proteins zu verändern. Fünf Aminosäureaustausche führen zu zwei neuen Glykosylierungsstellen, sodass das modifizierte Erythropoeitin statt drei N-Glykosylierungen und einer O-Glykosylierung nun fünf N-Glykosylierungen und eine O-Glykosylierung besitzt. Zwar wird durch diese Modifikationen die Rezeptoraffinität erniedrigt. Dies wird aber leicht durch die längere biologische Halbwertszeit des modifizierten Erythropoeitins kompensiert.
Fettsäure-Addition
Statt das Protein chemisch mit Polyethylenglycol zu modifizieren kann man auch eine Fettsäure an eine der Aminosäuren des Proteins anheften. Dies führt auch zur Verringerung der Löslichkeit, sodass sich an der Applikationsstelle ein Wirkstoff-Depot bildet. Zusätzlich bindet das modifizierte Protein an Plasma-Albumin und wird aus dieser Bindung langsam und kontrolliert freigesetzt. Beispiele hierfür sind Insulindetemir (Levemir®) und Liraglutid (Victoza®).
Fusion des Carboxyterminalen Peptids
Eine interessante Möglichkeit ist die Herstellung eines Fusionsproteins, das das sogenannte Carboyxterminale Peptid (CTP) des humanen Choriongonadotropin (hCG) enthält. Dieses Peptid besteht aus den Aminosäuren 138 bis 165 der Pro-hCG-Sequenz und liefert vier weitere O-Glykosylierungsstellen. Durch diesen höheren Glykosylierungsgrad mit mehr endständigen Sialinsäureresten an den Kohlenhydratseitenketten wird die Halbwertszeit des Proteins auf circa 68 Stunden im Vergleich zu circa 33 Stunden bei normalem rekombinanten FSH verlängert, sodass mit einer einzigen subkutanen Injektion das Wachstum mehrerer Follikel angeregt werden kann. Corifollitropin alfa (Elonva®) ist ein Beispiel für dieses Verfahren.
Fusion mit Antikörpern
Antikörper gehören zu den stabilsten Plasmaproteinen überhaupt. Dies macht man sich für die Stabilisierung von meist kleineren Proteinen zunutze, indem man zwei Kopien des Proteins an die konstanten Regionen der beiden schweren Ketten eines Antikörpers fusioniert. Beispiele sind Alefacept (Amevive®), Etanercept (Enbrel®), Abatacept (Orenica®), Rilonacept (Arcalyst®) und Romiplostim (Nplate®).
Fortgeschrittene Entwicklungen
Bei der sogenannten PASylierung konstruiert man Fusionsproteine, die um einen Proteinteil verlängert sind, der nur aus den Aminosäuren Prolin, Alanin und Serin besteht. Derartige Peptide bilden keine Sekundär- und Tertiärstrukturen aus und umgeben das Protein – ähnlich wie bei der Pegylierung – mit einer stark beweglichen »Peptidwolke«, die das Protein vor Abbau schützt, die durch die Molekulargewichtsvergrößerung die Filtration durch die Niere erschwert und die durch ihre Indifferenz die Immunität des Proteins reduziert.
Bei der HESylierung werden Proteine chemisch mit Poly(Hydroxyethylstärke)chitin oder Poly(Carboxymethylstärke)chitin modifiziert. Die Effekte sind ähnlich derer der Pegylierung. Allerdings könnte sich die HESylierung als verträglicher erweisen, da sich das Polymer besser biologisch abbauen lässt als das Polyethylenglycol.
Als stabilisierendes Protein kommt humanes Serumalbumin (HSA) als Fusionspartner infrage. HSA ist das mengenmäßig vorherrschende Protein im Blut und zirkuliert mit einer Lebensdauer von mehr als 20 Tagen. Durch die Fusion mit Albumin kann die Halbwertszeit eines Peptids erheblich verlängert werden. /